Alois Rheinberger an Emma Rheinberger über die Witterung in Nauvoo seit Oktober 1912, die Ernte der Feldfrüchte, die Hilfe Gottes, seine Atemnot, den Empfang der hl. Kommunion in seinem Haus, den Besuch seines Sohnes Franz Rheinberger, die Maul- und Klauenseuche in der Schweiz und in Liechtenstein, die Restauration der Burg Gutenberg durch Egon Rheinberger, die Pflege durch seine Angehörigen sowie die Vollendung des Staudammes bei Keokuk


Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger, Vaduz [1]

28.07.1913, Nauvoo (Illinois)

Fräulein Emma Rhbrgr [2]

Liebe Emma!

Vor einigen Tagen erhielt ich einen [3] Zeitung
von Vaduz. Ich wunderte mich und hätte lieber
einen Brief von Ihnen empfangen. Ich fürchtete
Sie oder Eines der Ihrigen möchte krank sein
und die Zeitung käme nur, wie ein Bote mich
zu versichern, dass [4] Sie mich nicht ganz vergessen.

Seither kam auch Ihr ersehnter Brief an.
Ich danke für Ihr langes und herzliches Schreiben
und bedaure die ganze Landschaft wegen der
ungünstigen Witterungs-Verhältnisse.
Für die Leute dorten sind solche Jahre viel
schwerer zu ertragen, als bei uns hier.

Unsere Witterung ist entgegen gesetzt.
October, November und December 12
Januar und Februar 13 mild, sonnig und
meistens trocken. Der Merz war ein richtiger
Wintermonat, so auch die erste Woche Aprill.
Die anderen 3 Wochen, warm, sonnig und
trocken; so der May und Juny. July heiss
zwischen 90 und 100 Grad [Fahrenheit] auch darüber und trocken
bei stetem und oft heftigem Süd und
Südwest Wind. [5]
Eine kleine Änderung brachte gewöhnlich die
Neumonds Woche. Ein wenig kühler und den
nötigsten Regen. Die Blütezeit verlief langsam und
ungestört für Sträucher, Bäume und Weinreben
und überreichlich setzten sich Früchte an.

Wir haben sie deshalb noch nicht, obschon
derzeit viel verspechend, kann doch der August
und September noch schädlich genug wirken.

Die Hitze war übrigens nicht algemein; es
gab weite Gebiete, Östlich und nordwestlich von
uns, deren Bewohner den Monat Juny als den
kältesten, den sie daselbst noch erlebt, notiren.
Die Ernte aller Feldfrüchte im allgemeinen
wird sehr hoch geschätzt, noch über die Erndte von
1901 welche bis dorthin für die grösste galt.

Sie bemerken in dankbarer Erinnerung
an Gottes Güte, dass es Ihnen im ganzen immer gut
gegangen mit Gottes Hilfe. – Ja, mit Gottes-Hilfe.
Mein seliger Vater [Josef Ferdinand Rheinberger] sagte, wen die Umstände
unangenehm wurden: Du lieber Gott
wo Du nicht bist, alles nur vergeben ist.

Wie es mir geht? fragen Sie.
Auch gut und mit Dank erfülltem Herzen bitte
ich um seine ferrnre Hilfe. Meine Atem-Not
[6] ist nicht mehr so beschwerlich, vielleicht
hilft das anhaltende und trockene Wetter gut. [7]
Bis zum November 12 arbeitete ich, obwohl
oft unwohl seit dem Aprill 12 noch jeden
Tag, von da an konte ich nicht mehr, meine
Füsse verliessen mich, wurden immer schwächer, so
dass ich heute nur noch mit einem Stecken in jeder Hand
durch die Stube oder einige Schritte ausser Haus gehen
kan. Ich habe meine Trauben noch nie gesechen
den ich kan keine 100 Fuss weit komen, ohne zu fallen.
Die Trauben sollen, wie man mir sagt, schön sein.
Am Neujahrs Tage kam ich mit grosser Müche nach
langer Zeit noch zur Kirche, dan nicht mehr bis Merz
aber als ich nach der Communion an meinen Platz
zurück musste ich an jedem Stuhl mich halten um
nicht zu fallen. Das war das letzte mal, seither
wird mir die heilige Communion in’s Haus
gebracht. Ich bin bereit zu sterben wen Gott
es will, je echer, desto lieber.

Als der Franz [Rheinberger] im Juny da war, äuserte
ich ihm mein Leid, dass ich meine schöne, in reizender
Lag liegende Heimat einem Fremden überlassen
müsse. Da sagte er mir: sei unbesorgt, wen die
Zeit komt, werde ich alles übernehmen.
Die Heimat wird nicht in fremde Hande kommen.
Die übrigen Erben werde ich nach Ubereinkommen
ausbezalen. Das freute mich.

Ich habe schon lange von der untilgbaren
Klauen-Seuche in der Schweiz gelesen und
erfahre jetzt zu meinem grössten Bedauren [8]
dass diese Krankheit auch in Lichtenstein
eingezogen ist. Ein grosses Unglück! Ein
Fehljahr in allen Feldfrüchten, krankes Viech
Futtermangel, Störung und Verlurst im Verkehr
ungeahnte Müchen und Sorgen. Armes Lichtenstein!

Sie bemerken mir, dass eine Frau [Salome Felini [-Rheinberger]] von dorten
nach Los Angelos Calif. abgereist ist, wo ihr ein Sohn
verunglückte. Dort wohnt noch die Frau Johanna
Schallert
von Feldkirch. Eingewandert vor
mehr als 50 Jahren fand Schallert Beschäftigung
in St. Louis, bei Saler & Ci der glaube ich auch von Feldkirch
komt. Er war mehrere Jahre Reisender für
Salers Buchhandlung. Auf seinen Geschäfts Reisen
kam er auch zu mir, das letzte mal ein Paar
Tage eche er im Missisippe, wohl beim baden, vor
etwa 40 Jahren ertrank. Darauf zog seine Frau mit ihrem
Sohn nach Nauvoo, und wohnte einige Zeit hier.
In Los Angelos war aber der Zeit ein Ganahl
Ganahl von Feldkirch und zog desshalb dahin.
Ihr Sohn wurde ein feiner belieber Man
verheuratte sich und starb einige Jahre nachher
ohne Nachkommen. Die Mutter lebte fortan mit
ihrer Schwiegertochter und lebt heute noch fast
90 Jahre alt. Sie schrieb noch kürzlich an
unseren Pfarrer und die Sepha [Josefa Rheinberger] Briefe
und schickte letzterer noch Geld und Auftrag dafür
zu sorgen dass das Grab ihres Mannes rein gehalten werde. [9]

Sie sind mit Ihrer werten Schwester [Olga Rheinberger] wieder allein
im roten Haus. Gott schütze Euch, segne Euer Tun
und erhalte Euch in der Liebe zu ihm und zu
einander. Ihr Herr Bruder [Egon Rheinberger] ist wieder auf seinem
Schloss [Gutenberg] mit Vollendung und Ausschmükung
dessselben beschäftigt und recht freut mich seine Absicht
dieses, nach Vollendung, an das Haus Lichtenstein
verkaufen zu könen. Ein solcher Bau ist ein teurer
Anhängsel, wen er nicht rentabel gemacht werden
kann. Von Herzen Glück wünsche den beiden
Bübchen [Hans Rheinberger, Peter Anton Rheinberger]. Der gute Gott schütze und segne
sie und die Eltern, dass sie heran wachsen zu
ihrer Freude und Gottes Wohlgefallen.

Die Sepha und ihre Tochter Maria wohnen
seit November, wo ich unfächig wurde allein zu sein,
bei mir. Gott hat das so gut gefügt, dass ihr
Tochtermann, Herr Dayton anfangs November wieder
heuratete, und sie, die bis dahin sein Haus und die
Kinder, besorgte frei wurde. Das Kleinste ein Bübchen nahm
sie aber mit. Es ist jetzt 3 Jahre alt und ein
auffallend starkes, auf alles aufmerksames und
immer tätiges Kind. Zu meinem Geburtstag waren auch die die Anna, die Frau Heintz
und Mr. Heinz waren da, auch der Franz [Rheinberger] mit der
Famielie, 4 Mädchen, waren da. Auch die Maria.
Der Franz reisete nach 3 Tagen wied ab ins Geschäft. Er ist
ein kluger und Erfolg reicher Geschäftsman. Mein
Liebling, und Nachlass Verwalter, und hat mein
unbegrenztes Vertrauen. [10]
Seine Famielie bleibt noch hier, den die Mutter der Frau
ist auch alt und kränklich. Die Maria reisste von
hier ab in grosser Hitze, als sie aber durch die
Staaten Wioming und Montana kam, fand sie
Passgiere in warme Kleider gehült und daheim
musste sie mitunter noch Feuer machen. Sie und ihr
Mann, Mr.Blake wohnen gegenwärtig in
Spokan, im Staate Oregon. Ihre Reise nimt
3 Tage und Nächte ununterbrochener Fahrt.

Der Staudam bei Keokuk ist vollendet, und
das Wasser dess frücheren Flusses bereits [11] um
16 Fuss gestiegen und soll noch 2 Fuss höcher werden.
Am 15. bis 18t August werden Eröffnungs-
Feierlichkeiten stattfinden mit möglichstem Aufwand
und Pracht. Auch der President der Vereinigten Staaten [Woodrow Wilson]
wird gegenwärtig sein. Kosten dess Baues bis jetzt
18 bis 20 Millionen Thaler. An 300 Mann
sollen beim Bau verunglückt sein.

Am Sontag dem 20t äuserte eine Frau
noch ihre Freude über die Vollendung ihres schönen [12]
Hauses und am Montag den 21t Morgens 6 Uhr
verbrante sie an ihrem Gasolin Ofen. Der
Mann, bemüht die Flammen ihrer Kleider [13] zu löschen
verbrante beide Hände und Arme, dass er jetzt
gefüttert und gepflegt werden muss wie ein Kind.

Es ist die 2te Frau, die dieses Jahr hier verbrent. [14] 

Ich antwortete Ihnen sogleich, weil ich nicht
sicher bin es in Einer Woche später zu tun.

Ich habe meine Hand nicht mehr in meiner Gewalt.
Vielleicht muss ich mein mühsames Dasein noch
eine Weile fortführen, vielleicht werde ich bald
abgerufen. Alles, wie Gott will.

Nehmen Sie meinen aufrichtigsten Dank für
Ihre und der lieben Angehörigen vieljährige
Freundschaft, und halten Sie mich und die
Meinigen ferner in freundlicher Erinnerung.

Grüssen Sie mir auch die Berta Schauer [Bertha Schauer].
Grüssen Sie die Frau im Löwen [Laura Rheinberger [-Wolfinger]], derer ich mich noch
erinnere als ein munteres Kind.

Entschuldigen Sie mein fehlerhaftes Schreiben.
Ein Strich zu viel oder zu wenig, ein unlesbares
Wort und der gleichen. Mein Alter und mein
Zustand sind schuld. 

Nochmals mein Dank mit der Hoffnung
einer Wieder-Vereinigung.

A. Rheinberger

______________

[1] LI LA AFRh Ha 17/22. Brief in Kurrentschrift. Vgl. das Schreiben der Emma Rheinberger an Alois Rheinberger vom 12.7.1913 unter LI LA AFRh Ha 18.
[2] Die Personen-, Orts- und Monatsnamen sowie die Fremdwörter, für die Alois Rheinberger die lateinische Schrift verwendete, werden im Editionstext kursiv gesetzt. Auf weitere einschlägige Fussnoten wird verzichtet.
[3] Durchstreichung.
[4] Ursprüngliche Fassung: „daẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[5] Seitenwechsel.
[6] Durchstreichung.
[7] Seitenwechsel.
[8] Seitenwechsel.
[9] Seitenwechsel.
[10] Seitenwechsel.
[11] Durchstreichung.
[12] Durchstreichung.
[13] Durchstreichung.
[14] Seitenwechsel.