Die Firma Jenny, Spoerry & Cie spricht sich für den Zollanschluss Liechtensteins an Deutschösterreich aus


Maschinenschriftliches Schreiben mit handschriftlichen Ergänzungen der Firma Jenny, Spoerry & Cie an die liechtensteinische Regierung [1]

16.9.1919, Ziegelbrücke (Kt. Glarus)

Unser Herr Fritz Spoerry in Vaduz hat uns davon unterrichtet, dass es Ihrer hohen Regierung erwünscht wäre, unsere Ansicht als Industrielle im Lande über die Frage des Anschlusses des Fürstenthums an die Schweiz für das Zoll-, Post- und Telegrafenwesen zu vernehmen. – [2]

Wir kommen diesem Wunsche gerne nach und teilen ihnen mit, dass wir vom Standpunkte unserer Industrie den Anschluss nicht besonders [3] begrüssen könnten. – Die schweizerische Textilindustrie ist bekanntlich im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Schweiz im Grunde viel zu gross und leistungsfähig und sie ist demzufolge in ihrer Hauptsache auf den Export angewiesen. – Der Export für ein Binnenland, wie die Schweiz es ist, war je und je eine schwere Aufgabe für jeden Industriellen und der Ausblick auf künftige Zeiten ist keineswegs ermutigend, nachdem überall die Tendenz vorherrscht, in erster Linie die einheimische Industrie auszubauen oder wenigstens zu schützen. –

Wir fürchten im Gegenteil, es werde die schweizerische Textilindustrie in Zukunft einen zum Mindesten ebenso schweren Stand im Welthandel haben, als es in den Vorkriegsjahren der Fall war, und es ist demnach ein Zuwachs darin nicht erwünscht. –

Dem gegenüber steht Deutsch-Österreich einschl. Vorarlberg entschieden besser da, weil hier im Vergleich zur Gesamt-Einwohnerzahl keine übermässig grosse Textilindustrie vorhanden ist und demnach für unsere Fabriken in Ihrem Fürstenthume beim Zollanschluss an Deutsch-Österreich die Lebensfähigkeit besser bewahrt erscheint. –

Das sind die Gesichtspunkte, die sich uns als Industrielle in durchaus objectiver Beurteilung gegenüber einem Zollanschluss an die Schweiz aufdrängen. –

Eine Beurteilung vom finanzwirtschaftlichen Standpunkte aus dürfte wahrscheinlich zu einem ähnlichen Schlusse führen, denn das Problem der Valuta-Regulierung ist ein überaus schwieriges und wäre schwerlich anders als mit grossen finanziellen Opfern von Seite des Fürstenthums zu lösen, ganz abgesehen davon, als der Grenzschutz beim Anschluss an die Schweiz für diese eine ungleich schwierige und auch unverhältnismässig kostspieligere Aufgabe werden würde, als es bis jetzt mit der Rheingrenze der Fall ist. – Alle diese Mehrkosten gingen selbstverständlich auch wieder zu Lasten des Fürstenthums. –

Gefühlsmässig geurteilt und lediglich die gute Nachbarschaft, sowie die geographische Lage des Fürstenthums betrachtet, so müssten wir freilich einem Anschluss ohne Weiteres zustimmen, doch wissen wir sehr wohl, dass Gefühlssache und Staatsraison keine leicht zu vereinbarende Dinge sind, und schon gar nicht, wenn die finanzielle Seite für das Land als solches sowie für seine Industrie von grossem Nachteil begleitet sein würde. –

Indem wir bitten, diese freimütige Meinungsäusserung als solche hinzunehmen und ihr freundliche Beachtung zu schenken, verbleiben wir mit dem Ausdruck unserer vorzüglichen Hochachtung. [4]

Wir möchten uns in der ganzen Frage neutral verhalten, schliesslich werden wir sowohl im schweizerischen als deutschösterreichischen Zollgebiet nach und nach die Fabriken wieder in Gang bringen, aber heute sind die Verhältnisse noch zu unabgeklärt, um ein abschliessendes Urteil pro und contra zu fällen. [5]

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[1] LI LA RE 1919/4641 ad 0004. Eingangsstempel der Regierung vom 20.9.1919. Am 30.11.1919 von der Regierung mit Bezug auf die Akte Zl. 4/4806 Jg. 1919 ad acta gelegt. Diese Bezugsakte konnte nicht aufgefunden werden.
[2] Der liechtensteinische Landtag hatte am 2.8.1919 beschlossen, den 1876 mit Österreich abgeschlossenen und 1918/1919 provisorisch verlängerten Zollvertrag zu kündigen. Gleichzeitig war die liechtensteinische Regierung ersucht worden, mit Deutschösterreich Verhandlungen wegen eines provisorischen Abkommens über den gegenseitigen Verkehr und Warenaustausch aufzunehmen; ebenso mit der Schweiz für die Zeit bis zu einem definitiven Zollanschluss "an irgend einen Staat" (LI LA LTA 1919/S04). Vgl. in diesem Zusammenhang das schweizerisch-liechtensteinische Übereinkommen vom 3.11.1921 betreffend die Besorgung des Post-, Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein durch die schweizerische Postverwaltung und schweizerische Telegraphen- und Telephonverwaltung, LGBl. 1922 Nr. 8, sowie den schweizerisch-liechtensteinischen Zollanschlussvertrag vom 29.3.1923, LGBl. 1923 Nr. 24.
[3] Handschriftlich eingefügt: "besonders".
[4] Vgl. die neuerliche Stellungnahme der Firma Jenny, Spoerry und Cie, Ziegelbrücke, gegenüber der Regierung vom 8.12.1919 zur zollvertraglichen Ausrichtung Liechtensteins (LI LA RE 1919/6050 ad 0004): Die Firma erklärte, dass eine Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkte schwer falle, solange die Frage des Anschlusses Vorarlbergs an die Schweiz nicht geklärt sei. Man gebe zwar zu, dass das bisherige Absatzgebiet immer das nahe Vorarlberg und Österreich-Ungarn gewesen sei. Es sei angesichts des Zerfalls der früheren Monarchie nicht vorauszusehen, inwieweit sich die alten Beziehungen aufrechterhalten liessen. Beim Zollanschluss an die Schweiz käme man in die Lage der schweizerischen Industrie, die in der Hauptsache auch auf den Export angewiesen sei.
[5] Dieser Absatz wurde handschriftlich hinzugefügt.