Ferdinand Marock an seinen Bruder Wilhelm Marock über die Zusendung des Liechtensteiner Volksblattes nach Amerika, die Verfertigung eines hölzernen Kruzifixes durch den Schnitzer Josef Marock, die Übersiedlung von Mutter Genofeva Marock [-Meier], die Pressefreiheit in Liechtenstein und in den USA, die Kritik von Émile Zola in der Dreyfus-Affäre, den Bau eines Schulhauses in Schaanwald, den Stand der Lehrkräfte in der Gemeinde Mauren sowie den Butterertrag der Maurer Genossenschaftssennerei


Handschriftliches Originalschreiben von Ferdinand Marock, Mauren, bzw. auf dessen Geheiss an den Bruder Wilhelm Marock in Indiana [1]

07.03.1898, Mauren

Lieber Bruder!

Am 17. Feb. erhilt ich Dein Schreiben vom
31. Jänner u. habe mit dem grössten [2] Ärger ge-
lesen, das Du das Lichtensteiner Volksblat
nicht mehr erhaltest, seit den Redaktion-
wechsel also vom 1. Jänner 1898 an. Ich ging
selbst 2 Tage naher zum Meinrad Osbelt [Meinrad Ospelt]  
nach Vaduz, welcher mir erklärte das es richtig
sei, dass [3] die Zeitung nicht mehr nach Amerika
abgeschickt werde, da ihm von Thd. Reihn-
berger [Theodor Rheinberger] keinnen direkten Auftrag ertheilt
wurde, trotz dem ich dem Lümmel auf-
getragen habe die Zeitung so lange zu
schicken bis ich es schriftlich od. mündlich
untersage. Also die Zeitung wird in
gewohnter Weise vom 1. April wider an-
kommen. Josef [Marock] schickt dem Bruder Jakob [Marock] der
Glaubenherold, auf Weihnachten erhilt er
ein sehr schönes Buch von ihm, (die Beschreib-
ung des hl. Landes) ihm Werth von 12-14 fl. [Gulden]
u. einen Kalender. Anfang Feb. erhilt er [4]
ein sehr schönes Kreuz von ihm, welches das
ganze Leide Cchrist vorstelt er soll es selbst
verfertigt haben. Dieses Amerikanische Kreuz
hate ein zweites Kreuz zur Folge für Jakob.
Den das erstre gab Veranlassung das die
Mutter [Genofeva Marock [-Meier]] sich von ihm trennte, und zum Andreas [Marock]
übersidelte. Natürlich eine Aufstifterei von
Seite Andreas resp [5] seines Schwiegersohnes
David Bühler trug mehr bei als das
Amerikanische Kreuz. Diese Trennung ist
für Bruder Jakob umsomehr peinlich da er
Morgen als am 8. März eine Gerichtliche
Vorladung  gegen über der Mutter betrefts
Vermögens vertheilung hat. Die freie
Presse gefällt mir recht gut u. Deine Einsend-
ungen mir zum Theile sehr gut, nur
wird es mir manchmal sehr bange für
Dich; Da in den meisten Einsendungen
die höcheren ja sogar die höchsten
Persönlichkeit Amerikas frevolster
Weise angegriffen werden etwas [6]
ähnlich wie Zola [Émile Zola] in jüngster Zeit in
Frankreich. Ich habe überhaupt keinen Be-
griff davon das solche Einsendungen in
Amerika straflos weggehen, hier wen man
nur einen einfachen Schullehrer od. Orts-
vorsteher in ein Presse schimpfen
würde könte einer Monate lang im Käfich
sitzen. Also in Amerika muss mehr Pressfreiheit
exestirren alls bei uns. In diesem Sommer
wird in Schanwald drüben ein neues
Schulhaus erbaut. [7] Es wird immer bunter bei
uns; zur Zeit wo wir noch in die Schule
gingen, war der Lehrer mit 200 fl. Jahresgehalt
fix bezahlt, später dan mit 400 fl. Heute
haben wir 2 Pensonirte Lehrer, 2 aktiv
Lehrer u. eine Lehrschwester, jetzt komt
noch einer in Schanwald also mit einer
jährlichen Lehrerausgabe für alle 6 Lehr-
kräfte 3800 fl. zusamen. Die Seelenzahl
übersteigt aber noch nicht 1000 Einwohner.
Gegenwärtig besitzt die Gemeinde zwei [8]
Genossenschafs Sennerinn welche jährilch
über 300‘000 Kilo Milch versennet, u. einen
Butterertrag 12‘000 Kilo erzilt. Die weiteren
Neuigkeiten im Lande kannst Du in der
Zeitung lesen. Was meinen Familikreiss
anbelangt sind wir Gottlob zimlich gesund
bis an das jüngste Kind das schon 6 Wochen
schwer krank darnider ligt an dem sogenannten
Keuchhusten u. an ein wieder aufkommen
sehr Zweifelhaft ist. Winter haben wir heuer
so zu sagen keinen, bis Anfangs Feb. Herbst-
wetter mit Nebel, dann folgte aber Meter
hohen Schnee aber immer noch nicht kalt, also
den ganzen Winter keine gefrorne Fensterscheiben.
Andreas will in kürzester Zeit auch einmahl
einen Brief, an Dich Schreiben. Also zum
Schlusse recht Herzliche Grüsse an Dich, Frau
u. Kinder gross u. klein von uns allen

Ferdinand

Viele Herzliche Grüsse an Euch alle,
aber besonders an Euch lieber Onkel.

Theresia Marock [Theres Kieber [-Marock]]

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[1] US PA Delph Donna. Brief in Kurrentschrift. Es handelt sich nicht um die Handschrift von Ferdinand Marock.
[2] Ursprüngliche Fassung: „gröẞten“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[3] Durchstreichung.
[4] Seitenwechsel.
[5] In lateinischer Schrift. Wird im Folgenden kursiv gesetzt.
[6] Seitenwechsel.
[7] Die feierliche Eröffnung des neuen Schulhauses in Schaanwald fand am 22.10.1899 statt. Vgl. L.Vo., Nr. 43, 27.10.1899, S. 1-2 („Vaduz“).
[8] Seitenwechsel.