Die Finanzkommission empfiehlt dem Landtag die Annahme der Regierungsvorlage betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung


Gedruckter Bericht der Finanzkommission an den Landtag, nicht gez. [1]

o.D. (vor dem 27.12.1917)

Regierungsvorlage betreffend das Landtagswahlrecht [2]

(Referent: Dr. [Wilhelm] Beck)

Bekanntlich gilt bei uns das indirekte Wahlrecht als sog. Wahlmännerwahlrecht, [3] bei dem weniger der Wille der Wähler als der Wahlmänner in der Zusammensetzung des Landtages zum Ausdruck kommt. Das indirekte Wahlrecht mit seiner Rechtfertigung gehört heute fast überall der Geschichte an. Nicht nur die reine Institution an sich, sondern die Entwicklung staatlichen Lebens, vor allem der Wandel politischer Anschauungen, haben es allmählich zu den Tatsachen der Rechts- und vor allem der politischen Geschichte gestellt.

Neue Zeiten rufen neuen Einrichtungen. Zu ihnen gehört auch das direkte Wahlrecht. Nicht nur liegt ihm ein formeller Unterschied gegenüber dem indirekten Wahlrecht zu Grunde, nein, seine Bedeutung kommt überhaupt in der Wertschätzung des Volkswillens und seiner Teile im staatlichen Leben, in seiner Ausprägung des Staatsangehörigen als Aktivbürger zum Ausdruck. Dem indirekten Wahlrecht ist vor allem die erzieherische Eigenschaft, die Anteilnahme des Bürgers an öffentlichen Angelegenheiten zu wecken, nur in bescheidenem Rahmen eigen. Anders beim direkten Wahlrecht, wo der einzelne Bürger seine Stellung und Bedeutung für und im Staate viel eher begreifen und lernen kann.

Zum direkten Wahlrecht gesellt sich das geheime. Nur kurz sei angetönt, dass hervorragend wirtschaftliche und politische Momente in heutiger Zeit für ein geheimes Wahlrecht sprechen.

Wir wollen nun die Grundzüge des neuen Wahlrechtes streifen. Der Landtag wird auch weiterhin aus 15 Mitgliedern bestehen. Auf rund 900 Einwohner kommt ein vom Volke gewählter Abgeordneter. Das Oberland und Unterland bilden je einen Wahlbezirk: 7 Abgeordnete werden von der wahlfähigen Bevölkerung des Oberlandes (der ehemaligen Grafschaft Vaduz) und 5 Abgeordnete von jener des Unterlandes (der ehemaligen Freiherrschaft Schellenberg) durch das absolute Mehr aus allen abgegebenen giltigen Stimmen gewählt. [4] Beibehalten wird (leider) das Institut der Ersatzmänner (3 im Oberland, 2 im Unterland). Die Wahlausschliessungsgründe bleiben die des bisher geltenden Rechts. Neu ist aber, dass ein Abgeordneter, der nachträglich wahlunfähig wird, seines Mandates verlustig geht. Neu gegenüber früher ist insbesondere, dass der Wähler mindestens ein halbes Jahr im Lande gewohnt haben muss. Arbeiter und überhaupt Leute, die z.B. während des grössten Teiles des Jahres im Auslande arbeiten, aber im Winter zu ihren Angehörigen in ihr Haus oder zu ihrer Familie zurückkehren, sind aber nach einhelliger Ansicht der Kommission als im Lande ständig wohnend und daher als wahlberechtigt zu betrachten. Das ist sehr wichtig für unsere Wanderbevölkerung, denn sonst käme sie ja um ihr Aktivbürgerrecht. Im Inlande kann jemand übrigens nur einen Stimmrechtswohnsitz haben.

Besonders wichtig ist auch die Neuerung, dass in der Regel (Ausnahmen bei Regierungswechsel und Auflösung des Landtags) die Wahlen nun fürderhin im ersten Quartal des Wahljahres stattzufinden haben. Bisher fanden die Wahlen regelmässig im August bis September statt. Zu dieser Zeit waren aber viele wahlberechtigte Bürger als Alpknechte, als Bauhandwerker etc. abwesend; sie waren daher tatsächlich um ihr Stimmrecht gebracht. Da zudem jene Zeit mit Rücksicht auf die strengen landwirtschaftlichen Arbeiten ungeeignet war, so trifft nun der Entwurf die Bestimmung, dass die Wahlen in der sog. „stillen“ Zeit stattzufinden haben. Es wird, wenn auch die Bauarbeiter zu ihrem Stimmrecht kommen sollen, die Wahl spätestens im Februar – nicht gerade in der Fasnacht – stattzufinden haben.

Der Entwurf hält am System der Wahllisten fest und kommt das System der Stimmkarten, wie es sonst heute meist vorkommt, im Interesse der Vereinfachung des Wahlverfahrens nicht. Ins Wahlbureau müssen auch Vertreter allfälliger Minderheiten gewählt werden, um Misstrauen möglichst zu beseitigen. Die Hauptwahlen sollen möglichst an einem Tage durchgeführt werden. Das System der Wahlkommissäre ist mit Ausnahme bei Ausmittlung der Wahlergebnisse in den Hauptwahlorten (Vaduz und Mauren) fallen gelassen worden. Es haben nun die Wähler in ihrer Wohngemeinde die betr. Anzahl Abgeordnete mittelst freien Stimmzetteln geheim zu wählen. Die Gemeinde-Wahlkommissionen ermitteln die auf eine Person entfallenden Stimmen, stellen die Ergebnisse zusammen und übermitteln sie der Wahlkommission des Hauptwahlortes, welche nun zu ermitteln hat, ob jemand das absolute Mehr im Wahlbezirk erreicht habe oder nicht. Gewählt ist, wer das absolute Mehr erreicht hat. Ist dies nicht der Fall oder haben nicht alle Kandidaten das absolute Mehr erreicht, so entscheidet im zweiten – an einem späteren Tage stattfindenden – Wahlgange das relative Mehr. Ebenso bei den Ersatzmänner-Wahlen. Es wird gut sein, dass die Wähler im zweiten Wahlgange auf den Unterschied der Wahlen der Abgeordneten und deren Ersatzmänner aufmerksam gemacht werden. Im Grunde ist die nun zur Ausführung gelangende Landtagswahl ein Abbild der geheimen Gemeindewahlen.

Hinsichtlich der Einzelheiten verweisen wir auf den Entwurf, da es sich hier nur um einige Grundzüge handeln kann.

Ihre Kommission empfiehlt Ihnen den Entwurf zur Annahme. [5]

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[1] LI LA LTA 1917/L01 (Ziff. 2 der undatierten Tagesordnung des Landtagspräsidiums für die auf den 27.12.1917 und die noch zu bestimmenden Tage anberaumten Landtagssitzungen). In die „Fünferkommission“ waren vom Landtag am 30.10.1917 Albert Schädler, Emil Batliner, Meinrad Ospelt, Franz Josef Marxer und Wilhelm Beck gewählt worden (vgl. das Protokoll der Eröffnungssitzung des Landtags unter LI LA LTA/S04/2).
[2] Die undatierte Regierungsvorlage findet sich in LI LA LTA 1917/S04/1. Vgl. in diesem Zusammenhang die erwähnte Landtagssitzung vom 30.10.1917, an der Landesverweser Leopold von Imhof eine Regierungsvorlage betreffend die Einführung des direkten und geheimen Wahlrechts ankündigte (LI LA LTA 1917/S04/2). 
[3] Vgl. die §§ 55 ff. der liechtensteinischen Verfassung vom 26.9.1862 (LI LA SgRV 1862/5).
[4] Hinzu kamen 3 vom Fürsten ernannte Landtagsabgeordnete.
[5] Der Gesetzentwurf wurde in den öffentlichen Landtagssitzungen vom 27.12. und 31.12.1917 behandelt und mit Änderungen angenommen (vgl. LI LA LTA 1917/S04/2). Vgl. das Gesetz vom 21.1.1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung, LGBl. 1918 Nr. 4.