Emil Beck kommentiert zuhanden der Regierung den zweiten bzw. definitiven Entwurf des Zollvertrags


Eingeschriebenes maschinenschriftliches Schreiben von Emil Beck, liechtensteinischer Geschäftsträger in Bern, an die Regierung [1]

2.2.1923, Bern

Zollvertrag

Ich bin nunmehr endlich in der glücklichen Lage, Ihnen beigeschlossen die Antwort des Bundesrates vom 18. Januar dieses Jahres [2] auf unsere Note vom 22. Juli 1922 [3] betr. den Zollvertrag in Abschrift samt dem Verzeichnis der bundesrechtlichen Erlasse und der schweizerischen Staatsverträge, deren Anwendung in Liechtenstein durch den Zollvertrag bedingt sein wird, zu übermitteln. [4] Obschon diese Note vom 18 Januar datiert, ist sie auf unserer Gesandtschaft erst heute eingelangt.

Wie Sie aus dieser Note ersehen, ist dieser Entwurf nun der definitive Vorschlag des Bundesrates. Änderungen materieller Art werden kaum mehr möglich sein. Höchstens formelle Modifikationen könnten noch in Betracht fallen. In diesem Sinne würde ich in der Gegennote [5] noch den Vorbehalt einfügen, dass die Stempel- und Kuponssteuern in Liechtenstein nicht rückwirkende Kraft besitzen und gegenüber Handelsgesellschaften, mit welchen Steuerpauschalierungen vereinbart worden sind, für die Dauer dieser Pauschalierungen nicht zur Anwendung gelangen sollen.

Im übrigen aber werden wir in dieser letzten Gegennote nur mitzuteilen haben, ob wir den Vertragsentwurf in dieser Fassung annehmen wollen oder nicht. Im Falle der vorbehaltlosen Zustimmung könnte dann unmittelbar nachher die Unterzeichnung des Vertrages stattfinden. Es handelt sich also jetzt um die endgültige Stellungsnahme Ihrer Regierung zum vorliegenden Zollvertragsentwurf.

Wie Sie aus demselben selbst erkennen, ist unseren verschiedenen Abänderungsanträgen ganz oder teilweise Rechnung getragen worden, während in andern Punkten eine Abänderung des Entwurfes leider nicht erzielt werden konnte. Im ganzen darf aber gesagt werden, dass in den Hauptpunkten eine befriedigende Lösung erreicht worden ist.

  1. Vor allem ist zu erwähnen, dass die Viehausfuhr, wie überhaupt jede Einfuhr in die Schweiz (Wein, Obst, Milch, Holz usw.), vollständig frei sein wird, wie von einem schweizerischen Kanton in den andern (Art. 1 Absatz 2).
    Ebenso fallen auch die schweizerischen Ausfuhrbeschränkungen und -Verbote dahin.
    Die ausdrückliche Feststellung dieser Rechte im Vertrag ist ein bedeutender Fortschritt gegenüber dem früheren Entwurf. In diesem freien Verkehr mit dem schweizerischen Wirtschaftsgebiet liegt vielleicht der Hauptvorteil des Vertrages. Es mag diesbezüglich nur an den Mehrerlös erinnert werden, welcher durch den Viehverkauf jährlich erzielt werden kann.
  2. Von grosser wirtschaftlicher Tragweite ist sodann die Tatsache, dass die Arbeitereinreise in die Schweiz ganz frei gegeben ist (Art. 34). Die Einreise wird nun also auch zu Arbeitszwecken keinen anderen Beschränkungen unterworfen sein als im interkantonalen Verkehr.
    Auch dies ist eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft gegenüber dem ersten Entwurfe. Derselbe hatte keine Verlegung der Fremdenpolizeigrenze vorgesehen. Abgesehen von der Beschränkung der Arbeitereinreise hätte dies den Nachteil gehabt, dass bedeutende Mehrkosten entstanden wären, welche wohl von uns hätten getragen werden müssen. Nach dem vorliegenden Entwurf würde nun die Fremdenpolizei von den Zollorganen an der Vorarlbergergrenze ausgeübt und zwar unentgeltlich und unter Anwendung der von uns aufgestellten Ein- und Ausreisebestimmungen. Der Bundesrat würde dieselben jeweils daraufhin prüfen, ob sie einen genügenden Schutz für die Schweiz bieten. Wenn das nicht der Fall sein sollte, so hätte der Bundesrat die Möglichkeit, die Fremdenpolizeikontrolle an den Rhein zurückzuverlegen und uns die daraus erwachsenden Mehrkosten zu überbinden.
    In diesem Sinne sind die Art. 33 und 34 des Entwurfes aufzufassen nach der soeben gehabten mündlichen Besprechung dieser Frage mit Herrn Dr. [Peter Anton] Feldscher. Der Wortlaut des Vertrages und der Note (Seite 3) scheint allerdings darauf hinzudeuten, dass die Aufhebung der Fremdenpolizeigrenze am Rhein erst erfolge, wenn ein neues Übereinkommen in diesem Sinne geschlossen würde. [6]
    Ich würde in der Gegennote darauf hinweisen, dass die Art. 33 und 34 in diesem Sinne interpretiert werden müssen. [7]
    Diese Lösung hat, abgesehen von der Aufhebung der Fremdenpolizeigrenze, den Vorteil, dass wir keine Ausgaben für die Fremdenpolizei an der Grenze haben, und dass wir die schweizerische Niederlassungs- und Einbürgerungsgesetzgebung nicht übernehmen müssen. Allerdings wird es nötig sein, dieselbe in dem Sinne abzuändern, dass die Schweiz genügend geschützt ist. So wird z.B. die gegenwärtig mit Österreich bestehende Regelung des Grenzverkehrs nicht mehr aufrecht erhalten werden können. Dass der Bundesrat sich den Entscheid hierüber selbst vorbehalten hat, ist verständlich. Ebenso der Vorbehalt der Zurückverlegung der Fremdenpolizeigrenze an den Rhein und die Überbindung der daraus erwachsenden Kosten, soweit uns ein Verschulden trifft.
  3. Die Frage der Vorarlbergeralpen ist in Art. II des Schlussprotokolls, welches gleiche Kraft hat wie Vertragsbestimmungen, in dem Sinne geregelt, dass die Ausfuhr und Wiedereinfuhr des Viehs zu diesem Zwecke grundsätzlich ohne weiteres erlaubt sein soll, und dass überdies die Quarantäne auf liechtensteinischem Gebiet gemacht werden kann. Beides jedoch unter Vorbehalt der seuchenpolizeilichen Vorschriften.
    Dies ist ein gegenüber dem früheren Entwurf wichtiges Zugeständnis. Mehr war jedoch infolge des Widerstandes des Volkswirtschaftsdepartementes nicht erreichbar. Dagegen ist Herr Dr. Feldscher der Meinung, dass die Praxis hier keine Schwierigkeiten bereiten werde.
  4. Die Pauschalabfindungssumme ist auf Fr. 150'000 geblieben. Eine Erhöhung unserer Einnahmen konnte gegenüber dem ersten Entwurf nur in dem Sinne erreicht werden, dass in Art. 37 die auf Grund der Stempel- und Kuponssteuergesetzgebung erzielten Einnahmen in Liechtenstein nach Abzug von 10 % Verwaltungskosten uns ausbezahlt werden.
    Ein weitergehendes Entgegenkommen war, trotz den Andeutungen des Bundesrates in der Note vom 3. Februar 1922, nicht zu erreichen. Ich hatte eine solche Erhöhung auf den verschiedensten Wegen zu erlangen gesucht: entweder durch eine prozentuale Beteiligung mit einer Mindestgarantie von Fr. 120'000–150'000, oder durch eine spezielle Beteiligung an den Stempel- und Kuponsteuereinnahmen, oder durch eine gleiche Behandlung dieser Einnahmen mit den Zolleinnahmen, sowie endlich durch Berücksichtigung der Einnahmen des Jahrganges 1922. Leider aber zeigten sich unüberwindliche Widerstände.
    Als Hauptgrund dafür wird die Befürchtung angeführt, dass die Zolleinnahmen in den nächsten Jahren infolge verschiedener Handelsverträge bedeutend zurückgehen werden, und sodann die Tatsache, dass die gegenwärtigen hohen Zollansätze nur auf einem Bundesratsbeschluss beruhen, welche leicht herabgesetzt werden könnten. Namentlich gibt die Zollinitiative, welche gegenwärtig in den Räten behandelt wird, zu grossen Befürchtungen Anlass, meines Erachtens allerdings ohne genügenden Grund. [8]
    Endlich wird die liechtensteinische Kauf- und Konsumkraft gering eingeschätzt.
    Demgegenüber ist aber in der Note ausdrücklich das bestimmte Versprechen abgegeben, dass wir in vollem Umfange den Gegenwert der durch die Bundesgesetzgebung übernommenen Verpflichtungen erhalten sollen. Wir müssten spätestens Ende 1925 einen dahin gehenden Antrag stellen. Unsere Sache ist es, auf diesen Zeitpunkt die nötigen Beweismittel dafür zu sammeln, dass uns eine grössere Summe zukommt. Die Einnahmen des Bundes werden dabei leicht festzustellen sein. Dagegen wäre es wichtig, wenn wir auch einen Ausweis über unsere Konsumkraft erbringen könnten. Dabei fallen namentlich die Erfahrungen mit unserem eigenen Zollgesetz bis zum Januar 1924 in Betracht.
    Dem Art. 36 möchte ich den Sinn beimessen, dass die Abänderung der Summe ohne Mitwirkung des Schweizerischen Parlamentes möglich wäre. Indessen ist dies eine interne schweizerische Angelegenheit.
  5. Endlich ist auch die Einsetzung eines Schiedsgerichtes zu erwähnen (Art. 43), während bisher in einzelnen Fällen eine einseitige Entscheidung durch das Bundesgericht vorgesehen war.

In anderen Punkten ist allerdings unseren Wünschen nicht Rechnung getragen worden. So z.B. ist mein Antrag, dass die im Anhang umschriebene Bundesgesetzgebung nur soweit zur Anwendung gelange, als dies durch den Zollanschluss unbedingt nötig ist, nicht durchgedrungen. Ferner hatten wir zu Art. 15 des neuen Entwurfes vorgeschlagen, statt "unter Mitteilung an die fürstliche Regierung" zu sagen "im Einvernehmen mit der fürstlichen Regierung", was ebenfalls nicht erreicht werden konnte. Im ganzen handelt es sich aber doch nur um Punkte von geringerer Bedeutung, die wir schon damals nur als wünschenswert, nicht als conditio sine qua non betrachtet haben.

Inbezug auf die Bedenken religiöser Art, welche mir geäussert worden sind, [9] habe ich von der Oberzolldirektion die Zusicherung erhalten, dass in dieser Beziehung den Verhältnissen nach Möglichkeit Rücksicht getragen werde und in katholische Gebiete womöglich katholische Beamte geschickt würden. In den schweizerischen katholischen Grenzkantonen (z.B. Wallis) haben sich in dieser Beziehung keine Schwierigkeiten ergeben.

Wenn wir nun Vor- und Nachteile des Vertrages gegeneinander abzuwägen haben, so unterliegt es für mich keinem Zweifel, dass die Vorteile unbedingt überwiegen. Entscheidend ist wohl der Vorteil, welcher uns aus dem Anschluss an ein gesundes Wirtschaftsgebiet in wirtschaftlicher und anderer Art erwachsen wird. Unsere Volkswirtschaft könnte auf die Dauer die Einklemmung in die Grenzen unseres kleinen Landes wohl nicht ohne wesentliche Schädigung ertragen. Sie braucht wenigstens nach einer Richtung hin freies Feld. Und da kann nur die Schweiz in Betracht fallen, und zwar scheint mir dieser gegenüber ein Zollanschluss die richtigste Lösung zu sein, indem keine andere uns so weitgehenden freien Verkehr gestattet. Der Entwurf kommt in dieser Richtung unseren Wünschen vollkommen entgegen. Und ich bin überzeugt, dass die Ausführung desselben in loyaler Art und Weise erfolgen wird.

Sofern nun der Entwurf auf den 1. Januar 1924 in Kraft gesetzt werden soll, müsste die Unterzeichnung so frühzeitig erfolgen, dass einer der beiden Räte den Entwurf in der Junisession, der andere in der Septembersession beraten könnte. Da aber vorher der Vertrag noch ins französische übersetzt, eine Botschaft ausgearbeitet und übersetzt und gedruckt, [10] Kommissionen bestellt werden müssen und der Vertrag von ihnen durchberaten werden muss, wäre es wünschenswert, wenn unsere Antwort nicht lange auf sich warten liesse.

Ich nehme an, dass die Unterzeichnung in gleicher Weise wie beim Postvertrag [11] durch Herrn Bundesrat [Giuseppe] Motta und mich hier in Bern erfolgen wird. [12] Für diesen Fall ersuche ich Sie, für die rechtzeitige Zustellung einer Vollmachtsurkunde besorgt sein zu wollen, welche der beim Postvertrag überreichten entsprechen wird.

Ich gewärtige gerne Ihre weiteren Mitteilungen in dieser Angelegenheit. [13]

Der fürstliche Geschäftsträger:

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[1] LI LA SF 27/1923/ad 0553/8. Aktenzeichen: 108. Eingangsstempel der Regierung vom 7.3.1925 unter Nr. 982 ad 30. Das Dokument wurde am 7.3.1925 von Regierungschef Gustav Schädler ad acta gelegt. Ein weiteres Exemplar unter LI LA V 002/0296/51-53.
[2] LI LA V 002/0300/001, Note des Eidgenössischen Politischen Departements an die Gesandtschaft Bern, 18.1.1923.
[3] LI LA V 002/0299/095-099, Gesandtschaft Bern an Bundesrat Giuseppe Motta, 19.7.1922.
[4] LI LA V 002/0300/002, Entwurf Zollvertrag, o.D. Vgl. die definitive Fassung des Vertrags in LGBl. 1923 Nr. 24.
[5] LI LA V 002/0300/036-043, Note Gesandtschaft Bern an Eidgenössisches Politisches Departement, 13.3.1923.
[6] Zur Vereinbarung vom 28.12.1923 zwischen Liechtenstein und der Schweiz über die Regelung der fremdenpolizeilichen Beziehungen (LI LA SgSTV 1923.12.28) vgl. LI LA V 002/0298, Emil Beck an Regierung, 11.12.1923.
[7] In der Gegennote (vgl. Anm. 5) schlug Liechtenstein eine redaktionelle Änderung der Art. 33 und 34 vor, aus der aus "taktischen Gründen" deutlicher hervorgehen sollte, dass die fremdenpolizeilichen Kontrollen an der schweizerisch-liechtensteinischen Grenze mit dem Zollvertrag aufgehoben werden und dass die Kontrollen an der Grenze zu Österreich unentgeltlich ausgeübt werden. Die vorgeschlagene Neufassung wurde von der Schweiz akzeptiert.
[8] Die von der Sozialdemokratischen Partei und Konsumvereinen lancierte Volksinitiative "Wahrung der Volksrechte in der Zollfrage" verlangte die Aufhebung des geltenden Zolltarifs. Zudem sollten künftig alle Beschlüsse über Zolltarife dem Referendum unterstellt werden. Die Initiative wurde am 15.4.1923 von den Stimmberechtigten mit 73,2 % Nein zu 26,8 % Ja verworfen.
[9] Die liechtensteinische Geistlichkeit befürchtete, dass der konfessionelle Friede in Liechtenstein durch reformierte Schweizer Zollbeamte gestört werde.
[10] Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Vertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom 6.6.1923, Bundesblatt 1923, Bd. 2, S. 374-418.
[11] Postvertrag vom 10.11.1920, LGBl. 1922 Nr. 8.
[12] Die Unterzeichnung erfolgte am 29.3.1923 in Bern.
[13] Die Regierung antwortete mit Schreiben vom 15.2.1923, sie sei durch die jetzige Vertragsfassung, die sie auch der Zollkommission vorgelegt habe, "befriedigt", und beauftragte Beck, dem Bundesrat "ehestens" mittzuteilen, dass Liechtenstein zur Vertragsunterzeichnung bereit sei (LI LA SF 27/1923/0553 ad 8).