Franz von Holstein erzählt Franziska Rheinberger von der Bedeutung seines Werkes "Heideschacht" für ihn.Zugleich gibt er Ratschläge in Bezug auf eine mögliche Aufführung der "7 Raben" in Leipzig


Brief von Franz von Holstein an Franziska Rheinberger:

Leipzig, den 3ten Jan. 72

Liebe, hochverehrte Frau!

Eigentlich wollte ich das alte Jahr nicht scheiden lassen, ohne Ihnen ein Wort des Dankes zu sagen für die liebevolle Theilnahme, welche Sie und Ihr Mann mir in den bewegten Münchner Heideschacht-Tagen haben zu Theil werden lassen. So geschehe es denn jetzt - ich drücke Ihnen beiden in Gedanken recht herzlich die Hand. Zwischen meiner Frau und Ihnen hat das trauliche 'Du' bereits ein Denkmal gestiftet, welches ausspricht, dass Sie sich gegenseitig auch in dem mit Verständniss begegnet sind, was ich gewollt und vielleicht nicht ganz erreicht habe. Sich auch da verstanden wissen, wo man, anstatt zu reden, vielleicht nur gestammelt hat, das thut doppelt wohl. Das widerfuhr mir von Ihnen Beiden und von manchen Andern, auf deren Urtheil ich Wert legen darf. Das entschädigt mich für die wenig freundliche Weise, mit der, wie ich höre, die Münchner Kritik mein Werk besprochen hat. Ich beklage mich nicht desshalb. Auch hier in Leipzig widerfährt dasselbe manchem fremden Kunstwerke, manchem fremden Künstler zugunsten einheimischer Kräfte in missverstandenem Lokal-Patriotismus. Jeder büsst aber nicht allein um eigene Schuld, sondern muss solidarisch für die Schuld seiner Mitmenschen mitbüssen und einstehen. Künstler sind aber auch Menschen - wenn sie nicht wie der grosse Richard [1] zum Gott geworden sind! - und so ist denn das mir von der Münchner Kritik Widerfahrne ganz in Ordnung. Im ganzen liebe ich nicht, wenn die Künstler, wie heutzutage üblich, viel Worte über ihre Werke machen, und noch zu jedem Neuen wie die Hühner anfangen zu gackern: 'Seht nur, welch schönes, neues Ei ich da wieder gelegt habe!' Aber Freunden gegenüber darf man sich schon ein offenes Wort erlauben. So gewöhnt ich an strenge Selbstkritik bin, wie weit mein Schaffen auf Originalität Anspruch hat, darüber getraue ich mir im G a n z e n nicht zu entscheiden, wenn ich auch im E i n z e l n e n wohl weiss, was m i r angehört, und was ich mir unwillkürlich aus den reichen Elementen des bereits Vorhandenen assimilirt und zu eigen gemacht habe. Da ich aber fühle, ich habe manches auszusprechen, was nur ich, nicht Andere sagen könnten, was aber nur mir angehört, so hoffe ich, dass ich auch hin und wieder den nur mir eigenthümlichen musikalischen Ausdruck dafür gefunden habe. Ein urwüchsiges, alles Vorhandene negirende und umstürzende schöpferisches Talent, mit dem eben eine neue Epoche der Musik-Geschichte beginnt, dafür halte ich mich freilich nicht. Und wächst nicht alles Rechte und Gute aus dem Vorhergehenden heraus, wie in der Natur ein Zweig über dem andern an dem sich weiter und kräftiger entwickelnden Stamme heranwächst? So Rafael aus Perugino, Beethoven aus Haydn und Mozart und selbst Wagner aus Marschner und Weber. Auch heute könnte ich meinen Heideschacht noch nicht besser machen, als im Jahre 1867, wo ich die letzte Note davon schrieb, trotz mancher Mangel, die in Folge der mehr epischen Abstammung dem Stück anhaften. Was feinfühlige Naturen, wie Sie, was die Minorität eines tiefer eingehenden Publikums an meiner Oper interessirt, trotz mancher Mängel erwärmt und ergreift, dass ist die gemüthliche Versenkung in den Stoff, in die einzelnen Situationen, die leichter wird, wenn Buch und Musik demselben Herzen entsprangen. Zugleich die damit verbundene innere Wahrheit. Tm Heideschacht ist keine Situation, kein Konflikt, der in seinem innersten Keim (die Schuld des Stirson ausgenommen) sich nicht auf S e l b s t e r l e b t e s stützte, nicht in tiefster Seele von mir durchempfunden wäre - vielleicht mit tausend Schmerzen. Wie Helges Tod die dramatische Versöhnung herbeiführt, so hat der Heideschacht mich mit dem Leben versöhnt, und wie eine ächte Sühne mir zugleich ein neues Leben, das eines künstlerischen, dramatischen Schaffens erschlossen. -

Vielleicht trägt diese Beichte, die ich Ihrer warmen, mitfühlenden Seele ablege, dazu bei, Ihnen klar zu machen, was es eigentlich war, was Ihnen den Heideschacht lieb machte. Ich werde vielleicht äusserlich reifere, bühnenwirksamere, ja hoffentlich künstlerisch selbständigere Werke schaffen, diese, allerdings nur tiefer eingehenden, feiner fühlenden Naturen bemerkbare innerliche Wirkung werde ich kaum je mehr erreichen. Wenn die Kritik die Helge also nicht wahnsinnig genug, eine andere für überflüssig findet, so ist darauf eben nichts zu sagen, als das keine Spur des Grundgedankens, keine Spur der beabsichtigten Wirkung durch die kritische Brille gedrungen ist, und - der Rest ist Schweigen! - Doch genug von mir selbst. Es ist sonst nicht meine Art so - ich denke Sie verstehen mich auch darin und erkennen in meinen Werken das Vertrauen, das ich sovieler herzlicher Theilnahme glaubte schuldig zu sein. Denn Ich mag noch so ernst in die eigene Brust blicken - Eitelkeit war dieses Mal nicht dabei, wenn ich ausnahmsweise von m i r redete. Wenn man von Etwas recht gemüthlich ergriffen war, so erscheint Alles, was anderen Zielen auf gangbareren Pfaden zustrebt, danach unbedeutender, weniger sympathisch. So erging es mir selbst mit meiner neuen Oper, die mehr den Lustspielton anschlägt, so erging es vor allem meiner Frau dieser gegenüber. Und doch thut das Verschiedenartige wieder wohl und wirkt frischer anregend auf die Phantasie.

Das hat gewiss Ihr Curt auch bei seiner ächt komischen Oper empfunden. Ich kann Ihnen nur wiederholen, dass die zwei Akte davon, welche ich kenne, einen g r o s s e n und durchweg wahrhaft erfreulichen und ächt befreienden Eindruck gemacht haben, wie die heitere Muse ihn üben soll. Lyrischer Schwung bei Volksthümlichkeit und gesunder Derbheit (ob „rüpelhaft“ genug, weiss ich zwar nicht), dann eine beneidenswerthe Knappheit der Form, eine meisterliche Beherrschung des dramatischen Elements, - kurz - ich brauche nichts weiter zu sagen. Dergleichen fehlt uns längst. Seit Lortzing, dem doch immer bei allem Talent der Dilettantismus anklebt, und dessen Gebilde immer nach dem Qualm der Theaterlampen duften, ist Etwas in ähnlicher Richtung nicht dagewesen. Bei Ihrem Mann tritt noch die künstlerische Vollendung dazu, die kontrapunktische Kunst, die nicht ihrer selbst wegen da ist, sondern wie spielend eintritt und dem Ganzen Reichthum und Mannichfaltigkeit verleiht.

Ich freue mich ausserordentlich, dass das Werk bald in München studirt wird. Die Wirkung muss eine vortreffliche sein, und nicht nur dort, wo die lokale Scenerie dem Werke noch besondere Bedeutung verleiht, deren das Kunstwerk als solches garnicht bedarf. In Bezug auf das dramatische Element, welches so wirksam und ungezwungen sich aus den ächt musikalischen Formgestalten entwickelt, ohne gegenseitige Schädigung - stelle ich das neue Werk sogar über die 7 Raben. -

Für deren Flügge-Werden in Leipzig zu wirken, lasse ich keine Gelegenheit vorübergehen - schon aus egoistischern Interesse. Wenn Sie aber Ihr Hierherkommen ganz an die Bedingung der hiesigen Aufführung der Oper knüpfen, so ist das doch zu hart. Ware ich nicht v o r der Aufführung des Heideschacht nach München gekommen, so würde diese wohl nie stattgefunden haben, - wir hätten uns garnicht kennengelernt und verstanden, und Scarlatti [2] hätte nie eine Wurst in Goldpapier erhalten! -

Liegt Ihrem Manne irgendwie an der hiesigen Aufführung der Raben, so würde sein persönliches Erscheinen gewiss am Ehesten zum Ziele führen. So egoistisch das für uns klingt - es ist doch die Wahrheit. Freilich ist nun Leipzig kein solch erfreuliches Reiseziel als München - aber mit einigen guten Freunden ist es hier doch ein paar Wochen auszuhalten, auch für verwöhnte Grossstädter und königl. Residenzler. -

Wenigstens muss Ihr Mann aber an den Direktor Haase schreiben, der vielleicht garnichts davon weiss, dass die Raben hier liegen und Curt keine Antwort erhielt. Er möge doch auf Entscheidung drängen, oder um Rücksendung der Partitur schreiben. Kann er in seinem an den D i r e k t o r gerichteten Schreiben meinen Namen erwähnen, so verschaffte dies mir vielleicht Gelegenheit, Herrn Haase meine Meinung über die Oper zu sagen, und von dem Erfolg derselben in München zu erzählen. Er ist im Allgemeinen unnahbar, und ohne Anregung von Curt's Seite fehlt mir absolut die Gelegenheit, für die Sache zu wirken. Der Kapellmeister aber schweigt grundsätzlich über Alles, was eine neue Oper (eine neue Arbeit!) betrifft.

Und nun leben Sie wohl im Jahre 1872 und lasse Gott Ihnen alle Freude zu Theil werden, die Sie verdienen. Die Gattin grüsst herzlich, wie ich Ihren Mann von Herzen. Seien Sie gut, wie immer, und verzeihen Sie diese lange briefliche Extravaganz

Ihrem aufrichtig ergebenen

Franz von Holstein.

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[1] Richard Wagner.
[2] Rheinbergers Pudel.