Alfons Hasler ersucht das österreichische Justizministerium um eine Entschädigung für seine Inhaftierung wegen Spionageverdacht


Schreiben von Alfons Hasler an das deutschösterreichische Staatsamt für Justiz (maschinenschriftliche Abschrift) [1]

26.4.1919, Nendeln

Der ergebenst gefertigte Alfons Hasler, Bauer in Nendeln, Gemeinde Eschen, Liechtenstein, gestattet sich einem hohen Staatsamte für Justiz nachstehende

Bitte

zu unterbreiten.

Am 21. Februar 1917 wurde ich in Feldkirch, woselbst ich des öfteren geschäftlich zu tun hatte, von der Grenzschutzbehörde (Kommandant war Oberstleutnant [Rudolf] Lucke) durch zwei militärische Geheimagenten verhaftet. Ich war natürlich mit einem ordnungsmässigen Pass für den Grenzverkehr versehen, dieser wurde mir abgenommen und ich dem Kreisgerichte Feldkirch überstellt. Anfänglich wurde mir der Grund meiner Verhaftung gar nicht mitgeteilt, später erfuhr ich, dass dies wegen Verdachtes der Ausspähung erfolgte.

Vom 21. Februar bis Mitte Juli 1917 war ich beim Kreisgerichte Feldkirch in Haft, Mitte Juli 1917 wurde ich dem Garnisonsarreste Innsbruck überstellt und verblieb in Haft bis 4. März 1918. An diesem Tage wurde ich endlich, da sich die völlige Haltlosigkeit meiner Anhaltung und die Grundlosigkeit der gegen mich erhobenen Verdachtsmomente ergeben hatte, in Freiheit gesetzt. [2]

In Feldkirch hat mich der der damaligen Grenzkontrollstelle Feldkirch zugeteilte Hauptmann Pilz einvernommen, in Innsbruck führte die Untersuchung der Oblt. Auditor Dr. [Otto] Bertel, zz. Rechtsanwalt in Bludenz. Im Laufe der Untersuchung in Innsbruck gelangte ich zur Kenntnis, dass ich verdächtigt wurde, zum Schaden des österr. Staates Spionage in der Weise betrieben zu haben, dass ich angeblich Briefe aus Innsbruck, welche für einen italienischen Agenten namens Tonelli in der Schweiz bestimmt waren, einem Liechtensteiner namens Konrad Schädler aus Triesen übermittelt hätte. Die Verdächtigung war vollends haltlos und entstand dadurch, dass der Liechtensteiner Schädler sich böswilligerweise dahin ausredete, ich hätte die Briefe, die er selbst zusammenstellte und welche er dem italienischen Agenten in der Schweiz teuer verkaufte, von einem Portier in Innsbruck erhalten. Schädler ging sogar so weit, dass er dem italienischen Agenten in der Schweiz einen Mann unter dem Namen Alfons Hasler vorstellte.

Von der ganzen Tätigkeit des Konrad Schädler hatte ich bis zu meiner Verhaftung keine Ahnung und erst im Laufe der Untersuchung kam ich sukzessive zur Kenntnis der unverantwortlichen Verdächtigung meiner Person.

Die durch das Divisionsgericht in Innsbruck geführte Untersuchung förderte meine völlige Schuldlosigkeit zu Tage.

Durch die ungerechtfertigte Haft habe ich einen grossen, in allen Wirkungen und Folgen nicht wieder gutzumachenden Schaden erlitten. Ich musste von meiner Gattin [Maria Germana, geb. Büchel] ohne Abschied fort, meine 6 Kinder im Alter von 4 bis 15 Jahren blieben ohne Ernährer zurück. Das mir gehörige Anwesen in Nendeln wurde infolge meiner Abwesenheit vernachlässigt, da billige Arbeitskräfte nicht zu haben waren und meine Gattin teure Arbeitskräfte während des ganzen Jahres nicht bezahlen konnte. Im Sommer und Frühling musste meine Gattin für fremde Hilfe täglich K 8.- bezahlen und die Arbeiter auch noch verköstigen.

Ich selbst war durch die lange Anhaltung moralisch ganz gebrochen, der Kummer um meine Familie drückte mich ganz darnieder und infolge der schlechten Ernährung war mein Körper nicht widerstandsfähig genug, um die so lange andauernde Freiheitsberaubung ohne Schaden zu ertragen. Als ich wieder in Freiheit gesetzt wurde, konnte ich infolge meiner Schwäche noch monatelang nicht arbeiten, ich war magenkrank, schwach und kränklich, dass ich den ganzen Sommer 1918 für meine teilweise Wiederherstellung brauchte.

Ich bin im Jahre 1878 in Eschen, Liechtenstein geboren, dort zuständig, seit 1901 verheiratet, Vater von 6 Kindern im Alter von 4 bis 15 Jahren. Ich habe mir zeitlebens nie etwas zu schulden kommen lassen und geniesse guten Leumund.

Aus den Akten des Divisionsgerichtes Innsbruck, welche kaum der Vernichtung anheim gefallen sein können, ergibt sich die Tatsache, dass ich vollends unschuldig über ein Jahr in Untersuchungshaft angehalten wurde, dass mir dadurch ein nicht wieder gutzumachender Schade entstanden ist; denn gesundheitlich kann ich mich nie mehr derart erholen, dass ich meine frühere Widerstandskraft erlange. Auch der vermögensrechtliche Schade ist bedeutend. Während der 13 Monate, die ich unschuldig in Haft zubrachte, hätte ich nicht allein mein Anwesen bewirtschaften können, sondern hätte auch als Vieh-  und Schweinehändler viel Geld verdient. Vor meiner Verhaftung kam ich fast jede Woche mit einem Transporte Vieh nach Innsbruck. Dieser Umstand trug auch einigermassen bei, Verdacht gegen mich wegen Ausspähung zu schöpfen.

Als rechtschaffener Ausländer müsste ich zeitlebens mit berechtigtem Grolle an diese Vorkommnisse denken, wenn mir für die ungerechtfertigte Anhaltung und Haft nicht einigermassen Genugtuung geleistet wird.

Ich bin darüber aufgeklärt worden, dass im August 1918 das Gesetz über die Entschädigung für Untersuchungshaft, R.G.B. Nr. 318 [3] erschienen ist und dass dieses Gesetz für anhängige Strafsachen Anwendung findet, wenn die Verfügung, womit der Verhaftete ausser Verfolgung gesetzt wird, erst nach dem Tage der Kundmachung des Gesetzes erfliesst. Auf Grund dieses Gesetzes hätte ich also keinen Anspruch, doch kann ich wirklich nicht glauben, dass mein Fall, wo ich als Ausländer derart lange in Haft bleiben musste, unberücksichtigt bleiben soll.

Meine Bitte geht dahin, es wolle das hohe Staatsamt für Justiz die bezüglichen Akten des Divisionsgerichtes Innsbruck herbeischaffen und gütigst Einsicht nehmen, eventuell auch den seinerzeitigen Untersuchungsrichter Oblt. Dr. Bertel, Advokat in Bludenz, über die Ergebnisse der Untersuchung einvernehmen und mir sodann im Gnadenwege, da ich auf Grund des Gesetzes einen Anspruch nicht geltend machen kann, für die unschuldig in Haft zugebrachte Zeit von nahezu 13 Monaten eine Entschädigung in einem einmaligen Betrage von K 5000.- zubilligen.

Konrad Schädler, welcher die unmittelbare Ursache meiner Anhaltung war, hat sich durch die Flucht ins Ausland der strafgerichtlichen Verfolgung durch mich entzogen.

Falls das Staatsamt für Justiz sich zur Willfahrung meiner Bitte nicht für zuständig erachten sollte, bitte ich dieses Staatsamt um gütige Weiterleitung meiner Bitte an die zuständige Stelle.

Als Liechtensteiner Bürger bitte ich die fürstliche Landesregierung um Befürwortung dieses gewiss berücksichtigungswerten Gesuches.

Gefertigt

mit dem Bemerken, dass ich bereits im Oktober 1918 an das k.k. Justizministerium in Wien das Gesuch um Entschädigung für die ungerechtfertigte Haft überreicht habe und dass mein damaliges Gesuch unter Befürwortung der fürstlichen Landesregierung weitergeleitet wurde, dass aber die Erledigung des ersten Gesuches bis jetzt nicht eingelangt ist. [4]

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[1] LI LA V 003/1350. Auf der Rückseite Aktenzeichen der Hofkanzlei: 6505, 2.6.1919. Hasler überreichte das Gesuch am 27.4.1919 der Regierung (LI LA RE 1919/2061). Diese übermittelte es mit Schreiben vom 22.5.1919 der Gesandtschaft in Wien, wo es am 29.5.1919 eintraf (LI LA V 003/1350, Regierung an Gesandtschaft Wien, 22.5.1919). Die Gesandtschaft leitete es darauf an die Hofkanzlei weiter, um eine juristische Äusserung einzuholen, "was geschehen soll". Die Hofkanzlei teilte mit Schreiben vom 6.6.1919 mit, dass Hasler keinen Anspruch auf Entschädigung habe und man ihm empfehle, den "Gnadenweg", den er ja bereits betreten habe, zu verfolgen (LI LA V 003/1350, Hofkanzlei an Gesandtschaft Wien, 6.6.1919). Prinz Eduard, der liechtensteinische Gesandte in Wien, unterbreitete das Gesuch Haslers schliesslich mit Schreiben vom 28.6.1919 dem deutschösterreichischen Staatsamt für Äusseres zur Weiterleitung an das Staatsamt für Justiz. In seinem Begleitschreiben wies Prinz Eduard darauf hin, dass Liechtenstein "den ganzen Krieg hindurch Österreich gegenüber die wohlwollendste Neutralität gewahrt hat und an den Kriegsfolgen ohnehin schwer mitleidet" und dass eine wohlwollende Behandlung des Gesuchs die Beziehungen zwischen Österreich und Liechtenstein "aufs Günstigste" fördern würde (LI LA V 003/1350, Prinz Eduard an Staatsamt für Äusseres, 28.6.1919).
[2] LI LA J 007/S 045/052, k.k. Landwehr-Divisionsgericht in Innsbruck an k.u.k. Garnisonsarrest Innsbruck, 4.3.1918.
[3] Gesetz vom 18.8.1918 über die Entschädigung für Untersuchungshaft, öst. RGBl. 1918 Nr. 318.
[4] Hasler hatte im Oktober 1918 ein an das k.u.k. Kriegsministerium gerichtetes Entschädigungsgesuch der Regierung übergeben, die es am 3.10.1918 mit der Empfehlung "zur tunlichsten Berücksichtigung" nach Wien weiterleitete (LI LA RE 1918/4339). Das liquidierende Ministerium des Äussern teilte schliesslich Ende 1919 mit, dass dem Gesuch Haslers laut Mitteilung des liquidierenden Ministeriums für Landesverteidigung nicht entsprochen werden könne, da das zuständige Bevollmächtigtenkollegium für das Ministerium entschieden habe, "dass es zur Ausübung von Gnadenakten nicht berufen sei" (LI LA V 003/1351, Verbalnote des liquidierenden Ministeriums des Äussern an die Gesandtschaft in Wien, 10.12.1919). Die Regierung informierte Hasler am 5.1.1920 über den Entscheid (LI LA RE 1920/0034).