Die "Oberrheinischen Nachrichten" plädieren für die Herabsetzung des Wahlrechtsalters auf 21 Jahre


Schluss einer Artikelserie eines Korrespondenten in den "Oberrheinischen Nachrichten" [1]

19.2.1919

Herab auf das 21. Lebensjahr

III.

Für die Herabsetzung des Wahlfähigkeits- und Grossjährigkeitstermins sprechen auch Gründe der Sozialpädagogik, insbesondere der politischen Erziehung. Nichts spricht schlagender für die Terminherabsetzung, als die oft gehörte Redewendung: Ja, unsere Leute sind politisch, d.h. zur besseren Gestaltung der Staatseinrichtungen, nicht reif. Wenn dies wahr ist, so erziehe man sie schleunigst dazu, damit sie ausreifen. Vernünftigerweise heilt der Arzt die Krankheit in ihrem Entwicklungsstadium schneller und gründlicher, als wenn er ein verhocktes Leiden heilen helfen soll. Und wenn wir politisch erziehen wollen, müssen wir bei den Jünglingen mit 21 Jahren, die noch Interesse und Willen zeigen, anfangen, nicht bei teilnahmslosen Leuten. Den jungen Leuten müssen wir die Anteilnahme an den gesellschaftlichen Interessen und Gruppen im Staate beibringen. Wer aber wartet, bis das politische Interesse in Teilnahmslosigkeit übergegangen ist und wer nur immer behauptet, unsere Leute seien politisch unreif, ohne ihnen Gelegenheit zur Betätigung zu geben, der will die politische Denkfaulheit und Dummheit erhalten und meint es nicht aufrichtig. Dem Gedankenkreis des absoluten und halbabsoluten Staates, wo das Volk möglichst nichts zur staatlichen Verwaltung zu sagen hatte, wie nicht minder einem bei uns erst in neuerer Zeit begrabenen politischen Bevormundungssystem hat der hohe Volljährigkeits- und Wahltermin in seine Wege gepasst. Das Volk hatte eben nichts zu sagen, alles wurde von Obrigkeitswegen regiert und gehandhabt. Wenn die Leute anderwärts mit 19, 20 und 21 Jahren politisch reif geworden sind, warum soll dies bei uns nicht möglich sein, bei uns, sagen wir, wo stets brüstend gegenüber andern Völkern behauptet wird, unsere Volksschulbildung und Intelligenzveranlagung dürfe jeden Vergleich aushalten. In der Schule werden ja unsere Leute auch über die staatlichen Einrichtungen notdürftig aufgeklärt. Ist dies alles richtig, dann dürfen wir hinsichtlich der politischen Betätigung nicht wieder behaupten, unsere Leute seien beschränkter als andere. Ein eigentümlicher Widerspruch! Fort mit diesen Scheineinwänden! Zu wünschen aber ist, dass die staatsbürgerliche Erziehung gefördert werde.

Keine Berechtigung hat demnach der Einwand, dass, wenn die 21-, 22- und 23-Jährigen stimmen und wählen können, kommen kuriose Wahl- und Abstimmungsergebnisse heraus.

Warum stellen denn gerade die 24-Jährigen kein Unheil mehr an? Die Antwort werden die Gegner schuldig bleiben. Wieviel Neuwähler treten denn auf, wenn diese Jahrgänge stimm- und wahlberechtigt werden? Wir schätzen ihre Zahl auf etwa 150 im Oberlande und auf 80 im Unterlande. Können denn etwa 230 Neuwähler gegenüber ca. 1600 alten Wählern eine so ausschlaggebende Stellung einnehmen? Nein! Denn einmal sind nicht alle einer Meinung und zweitens verteilen sie sich je nach den Parteien. Ehrliche Einwände können die Gegner nur aus politischen Gründen bringen. Die Gegenpartei fürchtet nämlich, dass die jungen Männer sich überwiegend der Volkspartei anschliessen. Es mag dies zum Teil richtig sein und zugegeben werden. Die Herrenpartei [2] fällt damit über sich selbst das Verdammungsurteil, denn wenn schon die jungen Männer überwiegend die Richtung der Volkspartei für die richtige halten, so steht es schlecht um ihre Sache: sie zieht nicht mehr! Die Volkspartei aber kann sich nur beglückwünschen, wenn sie die Jugend erobert hat: dann gehört ihr auch die Zukunft! Mag nun die Abstimmung ausfallen wie sie will, einmal muss der Termin herabgesetzt werden. Fällt die Abstimmung für die Jünglinge ungünstig aus, so werden sie verbittert und haben erst recht alle Ursache, sich der Volkspartei jetzt und in Zukunft anzuschliessen. Jünglinge und Jungfrauen, denket daran! Für die Jungfrauen handelt es sich ja darum, dass sie mit 21 Jahren volljährig werden!

Eine Partei, die sich fortschrittlich nennt, sollte auch wirklich für den Fortschritt nach jeder Richtung eintreten. Es ist aber ein rückschrittliches Zeichen, wenn man für einen veralteten Alterstermin eintritt, denn für Österreich sagen Krainz-Ehrenzweig, "es (Österreich) nimmt mit diesem Volljährigkeitstermin eine vereinzelte Stellung unter den heutigen Kulturstaaten ein." Und für diese Rückständigkeit will eine fortschrittliche Partei eintreten! Jüngling, siehst Du, wie man mit Deinen politischen Rechten aus parteipolitischen Gründen umspringt!

Wir wollen vielen älteren Wählern daraus, dass sie zu einem untätigen politischen Verhalten durch ein gewisses Bevormundungssystem erzogen worden sind, einen Vorwurf nicht machen. Wenn sie aber in andern Gefühlen und Ansichten auferzogen worden sind als ihre Söhne und daher heute politisch sich lieber wenig oder gar nicht betätigen wollen, so mögen sie es den Jünglingen nicht verwehren, die es tun wollen. Unsere jungen Leute schlägt die Not des Not des Lebens mehr in die Welt hinaus als viele ihrer Eltern: sie lernen fremde Einrichtungen und Gebräuche kennen. Ihr engbegrenzter Kirchturmstandpunkt erweitert sich und sie bemerken, dass man von fremden Leuten und Ländern noch vieles lernen kann und dass hiezu ein Fortschritt erforderlich ist, den der Daheimbleibende von seinem beschränkten Gesichtskreis aus weniger zu beurteilen vermag. Diese Jünglinge sollen uns mithelfen, das Land und seine Volkswirtschaft in moderne Bahnen zu lenken; sie sollen uns zu neuzeitlichen Verkehrsmitteln u.ä. verhelfen; und dass sie das tun werden, wissen die sog. "Fortschrittlichen". Deshalb ihre Bedenken. Ist es denn ein Unglück, wenn wir im Lande mehr Verkehr, Verdienst und Arbeitsgelegenheit erhalten? Wenn wir mit Hilfe dieser Leute moderne Gesetze erhalten und die Handels- und Zollbeziehungen nicht nur nach der finanziellen Seite hin, sondern auch nach dem Gesichtspunkte einer billigeren Lebenshaltung ordnen wollen?

Wähler! Es ist eine sehr wichtige Abstimmung, an der Du in der nächsten Zeit teilnimmst: bedenke, dass diese Abstimmung einen ungeheuren Ausschlag für den volkstümlichen Ausbau unserer noch halbabsolutistischen Verfassung und Gesetze ist! Wähler, bedenke, dass Du den Fortschritt im Interesse des Landes und der Zukunft Deiner Kinder willst! Hilf mit und stimme Ja!

Jünglinge! Helfet der Volkspartei mit, die bevormundenden Fesseln eines veralteten Gesetzes abzuwerfen. Jünglinge! Schliesst Euch zusammen, organisiert Euch und tretet geschlossen in den Dienst der Volkspartei, agitiert für sie! Jünglinge und Jungfrauen, helfet zusammen, ersucht Eure Väter, Eure Freunde, dass sie geschlossen für die Herabsetzung des Wahlfähigkeits- und Grossjährigkeitsalters eintreten: wisset, der Landesfürst [Johann II.] ist mit der Herabsetzung einverstanden, [4] wenn auch die Mehrheit des Volkes sie will!

Legen wir ein kräftiges Ja in die Urne und dann erst wird Liechtenstein den Liechtensteinern sein und bleiben!

(Schluss.)

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[1] O.N., Nr. 10, 19.2.1919, S. 1. Der erste Teil der Artikelserie erschien in O.N., Nr. 8, 12.2.1919, S. 1f.; der zweite in O.N., Nr. 9, 15.2.1919, S. 1.
[2] D.h. die Bürgerpartei.
[3] Josef Krainz: System des österreichischen allgemeinen Privatrechts. Vollständig umgearbeitet von Armin Ehrenzweig. 5. Aufl. Wien 1913-1917.
[4] Fürst Johann II. hatte zugesichert, einen "etwa gefassten Landtagsbeschluss bezüglich Volksabstimmung über Vermehrung der Abgeordnetenmandate, Herabsetzung der Wahlfähigkeit und Grossjährigkeit zu sanktionieren" (LI LA RE 1919/0728 ad 601, Telegramm Hofkanzlei an Regierung, 10.2.1919).