Wilhelm von Bode würdigt anlässlich des 50. Regierungsjubiläums von Fürst Johann II. dessen kulturelles Engagement (1. Teil)


Vom Liechtensteiner Volksblatt aus der Freien Presse vom 12.11.1908 übernommener Zeitungsartikel[1]

Fürst Johann II. von Liechtenstein als Kunstmäcen. 

Unter diesem Titel veröffentlicht der bekannte Geheimrat Wilhelm Bode, Generaldirektor der königl. Museen zu Berlin im Morgenblatte der „Neuen Freien Presse"[2] vom 12. Nov. eine interessante, das Wirken unseres Fürsten auf dem Gebiete der Kunst betreffende Studie, der wir folgendes entnehmen:

Wollten wir heute zum Tage, den Tausende in Österreich und im Fürstentum feiern, nur eine kurze Übersicht über das geben, was der Fürst für die bildende Kunst getan hat, so würde das einen Band füllen; ist doch selbst das umfangreiche Werk von Höss (Fürst Johannes II. von Liechtenstein und die bildende Kunst)[3] im wesentlichen nur eine Aufzählung der Hunderte von Burgen, Schlössern, Kirchen und anderen öffentlichen Bauten, die der Fürst erbaut, erweitert und restauriert hat, eine knappe Zusammenstellung der zahlreichen Kunstwerke, die er seinen eigenen Sammlungen und den Museen Österreichs zuerworben hat, der Verdienste, die er um die Förderung der Kunst und der Kunstwissenschaft gehabt hat. Diese Aufzählung wird selbst die Wenigen, welche die Tätigkeit des Fürsten Johannes nach dieser Richtung beobachten konnten, in Erstaunen setzen. Die grossartigen Stiftungen moderner amerikanischer Männer, vor allen die von Carnegie, erscheinen daneben, so zahlreich und bedeutend sie sind, doch einförmig und einseitig; denn sie wiederholen sich nach einer gewissen Schablone, während jene ausserordentlich mannigfaltig sind und stets einen mehr oder weniger persönlichen Charakter tragen. Gerade diesen vermutet man beim Fürsten von Liechtenstein wohl am wenigsten, denn so bekannt sein Name ist, namentlich in Österreich, so wenig weiss man von ihm persönlich. Es gilt von ihm als ausgemacht, dass er menschenscheu ist und völlig einsam lebt; man ahnt nicht, dass dieser „grösste Menschenfeind", wie man ihn sich denkt, in Wahrheit der grösste Menschenfreund ist, dass er keine grössere Freude kennt als wohlzutun, dass er alle wahrhaft edlen Bestrebungen aus seinen reichen Mitteln zu fördern sucht. Seine Einsamkeit benützt er, um jeder Gabe, jeder Stiftung einen besonderen Stempel aufzudrücken, dem Empfänger besonders erfreulich zu machen, um die Sammlungen, Bauten und so fort dem Ort, dem Institut, der Person möglichst anzupassen und sie dadurch doppelt erwünscht, doppelt passend zu gestalten. Unter denen, die gelegentlich ein Einsehen in diese Tätigkeit, in die Absichten und das Vorgehen des Fürsten hatten und die dadurch zugleich persönlich in Beziehung zu ihm traten, war es dem Schreiber dieser Zeilen vergönnt, gerade nach einer bestimmten Richtung ihn beobachten und ab und zu ihm auch helfen zu können: beim Sammeln der Kunstwerke und bei der Austeilung derselben an die verschiedensten Kunstinstitute Österreichs. Einige Worte darüber an dieser Stelle und an diesem Tage werden über dem Ausdruck der Dankbarkeit, zu der auch ich ihm verpflichtet bin, vielleicht dazu beitragen, auch auf die edle Persönlichkeit dieses allbekannten grossen Unbekannten einige Streiflichter zu werfen.

Der junge Fürst hat, nachdem er durch Reisen in Italien, Deutschland u.s.f. und namentlich durch einen längeren Aufenthalt in England die grossen Kunstsammlungen kennen gelernt und mit der Freude an der Kunst das Verständnis dafür gefestigt hatte, zunächst auf die Vervollständigung der grossen Sammlungen, die seine Vorfahren seit mehr als einem Jahrhundert zusammengebracht hatten, sein Augenmerk gerichtet. Die Liechtenstein-Galerie, die hervorragendste Gemäldesammlung in Privatbesitz, war nach verschiedenen Richtungen sehr unvollständig; eine systematische Vermehrung in dem grossen Stil, wie sie angelegt war, hat er sich daher von vornherein zum Ziel gesetzt, und dieses Ziel hat er seither in konsequenter Weise verfolgt, obgleich ihm dabei durch seine Stellung, seine leidende Gesundheit und die dadurch bedingte Abgeschlossenheit mancherlei Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten hemmend entgegentraten. Die erste wichtige Erwerbung für die Liechtenstein-Galerie, deren ich mich erinnere, machte der Fürst unter Beihilfe einer Wiener Kunstautorität kurz vor dem Kriege 1870: zwei prächtige Porträts von Terborch und einen grossen Hobbema. Aber wie jene damals überzahlt waren, so stellte sich dieses Bild leider als eine Fälschung heraus. War Fürst Johannes durch diesen unglücklichen Anfang zwar keineswegs entmutigt, aber doch gegen die Ratschläge seitens der Sachverständigen schon misstrauisch geworden, so mussten ihn die Angriffe, die er einige Jahre später von dieser Seite wegen Ausmusterung einer Reihe meist ganz geringer Gemälde aus der Galerie erfuhr, noch mehr dazu führen, sich auf sein eigenes Urteil zu verlassen. Im Kunsthandel und in den Versteigerungen, die damals auch in Wien günstige Chancen boten, musste er sich mehr, als er wünschte, an das Ausland wenden, da gerade in Wien bedauerliche Pressionen von einer damals hervorragenden Persönlichkeit im Kunsthandel gegen ihn ausgeübt wurden. Auf regelmässigen Reisen nach Italien hat der Fürst, der sich namentlich in Venedig und in Florenz gern aufhielt, die Gelegenheit, die sich dort damals bot, benützt, um von den in der Liechtenstein-Galerie fast fehlenden primitiven Italienern hervorragende Gemälde zu erwerben. Die altniederländische Schule erhielt gleichzeitig hervorragende Bereicherung. Die Holländer, die im Gegensatz zu den ebenso zahlreichen wie ausgezeichneten Bildern von vlämischen [sic !] Meistern in der Liechtenstein-Galerie bis dahin fast nur durch überreichlich vorhandene Gemälde zweiter und dritter Maler vertreten waren, hat Fürst Johannes in gleich glücklicher Weise durch Werke der hervorragendsten Künstler vermehrt.

Gleichzeitig hatte der Fürst, der die Reisen in Italien vor allem auch dazu benützt, für die Herstellung seiner Burgen und Schlösser treffliche Ausstattungs- und selbst Baustücke aller Art zu beschaffen, auch eine reiche Sammlung von Werken der Plastik und des Kunsthandwerkes, namentlich italienischer Herkunft, angelegt. Diese waren anfangs in dem dem Publikum unzugänglichen, sogenannten Museum im Erdgeschoss[4] untergebracht; erst in der Mitte der Neunzigerjahre hat sie der Fürst aus diesen Räumen in die oberen Säle verlegt und neben den Gemälden in übersichtlicher und geschmackvoller Weise zur Aufstellung gebracht. Treffliche Madonnenreliefs und Stuckreliefs sind neben zahlreichen Bronzen, neben einer gewählten Sammlung von Majoliken, trefflichen italienischen Möbeln und anderen kunstgewerblichen Arbeiten in so reicher Zahl und guten Werken vereinigt, wie nur in wenigen öffentlichen Sammlungen. Durch die Mischung mit solchen Arbeiten hat die Liechtenstein-Galerie auch in ihrer Erscheinung ausserordentlich gewonnen.

Der Fürst hatte neben seinen eigenen Sammlungen schon von vornherein auch den öffentlichen Sammlungen Wiens sein Interesse zugewendet, namentlich dem Österreichischen Museum und bald auch der Akademiesammlung. Nachdem das Palais am Alsergrund aber durch seine Erwerbungen bald überfüllt war, nachdem die Burgen wieder in Stand gesetzt und reich ausgestattet waren, wandte sich die Fürsorge des Fürsten mehr und mehr gerade den Museen zu, nicht nur in Wien, sondern in ganz Österreich, soweit die Liechtenstein'sche Herrschaft reicht. Ein besonderer Anlass gab den Anstoss, dass diese Gaben besonders reichlich und wertvoll wurden. Verschiedene wertvolle Wiener Sammlungen alter Bilder kamen in den Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre teils in Wien selbst, teils in Paris zur Versteigerung, seitens der Händler suchte man auf den Fürsten Johannes einen Druck auszuüben, um ihn zu stärkerer Beteiligung daran zu zwingen. Schliesslich verlangte man sogar, dass er eine solche Sammlung, der die Versteigerung wenig günstige Aussicht bot, vor der Auktion als Ganzes erwürbe; man drohte, für den Fall, dass er darauf nicht eingehe, mit einer abfälligen Kritik seiner bisherigen Erwerbungen für die Liechtenstein-Galerie. Der Fürst liess sich nicht einschüchtern, aber auch der Händler führte seine Drohung aus. Für seine niederträchtige Absicht fand er ein Subjekt, das für alle Unwahrheiten sich mit seiner Unkenntnis entschuldigen konnte. In eine angesehene Wiener Zeitung wusste er einen Artikel einzuschmuggeln, der gerade die trefflichsten Erwerbungen des Fürsten, an denen er mit besonderer Liebe hing, als elende Fälschungen an den Pranger stellte. Die Wirkung dieses Aufsatzes war leider der gewollte; die Leute glaubten daran wie an allen Klatsch, und der Fürst war aufs tiefste verletzt, so sehr, dass er jene geschmähten Bilder aus der Galerie verbannte und die Galerie für das Publikum schloss. Eine so harte Massregel konnte der gutherzige Fürst, der ja seinen grossen Kunstbesitz gewissermassen als Gemeingut aller Kunstfreunde ansieht, freilich nicht lange aufrecht erhalten, allein die Freude an jenen Bildern war ihm für immer verleidet. Er wollte sie aber deshalb Österreich nicht entziehen und entschloss sich zur allmählichen Schenkung an die verschiedensten öffentlichen Sammlungen, deren Bereicherung seither mehr und mehr das Ziel beim Sammeln des Fürsten geworden ist. Kaum eines der vielen verschiedenartigen Museen in den österreichischen Provinzen, in denen der Fürst zu Liechtenstein begütert ist, ist dabei leer ausgegangen. In Wien hat die Akademiegalerie[5]mehrere Dutzend Bilder geschenkt erhalten; mehrere der besten alten Stücke des Österreichischen Museums für Kunstgewerbe sind vom Fürsten geschenkt worden; die Galerie des Historischen Museums der Stadt Wien verdankt fast allein seiner Munifizenz, dass die Geschichte der Malerei in Österreich darin in ganz einziger Weise vertreten ist. Die Museen in Graz, Linz, Prag, Brünn, Bozen, Troppau sind in ähnlicher Weise von ihm bereichert worden. (Schluss folgt).

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[1] L.Vo. Nr. 48, 27.11.1908, S. 1-3.
[2] Die „Neue Freie Presse“ (NFP) erschien 1864 bis 1939 und galt als führendes Blatt der Habsburgermonarchie. Sie wurde insbesondere vom liberalen Bildungsbürgertum gelesen.
[3] Karl Höss; Fürst Johann II. von Liechtenstein und die bildende Kunst. Wien, 1908
[4] Im Palais in der Rossau in Wien.
[5] Galerie der Akademie der bildenden Künste Wien.