Rudolf Lucke teilt William von Einem mit, wie er und Leopold von Imhof den heimlichen Grenzübertritt der Prinzen Sixtus und Franz Xaver von Bourbon-Parma durchführen wollen
Maschinenschriftliches Schreiben von Oberstleutnant Rudolf Lucke, Grenzschutzkommandant in Feldkirch, gez. ders., an Oberst William von Einem, österreichisch-ungarischer Militärattaché in Bern (Kopie zuhanden von Landesverweser Leopold von Imhof) [1] 17.3.1917, Feldkirch Hochwohlgeborener Herr Oberst! [2] Nach Empfang des Briefes vom 13. d.M. [3] habe ich die Angelegenheit mit Baron Imhof besprochen und erlaube ich mir, zu berichten: - Baron Imhof fährt den Herren [Sixtus und Franz Xaver von Bourbon-Parma] bis Weesen entgegen. Er wird einen langen, braunen Überzieher mit Samtkragen und einen braunen, weichen Hut tragen, in der Hand einen leichten Spazierstock mit einem Silbergriff.
- Die Fotografie Baron Imhof lege ich bei. Er bittet um seinerzeitige Retournierung (die Herren werden sie ihm ja selbst zurückgeben); eine andere hat er leider nicht.
- Nach der Beschreibung der Kleidung und nach der Fotografie werden die Herren in der Lage sein, Baron Imhof zu erkennen. Damit aber auch Baron Imhof die Herren leichter erkennt, ersucht er, dass bei der Einfahrt des Zuges in Weesen ein Herr oder auch beide Herren beim offenen Fenster hinaussehen und in der Hand Handschuhe halten.
- Nachdem tatsächlich kein Zug gegen 8 Uhr in Sargans eintrifft, so bleibt nichts übrig, als dass die Herren mit dem Zuge um 3 Uhr 10 nachm. von Zürich, Hauptbahnhof, abfahren; Ankunft in Sargans um 6 Uhr 20 abends. Nachdem dieser Zug in der Richtung Chur nicht weiterfährt, sondern nur Anschluss an den Zug hat, welcher von Rorschach nach Chur fährt, um 6 Uhr 46 in Sargans eintrifft und um 6 Uhr 52 von Sargans in der Richtung Chur abfährt, wird es nicht auffallen, wenn die beiden Herren in Sargans aussteigen.
- In Weesen wird Baron Imhof beim Betreten des Waggons bzw. Kupes, wenn die beiden Herren nicht allein sind, dieselben mit "Bon soir" flüchtig grüssen. Wenn aber die Herren allein sind, stellt er sich mit "Imhof" vor, worauf die Herren deutlich sich als "Pfister" und "Plattner" vorstellen. Auf deutliches Aussprechen der beiden Namen muss Wert gelegt werden, damit keinerlei zufällige Verwechslung stattfinden kann.
- Sollte es nicht möglich sein, dass Baron Imhof mit den Herren allein spricht, so wird er ein Gespräch beginnen, die Herren fragen, wohin sie reisen, worauf ihm die Herren mitteilen, dass sie sich einige Altertümer angesehen haben und wenn Zeit und Gelegenheit wäre, sich noch weitere Altertümer ansehen wollen. Baron Imhof wird sie auf die Burg bei Balzers und Liechtenstein und auf die in letzterer angesammelten Kunstschätze aufmerksam machen und ihnen dringend raten, sich diese beiden Burgen Morgen anzusehen; die Herren werden sich hiezu bereden lassen und in Sargans aussteigen.
- Nachdem die Herren direkte Karten nach Davos haben und es auffallen würde, wenn sie in Sagans zur Bahnhofkasse gehen, um sich neue Karten zu lösen, wird Baron Imhof schon früher in Sargans oder – wenn es besser sein sollte – in Weesen nicht eine, sondern drei Karten nach Sevelen lösen.
- Von Sargans wird um 6 Uhr 34 in der Richtung Buchs weitergefahren; der Aufenthalt in Sargans dauert demnach 14 Minuten; die Herren besteigen den Zug im letzten Momente.
- Baron Imhof lässt auch um die Fotografie der beiden Herren ersuchen.
- [Thomas von] Erdödy fährt mit demselben Zuge weiter nach Buchs, wird mit Automobil abgeholt und fährt nach Feldkirch.
- Auf den Zug, welcher um 8 Uhr 35 abends von Zürich weggeht, in Sargans um 11 Uhr 40 ankommt und um 12 Uhr 30 in Sevelen eintrifft, kann aus dem Grunde nicht gerechnet werden, weil die Brücken bereits um 10 Uhr abends gesperrt sind und Baron Imhof mit den beiden Herren nicht in der Nacht nach Liechtenstein kommen könnte.
- Ich erlaube mir die Frage, ob es nicht günstig wäre, wenn irgend jemand eine solche Probefahrt unternimmt.
- Der Expressbrief, den Herr Oberst an Erdödy geschickt, [4] wäre erst am 15. d.M. abends in Wien angekommen und voraussichtlich erst am 16. früh zugestellt worden.
Nachdem Erdödy laut Telegrammes [5] am 16. hier ankommen sollte, habe ich im Einvernehmen mit Hptm. [Luzian] Ivasku den Brief zurückgehalten; nun kommt Erdödy aber erst heute und werde ich demselben den Brief übergeben. Ich bespreche das Weitere mit Erdödy, welcher auch diesen Brief an Herrn Oberst mitnimmt.
Mit herzlichstem Grusse bin ich Herrn Oberst gehorsamer [6]
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[1] LI LA PA 001/0021/07. Auf der Rückseite des Bogens handschriftliche Betreffangabe von Imhof: "Sixtus und Franz Xaver von Bourbon und Parma". Die Kopie wurde Imhof übermittelt mit Schreiben Luckes vom 17.3.1917 (LI LA PA 001/0021/07, Lucke an Imhof, 17.3.1917). Ein weiteres Exemplar des Schreibens in DE PA AA, Asservat Nr. 27, Aufzeichnung des Oberstleutnants a.D. Lucke zur Sixtusbrief-Angelegenheit, Beilage 8 (Kopie in LI LA MFE 07/01). Es handelte sich um Vorbereitungen für die heimliche Einreise von zwei Brüdern der österreichischen Kaiserin Zita nach Österreich. Die beiden Prinzen, die in der belgischen Armee dienten, agierten als Vermittler beim erfolglosen Versuch von Kaiser Karl I., Friedensverhandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Frankreich einzuleiten. In zwei Briefen an Prinz Sixtus von Bourbon-Parma anerkannte Karl den Anspruch Frankreichs auf Elsass-Lothringen. Die Veröffentlichung dieser Briefe im April 1918 durch den französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau in der sogenannten "Sixtus-Affäre" fügte dem Ansehen des Kaisers und der Monarchie irreparablen Schaden zu. [2] Handschriftliche Anmerkung von Imhof: "(von Einem – österr. Militärattaché in Bern)". [3] DE PA AA, Asservat Nr. 27, Aufzeichnung des Oberstleutnants a.D. Lucke zur Sixtusbrief-Angelegenheit, Beilage 7 (Kopie in LI LA MFE 07/01). [4] Nicht aufgefunden. [5] Nicht aufgefunden. [6] Der Grenzübertritt der Prinzen am 21.3.1917 erfolgte nicht ganz nach Plan, da das Telegramm, das Lucke über das Datum der Reise hätte informieren sollen, verspätet eintraf. Zu den Ereignissen vgl. DE PA AA, Asservat Nr. 27, Aufzeichnung des Oberstleutnants a.D. Lucke zur Sixtusbrief-Angelegenheit.
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