Handschriftliches Schreiben von Augustin Marogg, Wilhelm Beck, Gustav Schädler und Eugen Nipp, gez. dies., an die Regierung [1]
11.1.1922, Vaduz
Hohe Fürstliche Regierung in Vaduz
Angesichts der grossen Arbeitslosigkeit in Liechtenstein erlaubt sich hiemit die Verbandsleitung des Liechtenst. Arbeiter-Verbandes sowie auch mit unterzeichnete Politische Parteiführer, der hohen fürstlichen Regierung folgende Vorschläge zu unterbreiten:
I. Die hohe fürstl. Regierung sorgt dafür, dass sofort notwendige Arbeiten am Rheine und den Rüfen als Notstands-Arbeiten ausgeführt werden.
II. Die hohe fürstl. Regierung sorgt dafür, dass die von Seiner Durchlaucht dem Fürsten Johan [Johann II.] bewilligten Arbeiten auch sofort durchgeführt werden, damit ein Teil dieser bedauernswerten Arbeitslosen an diesen Arbeiten beschäftigt werden könnten.
III. Die hohe fürstl. Regierung beordned sofort, dass ein der französischen Sprache kundiger Liechtensteiner in die zerstörten Gebiete nach Franchreich und Belgien entsand wird, um für die hissigen Arbeiter dort Arbeitsgelegenheit ausfindig zu machen und auch bei den competenten Behörden in Frankreich u. Belgien die Einreiseformalitäten zu beschleunigen. [2]
IV. Die hohe fürstl. Regierung soll die fürstl. Gesandschaft in Bern beauftragen, dass dieselbe sofort bei der Holländischen Gesandschaft sich erkundigt, wie es in Holland mit den Arbeitsgelegenheiten bezgw. mit der Einreise nach Holland sich verhält. [3]
V. Es soll sofort dahin gewirkt werden, dass die ausländischen Arbeiter auf der Grenze zurückgewiesen werden, das heisst, es habe jeder, der das Land betritt, eine Bewilligung bei der fürstl. Regierung, bevor er die Grenze übertritt, ein zu holen, andernfall ist keinem Arbeiter die Einreise zu gestatten und hätte die Regierung, bevor eine Bewilligung diesbezgl. erteilt würde, sich über den Stand des inländischen Arbeitsmarktes zu erkundigen und demselben Rechnung zu tragen. [4]
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[1] LI LA RE 1922/0168 ad 0013. Eugen Nipp hielt dabei fest, dass er mit den Forderungen im Prinzip einverstanden sei und die Sache wärmstens befürworte, aber nicht als Parteiführer handle. Eingangsstempel der Regierung vom 12.1.1922. Vermerk von Regierungschef Josef Ospelt vom 27.1.1922, wonach sich die Angelegenheit mit Zl. 316 [ex 19]22 erledige (vgl. LI LA RE 1922/0316 ad 0013). Stenographische Randbemerkungen.
[2] Gemäss Aktennotiz der Regierung vom 28.1.1922 reiste der liechtensteinische Gesandtschaftsattaché in Wien, Josef Hoop, in Begleitung des Triesenberger Gipsers Johann Schädler nach Frankreich, um an Ort und Stelle Erkundigungen über die Arbeitsverhältnisse einzuziehen (LI LA RE 1922/0444 ad 0013). Vgl. in diesem Zusammenhang O.N., Nr. 12, 11.2.1922, S. 2-3 ("Bericht über das Ergebnis der Informationsreise in die zerstörten Gebiete Frankreichs"). Nach der Aktennotiz der Regierung vom 24.5.1922 teilte der liechtensteinische Geschäftsträger in Bern, Emil Beck, mündlich mit, dass das französische Konsulat in Zürich beauftragt sei, 50 liechtensteinischen Arbeitern das Einreisevisum ohne Beibringung einer Arbeitsbewilligung zu erteilen (LI LA RE 1922/2313 ad 0013). In der Folge reisten ca. 25 Bauarbeiter nach Frankreich.
[3] Die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien wurde mit Schreiben der Regierung vom 25.4.1922 beauftragt, "sofort mit der holländischen Vertretung Verhandlungen über die Arbeitsbeschaffung in Holland" einzuleiten, "nachdem sich die Arbeitereinreisen nach Frankreich schwieriger gestalten und die Verhandlungen mit der Schweiz wegen Arbeitereinreise sich in die Länge ziehen" (LI LA RE 1922/1823 ad 0013). Die Gesandtschaft antwortete der Regierung am 19.5.1922, dass in Holland eine sehr bedeutende Arbeitslosigkeit herrsche, sodass an einen "Arbeiterimport" dorthin nicht gedacht werden könne (LI LA RE 1922/2265 ad 0013).
[4] "Um die liechtensteinischen Arbeiter vor der grossen Konkurrenz der ausländischen, besonders der österreichischen Arbeiter, zu schützen", bestimmte die Regierung mit Erlass vom 25.2.1922, dass die Arbeitsannahme jeder Art durch Ausländer an die Bewilligung derjenigen Ortsvorstehung gebunden war, in deren Gemeinde die Arbeit verrichtet wurde (LI LA RE 1922/ad 0778). Die Regierung zog dann aber mit Kundmachung vom 19.5.1922 die Erteilung von Arbeitsbewilligungen für fremde Arbeiter, Knechte und Mägde an sich. Bewilligungsvoraussetzung war die Bestätigung der liechtensteinischen Arbeitsnachweisstelle in Triesen, dass dagegen vom Standpunkt des liechtensteinischen Arbeitsmarktes nichts einzuwenden war. Arbeiter, auch Fabrikarbeiter, die im kleinen Grenzverkehr nach Liechtenstein einreisten und täglich wieder ins Ausland zurückkehrten, hatten ebenfalls um die Arbeitsbewilligung einzuschreiten (LI LA RE 1922/2237 ad 0778).