Hofkanzlei und Regierung schlagen dem Fürsten vor, auf eine Anfrage Grossbritanniens zu antworten, dass Liechtenstein im Krieg neutral bleiben werde


Maschinenschriftliche Abschrift eines Berichtes des Leiters der Hofkanzlei, Hermann von Hampe, gez. ders., an Fürst Johann II. [1]

17.9.1914, Wien

Am 16. d. M. ist der im k.u.k. Ministerium des Äussern in ausserordentlicher Verwendung stehende Universitätsprofessor des Völkerrechtes und Sektionsrat Dr. Alexander Baron Hold von Ferneck in der Hofkanzlei erschienen und teilte mit, dass sich die amerikanische Gesandtschaft – welche derzeit die österreichischen Untertanen und über Ersuchen des Ministeriums des Äussern auch die Liechtensteinischen Untertanen bei den mit Österreich Krieg führenden Staaten vertritt – an das hiesige Ministerium mit der Anfrage gewendet habe, welche Auskunft sie über eine an sie von der englischen Gesandtschaft gerichtete Anfrage bezüglich der Neutralität des Fürstentumes Liechtenstein während des gegenwärtigen Krieges geben solle. [2]

Herr Professor Baron Hold stellte zunächst die Frage, ob Euere Durchlaucht ein Guthaben bei der englischen Bank oder sonst Besitz oder Interessen in England haben oder das Land selbst – welche etwa den Anlass zu dieser Anfrage der englischen Gesandtschaft geboten haben könnten.

Weiterhin glaubte derselbe aufmerksam machen zu sollen, dass es sich mit Rücksicht auf den Zollvertrag, [3] welcher auch gewisse Verfügungen auf Liechtensteinischem Territorium, allerdings zum Zwecke des Zollschutzes - der österreichischen Regierung ermöglichet - vielleicht empfehlen würde, den Zollvertrag zu kündigen, um die volle Neutralität des Landes Liechtenstein zu dokumentieren.

Da ich darauf hinwies, dass der Zollvertrag, welcher noch bis zu Ende des Jahres 1922 andauert, für das Land von sehr grosser Bedeutung sei und bereits derzeit jährlich über 180'000 Kronen abwirft, dass übrigens in einer so überaus wichtigen Frage ohne Landtag eine Beschlussfassung nicht möglich sein würde – meinte Herr Professor Baron Hold, dass man sich darüber verständigen könnte, dass diese Kündigung nur nach aussen zur Geltung kommen und einverständlich die Fortsetzung des Vertrages bestehen bleiben könnte.

Ich erwiderte, dass dies eine Scheinaktion sein würde, zu der ich meinerseits nicht raten könnte, da gerade eine solche Scheinaktion die Gefahr einer begründeten Einwendung gegen die Neutralität herbeiführen und den Rechtsboden bedenklich gefährden könnte, weil eine spätere Regierung an der Kündigung festhalten und die geheime Abmachung ablehnen könnte.

Ich erklärte mich bereit, die Anfrage an die fürstliche Regierung zu richten, glaubte aber eben dieser Bedenken wegen eine Zustimmung derselben nicht in Aussicht stellen zu können und schlug vor, in dem Falle, als die fürstliche Regierung meine Bedenken teilen würde, die Anfrage der amerikanischen Gesandtschaft dahin zu beantworten, dass Liechtenstein in dem gegenwärtigen Kriege selbstverständlich neutral bleiben würde, was schon aus dem Grunde evident sei, weil das Land, wie aus den veröffentlichten Landesvoranschlägen zu entnehmen ist, - keinen Militäretat ausweist. Herr Professor Baron Hold versprach zuletzt, dass eine Zuschrift an die fürstliche Hofkanzlei unter Mitteilung einer Kopie des Schreibens der amerikanischen Gesandtschaft gerichtet werden wird, in welcher um möglichst baldige Beantwortung ersucht werden würde, da von der amerikanischen Gesandtschaft gleichfalls um mögliche Beschleunigung der Antwort ersucht worden ist. [4]

Ich habe heute mit dem Herrn Landesverweser Baron [Leopold] von Imhof diese Angelegenheit eingehend besprochen und derselbe hat sich mit dem von mir gemachten Beantwortungsvorschlage aus den gleichen Gründen einverstanden erklärt.

Geruhen Euere Durchlaucht diesen ehrfurchtsvollen Bericht gnädigst zur Kenntnis zu nehmen und zu genehmigen, dass die von der amerikanischen Gesandtschaft gestellte Anfrage in der beantragten Weise beantwortet werden dürfe. [5]

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[1] LI LA V 003/0040/1. Aktenzeichen der Hofkanzlei: 14'694. Im Text handschriftliche Anstreichungen und Ergänzungen von Prinz Eduard von Liechtenstein, auf der Vorderseite des Bogens handschriftliche Vermerke desselben vom 2.3.1945: "Zl. 4/1 Ges. Wien. 17/IX.14. Hofkanzlei an Regierung wegen Neutralität. Unterredung mit Prof. Hold für öst. ung. Aussenamt"; "sämtl. Acten über eine Anfrage Englands über Neutralität Liechtensteins. 17–25/IX 1914".
[2] LI LA V 003/0040/1, Verbalnote der US-amerikanischen Botschaft in Wien an das k.u.k. Ministerium des Äussern, 14.9.1914.
[3] Vertrag zwischen Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich und apostolischen König von Ungarn und Seiner Durchlaucht dem souverainen Fürsten von Liechtenstein über die Fortsetzung des durch den Vertrag vom 5. Juni 1852 gegründeten Österreichisch-Liechtenstein'schen Zoll- und Steuervereines vom 2.12.1876, LGBl. 1876 Nr. 3.
[4] Nicht aufgefunden.
[5] Laut Rückvermerk vom 22.9.1914 erteilte der Fürst telefonisch die Zustimmung zu diesem Vorschlag. Der Bericht wurde anschliessend am 25.9.1914 von Hampe zu den Akten gelegt. Die Antwort an die US-amerikanische Botschaft unter LI LA V 003/0040/1, Verbalnote des k.u.k. Ministerium des Äussern an die US-amerikanische Botschaft in Wien, 25.9.1914.