Das "Liechtensteiner Volksblatt" blickt zurück auf das Jahr 1917


Artikel im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

28.12.1917

Liechtensteinische Weihnachtsgedanken

Die Tage, die wir durchleben, vorab die heilige Weihenacht, die so lange schon der Mittelpunkt alles kindlichen Wünschens und Träumens ist, die den elterlichen Herzen so viele liebende Sorge und so schöne stille Freuden bringt und die jedes edel veranlagte Herz erhebt, aber auch der bevorstehende Jahreswechsel, sie drängen zur inneren Einkehr, zur Betrachtung dessen, was das zur Neige gehende Jahr von unsern Wünschen und Hoffnungen erfüllte und was es uns versagte, was uns zu Dank gegen Gott verpflichtet und was wir aus seiner Hand als Prüfung hinzunehmen hatten.

Bei dieser Einkehr richten wir unsere Blicke auch auf das, was ausser uns liegt, uns aber doch so sehr berührt, was grosses in der Welt geschehen, zumeist auf das fürchterliche, schon im vierten Jahre dauernde Völkermorden, das Europa verwüstet und seine Volkskraft zu zerstören droht, auf die ganze fürchterliche Not dieses sonst vom Geschicke und der Geschichte so bevorzugten Erdteiles. Wahrlich, wäre nicht nunmehr ein Hoffnungsstrahl im Osten aufgegangen, wo endlich, endlich ein Waffenstillstand Einkehr hielt und Friedensverhandlungen im Zuge sind, [2] man hätte verzweifeln müssen an der Zukunft Europas.

Welche Dankesschuld lastet aber auf uns Liechtensteinern! Der Lenker aller Geschicke hat durch die gütige Hand unseres allgeliebten Landesvaters [Johann II.] unser liebes kleines Vaterland als Friedensinsel erhalten in dem alles zu verschlingen drohenden Meere. Und angesichts dieser einen Tatsache, die alles andere überwiegt, wollen wir nicht denken an all das, womit wir als Gesamtheit Undank statt Dank erstatteten, an die unendlich vielen kleinlichen Schimpfereien und Feindseligkeiten unter uns, an das ekelhafte Schmuggler. und Preistreiberwesen, an die Vermehrung der Verbrechensfälle, nicht denken an die gewiss grossen Entbehrungen, die auch vielen aus uns auferlegt sind.

Aber dankbar gedenken wollen wir der ungewöhnlich reichen Ernte, die ein Sommer, wie ihn noch wenige erlebten, zeitigte und die zwar in erster Linie dem Bauern, dann aber auch allen anderen zu Gute kommt. War nicht unser Ländchen zur Herbstzeit ein wahres Paradies? Alle Bäume zum Brechen voll, das Getreide und der Mais in ungewöhnlicher Güte und Menge, vorzüglicher Wein, Kartoffeln, Bohnen und alle Rübengewächse in Fülle. Diese Erzeugnisse haben nebenbei einen Barertrag gebracht, wie ihn früher die gesamte Viehausfuhr eines Jahres nicht erreichte. Und dies zusammen mit der Viehausfuhr bewirkte eine mächtige Hebung unseres Volkswohlstandes. Aber auch der Arbeiter fand im Lande und ausserhalb desselben reichen Verdienst und für jene, die durch den Stillstand unserer Fabriken ihren Erwerb verloren, hat die edle Fürsorge ihrer Arbeitgeber in grossherziger Weise die Not gebannt.

An den verhältnismässig grossen Summen, die aus Landesmitteln zur Milderung des durch die allgemeine Weltlage bedingten Notstandes aufgewendet wurden, haben alle Stände, ohne Ausnahme, mittelbar oder unmittelbar teilgehabt und die Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände, die unsere Regierung in anerkennenswertester Weise aus unserem grossen Nachbarstaate zur Ergänzung der Inlandserträgnisse zu beschaffen wusste, wurden jedem, der ihrer bedurfte, nach Verhältnis zugewiesen. Und wenn dieser und jener sich bei der Beteilung verkürzt glaubte, so war es häufig genug nur sein eigener Standpunkt und nicht das Gerechtigkeitsgefühl, das ihn zu dieser Auffassung brachte. – Unsere Volksvertretung, die gewiss von dem besten Willen beseelt ist, steht noch mitten in der Tätigkeit und im Begriffe, wertvolle Gesetze zu schaffen. Regierung und Landesnotstandskommission haben dankenswerte Arbeit geleistet und die an der Tätigkeit dieser Stellen so oft geübte Kritik, die häufig genug ungerecht war, wird sich gewiss dann, wenn wir einst auf die gegenwärtige Zeit als ganzes zurückblicken, in Anerkennung verwandeln.

Gedacht soll heute aber auch sein der Tätigkeit der Gemeindevorstehungen und Gemeindenotstandskommissionen, welche so viele Arbeit um wenig Dank leistet.

Wollen wir Liechtensteiner gerecht sein, so müssen wir einig sein im Gebet zu Gott, in Verehrung zu unserem Fürsten und im Danke zu allen jenen, die an berufener Stelle unsere öffentlichen Angelegenheiten zu besorgen haben. Trachten wir würdig zu werden, unseres unverdient guten Schicksals und benehmen wir uns so, dass wir nicht besorgen müssen, eine verdiente Rache werde doch noch über uns kommen.

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[1] L.Vo., Nr. 52, 28.12.1917, S. 1.
[2] Am 15.12.1917 schlossen die Mittelmächte und Russland einen Waffenstillstand. In der Folge wurden Friedensverhandlungen in Bret-Litowsk aufgenommen.