Das Liechtensteiner Volksblatt lamentiert über die Verwahrlosung der Jugend, ruft die Eltern zu mehr Strenge auf und fordert mit der "Gefühlsduselei" aufzuhören


Zeitungsbericht, nicht gez. [1]

30.11.1917

Vaduz. (Korr.) Dem aufmerksamen Leser deutscher und österreichischer Zeitungen ist es gewiss nicht entgangen, mit welcher Strenge seit einiger Zeit in diesen Landen der Kampf gegen die Verwahrlosung der Jugend betrieben wird. In unserer Nachbarschaft haben erst vor kurzem die Bezirkshauptmannschaften Bregenz, Feldkirch und Bludenz den Verkauf von Tabak an die Jugend soweit uns erinnerlich bis zum 17. Altersjahr und das Rauchen durch dieselben verboten. Im deutschen Reiche ist es namentlich das stellvertretende Generalkommando München, das in der Fürsorge für die Jugend wirksame Bestimmungen getroffen hat. In der Hauptsache erstrecken sich diese Vorschriften gegen das nächtliche Herumwanlosung [sic!] der heranwachsenden Jugend. In den kriegführenden Ländern ist die Ursache dieser Verwahrlosung der heranwachsenden Jugend hauptsächlich darin zu suchen, dass viele Familienväter zum Kriegsdienste herangezogen wurden, sodass dann die ganze Last der Erziehung der Mutter blieb, die dieser Aufgabe gerade bei halbwüchsigen Burschen vielfach nicht mehr ganz gerecht werden konnte.

Bei uns in Liechtenstein fällt dieser Grund meistens weg. Und doch muss auch bei uns der gleiche Übelstand wahrgenommen werden, der anderswo bereits die Behörden zum Einschreiten veranlasst hat. Wer am Abend um 8—9 Uhr unsere Dörfer passiert, muss bei einiger Aufmerksamkeit beobachten, wie sich halbwüchsige Burschen allein oder in Gemeinschaft herumtreiben, hier und dort ihre losen Streiche spielen, und oft genug kommt es vor, dass sich so ein kleiner Gernegross mit einer Tabakspfeife oder Zigarre brüstet oder sich seine Zeit mit dem seit einiger Zeit bei uns eingebürgerten gesundheitlich so schädlichen Zigarettenrauchen totschlägt. All das geschieht oft mit einer so bodenlosen Frechheit, dass man nur staunen muss. Hat der Beobachter zufällig ein wenig Ortskenntnis, so sieht er dann weiter, dass solche Bürschlein sehr oft noch die Alltagsschule besuchen oder zum mindesten christenlehrpflichtig sind. Manch- ein Beobachter überlegt es sich gar nicht erst und schiebt die Ursache dieser Zustände unsern Lehrpersonen und Polizeiorganen in die Schuhe. Dass es aber in vielen Fällen die Eltern selbst sind, die ihren Söhnchen und Töchterchen solche Extravaganzen durchgehen lassen, denken die Wenigsten. Und doch ist es gerade dieser Umstand, der bei uns meist in Erscheinung tritt. Nicht genug kann den Eltern ein solches Verhalten ausgestellt werden. Jeder Familienvater sollte strenge darauf sehen, dass seine Kinder bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause sind und dass dieselben nach dem abendlichen Betläuten das Haus nicht mehr verlassen. Kommt es aber vor, dass man einmal ein Kind in unaufschiebbarer Sache irgendwo hin schicken muss, so sehe, man doch darauf, dass das Kind ungesäumt wieder heim kommt. Früh genug noch nehmen die Jungen die Eindrücke der Strasse in sich auf.

Fast wäre man versucht, die früheren Zeiten wieder herbeizuwünschen, wo die älteren Burschen die Strassenpolizei besorgten und so den Eltern gewissermassen ihre halbwüchsigen Burschen ordnen halfen. Bei der heutigen Gefühlsduselei ist sowas immerhin nicht mehr möglich.

Höchste Zeit aber ist es, dass die geschilderten Zustände ausgemerzt werden. Was müssen die fremden Leute für Eindrücke aus unserm Lande fortnehmen, wenn ihnen zu später Stunde noch solche Knirpse begegnen? Also auf ans Werk, bevor es zu spät ist.

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[1] L.Vo. 30.11.1917, S. 1.