Die liechtensteinische Regierung sagt österreichischen Vertretern die Vorstreckung des Ruggeller Hochwuhres bis zur liechtensteinisch-österreichischen Wuhrgrenze unter der Bedingung zu, dass österreichischerseits die Zusicherung für die Regulierung des Spiersgrabens erteilt wird


Handschriftliches Protokoll, gez. Landesverweser Karl von In der Maur, Landestechniker Gabriel Hiener, Landesausschussmitglied Franz Schlegel, Ortsvorsteher Franz Josef Hoop, Wuhrkommissär Andreas Hasler, Wuhrkommissär Heinrich Brunhart, Wuhrkommissär Josef Beck, Wuhrkommissär Franz Josef Wachter, Wuhrkommissär Johann Hasler und Wuhrkommissär Raimund Tschol, ferner k.k. Baurat Michael Wagner, k.k. Oberingenieur Theodor Pawlik, k.k. Bezirksoberkommissär Daniel Gennari, Landesoberingenieur Paul Ilmer, Gemeindevorsteher Josef Rheinberger, Gemeinderat Martin Herburger und Gemeinderat Alois Müller [1]

26.2.1907, Bendern

Protocoll

aufgenommen am 26. Februar 1907 im "Gasthaus zum Deutschen Rhein" in Bendern, Fürstenthum Liechtenstein

Gegenwärtig:

Von Seite der fürstl. liechtenst. Regierung:

Kabinettsrat [Karl] von In der Maur, Landestechniker Gabriel Hiener, Franz Schlegel in Vertretung des liechtenst. Landesausschusses, Ortsvorsteher Franz Josef Hoop aus Ruggell, die Mitglieder der Liechtenst. Wuhrcommission: Heinrich Brunhard [Brunhart] aus Balzers, Raimund Tscholl [Tschol] aus Triesen, Fr. Jos. [Franz Josef] Wachter aus Vaduz, Josef Beck aus Schaan, Johann Hasler aus Gamprin, Andreas Hasler aus Ruggell.

Von Seite der k.k. österr. Regierung:

k.k. Baurat Michael Wagner als Vertreter der k.k. Statthalterei in Innsbruck, Theodor Pawlik, k.k. Oberingenieur und Rheinbauleiter, k.k. Bezirks-Obercommissär Daniel Gennari in Vertretung der k.k. Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, Paul Ilmer, landsch. Oberingenieur in Bregenz in Vertretung des Landesausschusses für Vorarlberg, Josef Rheinberger, Gemeindevorsteher in Altenstadt, Martin Herburger, Gemeinderat von Altenstadt, Alois Müller dto. 

Gegenstand:

ist die commissionelle Verhandlung betreffend die Ergänzung der Rheinversicherungsbauten in der liechtenst. Gemeinde Ruggell, vorgenommen im Grunde der Statthalterei Note vom 16. Febr. 1907, Z. 8823. [2]

Die Mitglieder der Commision trafen um ½ 10 Uhr vormittags bei der österr. liechtenst. Wuhrgrenze zusammen und begingen gemeinschaftl. die Dammstrecke aufwärts gegen Ruggell zu, wobei mehrfach Gelegenheit genommen wurde, die einschlägigen Verhältnisse aufgrund des gepflogenen Augenscheins einer Erörterung zu unterziehen.

Nach den von der Rheinbauleitung in Bregenz gepflogenen Erhebungen, wobei die von der St. Gallen’schen Rheinkorrection vom Hochwasser 29./30. August 1890 gemachten Wasserspiegelaufnahmen und die von der internationalen Rheinregulierungs Commission durchgeführten Sohlenaufnahmen des Rheines in Betracht gezogenen wurden, [3] ergibt sich, dass der Rheindamm vom Ende der Hochwuhr bis 700 m oberhalb der österr.-liechtenst. Wuhrgrenze derart niedrig veranlagt ist, dass im Falle, als ein ähnlich grosses Hochwasser eintreten würde, die eminent grosse Gefahr der Überfluthung des Rheindammes in der genannten Strecke vorhanden ist. Da die Fortsetzung des Binnendammes nach aufwärts in einer nahezu horizontalen Linie erfolgt, so ist die Gefahr der Überfluthung auch in der oberen Strecke in gleichem Maasse vorhanden, wenn vom Ende der Halbhochwuhr lediglich das Rückstauwasser berücksichtigt wird. Der eben beschriebene Damm ist aber auch sonst schwach veranlagt und gilt letzteres auch von der 700 m langen Anschlussstrecke an die österr. liechtenst. Wuhrgrenze.

Da nun die Erfahrung für die aussergewöhnlichen Rheinhochwässer einen 15-17 jährigen Turnus ergibt, so ist, da im heurigen Jahre der Turnus abläuft, in einem der allernächsten Jahre ein aussergewöhnliches Hochwasser zu gewärtigen. Wird nun in Betracht gezogen, dass das Hochwasser im Jahre 1890 nicht einmal das Höchste war und von jenem im Jahre 1868 noch wesentlich übertroffen wurde, ferner darauf Rücksicht genommen, dass sich seit dem Jahre 1890 die Rheinsohle in der gegenständlichen Strecke um 50-60 cm durch Auflandung erhöht hat, so ist der gegenwärtige Zustand des Binnendammes als ein höchst bedrohlicher zu bezeichnen und wird dieses auf Grund der technischerseits gelieferten Behelfe von der Commission einstimmig anerkannt.

Ein eventueller Einbruch des Rheines in das Binnenland wäre nicht nur für die liechtenst. Gemeinde Ruggell, sondern auch insbesondere für die österr. Ortschaft Bangs von den unheilvollsten Folgen begleitet.

Bei dieser Sachlage besteht rücksichtlich des in Rede stehenden Dammes die grösste Gefahr im Verzuge von Sicherungsarbeiten. Im Hinblick auf die vorgeschrittene Jahreszeit und die ungünstigen Schneeverhältnisse, welche beim Eintreten wärmerer Witterung das baldigste Anschwellen des Rheines im Gefolge haben werden, lassen sich leider im jetzigen Frühjahr keine besonderen, die Gefahr ganz ausschliessenden Massregeln treffen, weil die Kiesbänke des Rheins, aus welchen das Material für die Schutzmassregeln bezogen werden soll, in Bälde überfluthet sein werden.

Von Seite der Vertreter der fürstl. liechtenst. Regierung wird, nachdem die mit den Verhältnissen des Rheins zumeist schon seit Jahrzehnten genau vertrauten und in ihren Angaben durchaus verlässlichen Wuhrcommissäre und speziell auch jener von Ruggell ihre Meinung in dieser Sache eingehend dargelegt hatten, nach dem Ergebnisse der Verhandlung die Zusicherung abgegeben, das Ruggeller Hochwuhr bis zur österr.-liechtenst. Wuhrgrenze mit einer Dammkronenbreite von mindestens 3.5 m, bei einer wasserseitig 1 ½ fussigen, abgepflasterten und landseitig 2 fussigen Böschung, bis Ende des Frühjahres 1908 vorstrecken zu wollen, falls dies nicht etwa durch besondere und nicht vorherzusehende Elementarereignisse wider Vermuthen verunmöglicht würde und falls die Regulierung des Spirsgrabens von der österr. liechtenst. Landesgrenze an bis spätestens zu Ende des Jahres 1907 sichergestellt und das der fürstl. Regierung bis dahin mitgetheilt würde. Sollte dies bis zu dem gedachten Zeitpunkte nicht geschehen, so beabsichtigt die fürstl. Regierung gleichwohl die fragliche Rheinhochwuhrstrecke binnen zwei Jahren vom Frühjahr 1907 angefangen auszubauen, falls nicht etwa besondere Elementarereignisse oder anderweitige nicht zu überwindende Hindernisse eintreten würden. Die fürstl. Regierung behält sich übrigens bei dem Umstande, als während der heutigen Verhandlung auch die Frage einer gesonderten Ableitung des ohnehin zum grössten Theile aus Österreich stammenden Eschewassers über österr. Gebiet zur Sprache gebracht wurde, vor, im geeigneten Zeitpunkte auf diese Frage zurückzukommen, um eine solche Ableitung, die im eminenten Interesse des liechtensteinischen Unterlandes gelegen wäre, wenn einigermassen thunlich, zu bewerkstelligen. –

Der Gemeindevorsteher von Altenstadt weist über Anregung der Rheinbauleitung Bregenz darauf hin, dass zum Noth-Schutze gegen das nächste Hochwasser am Ende des jetzigen Hochwuhres eine aus Rheinkies bestehende Traverse hergestellt und der Binnendamm in der Strecke von Profil 13 bis Prof. 7 auf verglichen 0.7 m provisorisch erhöht werden sollte. In dieser Hinsicht wird die Gemeinde Altenstadt mit der Gemeinde Ruggell das entsprechende Einvernehmen pflegen. [4]

Die österr. Mitglieder der Commission nehmen Vorstehendes zur Kenntnis und bemerken rücksichtlich der eventuellen Ableitung des Eschewassers über österr. Gebiet, dass auf diese Frage, als nicht Gegenstand der heutigen Verhandlung, nicht eingegangen werden konnte und daher der Entscheidung der competenten Behörden in keiner Weise vorgegriffen worden ist.

Der Delegierte des vorarlberg. Landesausschusses erklärt, das Ergebniss der heutigen Verhandlung zur Kenntniss des Landesausschusses bringen zu wollen und ersucht zu diesem Behufe um Übermittlung einer Abschrift dieses Protocolles. Der Gemeindevorsteher von Altenstadt ersucht um eine Protocollsabschrift.

Der Vertreter der fürstl. liechtensteinischen Regierung übergibt dem Vertreter der k.k. Statthalterei in Innsbruck die mit den Statthalterei Noten vom 17. Dez. 1906, Zl. 64136, [5] und vom 25. Januar 1907, Zl. 3810, [6] der fürstl. liechtenst. Regierung zur Verfügung gestellten technischen Behelfe.

Dieses Protokoll wurde in 2 Originalen verfasst, wovon das eine der Vertreter der fürstl. liechtenst. Regierung, das andere der Vertreter der k.k. Statthalterei in Innsbruck übernimmt.

Somit nach dem Ablesen geschlossen und allseitig gefertigt. [7]

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[1] LI LA RE 1907/0358 ad 0007/0152. Eingangsstempel der Regierung vom 27.2.1907. Vermerk von Josef Ospelt vom 4.10.1907 betreffend die Abfassung von 4 Abschriften. Weiters ein Vermerk von Landesverweser Karl von In der Maur für einen Erlass an Landestechniker Gabriel Hiener, demzufolge dieser aufzufordern ist, über die laut dem Kommissionsprotokoll vorzunehmenden Arbeiten ein Projekt samt Kostenvoranschlag bis Ende Juni des Jahres in Vorlage zu bringen. Maschinenschriftliche Abschrift des Protokolls ebd. mit Papiersiegel der liechtensteinischen Regierung.
[2] Mit Schreiben an die liechtensteinische Regierung vom 16.2.1907 hatte die k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg ihr Einverständnis für den Zusammentritt der Lokalkommission betreffend die Verstärkung der Rheinbinnendämme in der Gemeinde Ruggell am 26.2. erklärt. Als Vertreter der Statthalterei an der kommissionellen Verhandlung waren k.k. Baurat Michael Wagner und k.k. Rheinbauleiter Theodor Pawlik abgeordnet worden. Gleichzeitig waren der Vorarlberger Landesausschuss, die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch und die Gemeinde Altenstadt zwecks Entsendung je eines Vertreters verständigt worden (LI LA RE 1907/0286 ad 0007 (Aktenzeichen der Statthalterei: 8823)).
[3] Vgl. in diesem Zusammenhang das Längenprofil mit Darstellung des Hochwassers vom 29./30.8.1890, 15./16.6.1901 und vom 28.9.1885 in der Gemeinde Ruggell im Anschluss an die österreichische Wuhrgrenze (LI LA RE 1907/0265 ad 0007).
[4] Vgl. in diesem Zusammenhang das Schreiben des k.k. Rheinbauleiters Theodor Pawlik an die liechtensteinische Regierung vom 7.3.1907 betreffend einen zuhanden der Gemeinde Altenstadt erstellten Vorschlag für die Ausführungsmodalitäten (LI LA RE 1907/0426 ad 0007/0286 (Aktenzeichen der Rheinbauleitung: Zahl 195)).
[5] Die k.k. Statthalterei in Innsbruck hatte sich mit Schreiben vom 17.12.1907 an die liechtensteinische Regierung zwecks Einberufung einer Lokalkommission aus liechtensteinischen und österreichischen Vertretern gewandt, welche die Modalitäten der dringenden Instandsetzungsarbeiten an den Rheinschutzdämmen in der Gemeinde Ruggell festsetzen und Anträge über die Bedeckung der hiezu erforderlichen Kosten stellen sollte (LI LA RE 1906/2434 ad 1112 (Aktenzeichen der Statthalterei: 64136)).
[6] Mit dem Schreiben der k.k. Statthalterei an die liechtensteinische Regierung vom 25.1.1907 wurde auf die Sohlenerhöhungen im Rhein sowie auf die Gefahr einer Überströmung des Dammes im Fall eines Hochwassers wie im Jahre 1890 hingewiesen: "Bei dieser Sachlage dürfte die sofortige Durchführung von entsprechenden Massnahmen im beiderseitigen Interesse liegen …" (LI LA RE 1907/0181 ad 0007 (Aktenzeichen der Statthalterei: 3810)). Die liechtensteinische Regierung hatte der Statthalterei gegenüber am 27.12.1906 erklärt, dass sie eine aus dem gegenwärtigen Zustande der Dämme erwachsende Gefahr nicht anzuerkennen vermöge und kein Anlass vorliege, auf Grund einer einseitigen technischen Meinung ohne weiteres unverhältnismässig hohe und teilweise überflüssige Kosten aufzuwenden. Sie hatte dabei auch die – entgegen der an der kommissionellen Verhandlung vom 16.12.1901 von den österreichischen Vertretern gegebenen Zusicherung – weiterhin ausstehende Regulierung des Spiersgrabens kritisiert (LI LA RE 1906/2434 ad 1112)
[7] Vgl. auch das Protokoll über die kommissionelle Verhandlung in Ruggell am 13.3.1907 über die im Sinne des Protokolls vom 26.2. im laufenden Jahr am Ruggeller Rheindamm durchzuführenden Notschutzbauten (LI LA RE 1907/0469 ad 0007/0286).  – Vgl. in weiterer Folge das Schreiben von Landesverweser In der Maur an den Landesausschuss vom 10.10.1907 (LI LA RE 1907/1594 ad 0007; LI LA LTA 1907/S21/1) sowie das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 14.11.1907 (LI LA LTA 1907/S04/2).