Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Arosa, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]
06.01.1908 („3 König“), Arosa
Lieber Herr Vetter!
Seid dem Empfang Ihres
lb. g. Briefleins am 1. Januar 1908 habe ich
jeden Tag daran gedacht, meinen innigen Dank
für Sie niederzuschreiben, Ihnen zu sagen,
wie glücklich Sie mich damit gemacht. Wird
es indessen auch etwas später mit meinem Brief-
chen, als mir lieb ist, so danke ich Ihnen doch
alle Tage im Herzen, für das liebevolle Opfer,
das Sie unsern armen Verunglückten in Vaduz [2]
u. die unsägliche Freude, die Sie damit
mir gebracht. – So viel Freude wie im Herbst 1907,
Herbst u. Winter 1907 durch die mir zugekommenen
Almosen für uns. armen Abgebrannten habe ich
Jahre lang nicht gehabt, und das vorausgegangene [3]
vom lb. Gott geschickte Leid hatte ich vor
lauter Wonne vergessen. – Denken u. freuen Sie
sich, mit Ihrer grossen, grossen, lieben Gabe
habe ich gegen 160 frs. [4] zusammen gebracht.
Ist das nicht wunderschön. – Ich möchte Ihnen
heute danken, Sie edler, edler, gutester Herr
Vetter, unaussprechlich danken. Lassen Sie mich
diesen warmen Dank in Ihre Hand hineindrücken
u. Christkindchen in seinem armen Strohhüttchen
in Arosa um seinen Segen für Sie flehen. Es
ist so furchtbar viel, was Sie uns. heimatlichen Not
abgetreten, dass ich mich immer wieder von
ganzer Seele freue. Das lohne Ihnen Gott ganz
besonders. [5] Sind Sie mir schrecklichem Bettelsäck-
chen aber auch nicht böse? – Bitte, bitte nicht!
Es ist doch eine der höchsten, grössten Freuden
die man auf der Welt besitzt, nicht wahr, den
Elenden u. Notleidenden zu Hilfe kommen zu
dürfen. – Aber lieber, lieber Herr Vetter, was
für einen schönen Kalender noch zu allem [6]
Guten schenkten Sie mir. Der freut mich
ganz ungeheuer, vielen, vielen Dank! Ich
habe schon fest damit begonnen, er ist mir
für Arosa ganz besonders willkommen, in der
hiesigen Lektüre (unter meistens Protestanten)
bin ich sonst stets etwas unsicher, od. ängst-
lich. – Was hat dieser Vater [John Joseph] Jessing des Josefinums
doch Ungeheuerliches u. Gutes gewirkt! Vor-
wurfsvoll denke ich gegenüber solchen [7]
Menschen stets an meine eigene armselige Nichts-
nutzigkeit im Leben, die ich so gar nichts
sein, od. wirken darf u. oft möchte mir d. fra-
gende Gedanken kommen, zu was [8] ich eigentl.
doch auf der Welt sei? – Ganz furchtbar über-
flüssig bin ich doch. – Und Sie lieber H. Vetter?
ja Sie, – so unendlich, unendlich viel durften
Sie Gott u. Ihren Kindern sein. Solche Menschen
möchte ich still in meinem Innersten anstaunen,
aber auch – beneiden, – es waren die Bevor-
zugten, – bevorzugt besonders bei Gott durch
Leid u. Freud. – 7 mal begleiteten Sie die
Ihren zu Grabe, – Sie grosser, tapfrer, starker [9]
Mann – sind dabei fest u. ergeben in den
Willen – Gottes geblieben, das verdient wohl
den Lohn der Märtyrer. – Ja, ja ich glaube,
dass da manche heisse Träne floss u. noch
fliesst, – aber sehen Sie, all‘ die lb. Engelein,
die Sie im Himmel haben, sie helfen Sie Ihnen
trocknen, nicht wahr, sie [10] sind Ihnen ja
den ganzen Tag so nahe, – nicht mehr wei-
nen lb. g. H. Vetter, bitte, bitte! –
Es freut mich riesig, dass Sie gesund sind. Es
bewahrheitet sich bei Ihnen wohl d. Tatsache
"Arbeit stählert Kraft u. Leben". – Furchtbar
aber schäme ich mich bei der Entdeckung,
wann Sie aufstehen, lb. H. Vetter. Ich denke
jetzt wohl des Morgens: schäme Dich, Emma, jetzt
ist Vetter Alois schon so lange auf. – Ich wünschte
es m. ganzes Leben auch so gemacht zu haben.
Der Besuch v. Ihrem lb. Sohne Franz, das
freut mich, wie viel konnten Sie da wieder von
diesem guten, lb. Sohne haben. – Wie alt ist
denn sein älteres Töchterchen? Hat er nur 2 Töch-
terchen? – Sie müssen mir einmal schreiben [11]
wie viel Kinder u. Enkel (mit [12] den verstorbe-
nen) Sie besitzen? –
Wenn Ihre lb. Tochter Maria u. ihr Mann auf
Besuch kommen, müssen Sie sie herzl. v. mir
grüssen, überhaupt möchte ich Jedem Ihrer
Lieben m. getreuen Gruss senden, jedem einen
guten Wunsch.
Ihre Mitteilungen über die furchtbaren Un-
glück aller Art, wie man sie i. Amerika schon
gewöhnt, könnte man in uns. kl. Verhältnissen
kaum erfassen. Wenn unser Landsmann seine
schwer errungene kl. Habe durch Unglück ver-
liert, ist er eben ganz wie zerschmettert.
Mein Bruder [Egon Rheinberger] schreibt mir noch jüngst, wie
das Brand Unglück noch dadurch jetzt vergrössert
werde, dass jeder wieder bauen wolle, wo-
durch viele, oder doch welche davon ruinirt
werden, wie d. Verhältnisse eben sind. – Da-
bei ist dann noch viel Hader u. Streit dieser
Bauplätze willen u. masslose Forderungen
des Grundbesitzes, welche nicht mehr bauen. [13]
Die plötzl. u. bedenkl. grosse amerikanische
Auswanderung muss viele doch schwer treffen,
viele Familienverhältnisse hoffnungslos
gestalten, nachdem sie dort so schönen Ver-
dienst gefunden hatten, mit so enormen Ar-
beiter-Bezahlungen. – Meinen Sie nicht, dass
es später besser wieder werden könnte? – Die
Arbeiterlöhne beginnen selbst bei uns bedenklich zu
werden, ein Arbeiter verdient viel mehr, als
ein kl. Beamter. – Mein Bruder hätte z. B.
[14] vor 2-3 Jahren nur, noch viel besser
getan, gebaut mit seiner Burg Gutenberg, jetzt be-
zahlt er schon ziemliche Maurerlöhne. – Aber
schön wird die Burg, ich wollte, Sie sähen
sie einmal, wenn sie soweit, wird eine An-
sicht schon folgen. –
Dieses Jahr schenkt uns Gott, zu meiner Wonne
hier oben in unser kalten, 1800 Mtr. hohen Bergen
ein ganz ausnahmsweise warmes, herrliches
Winterchen. – Das Höchste bisher hatten wir
Morgens u. Abends schon 8-9 ° R. [Réaumur] Kälte, die Mittags-
sonne aber kommt leicht auf 40 ° [15]. Natürlich [16]
haben wir in dieser Höhe schon zeitig Schnee,
der bleibt bis Mai od. Juni. In Folge dessen
wohl ½ Jahr in der ganzen Umgegend kein [17]
Stäubchen, desshalb diese krystallreine, der Lunge
so bekömmliche Luft. – Am 2. Decemb. musste
ich m. lb. Heimat wieder verlassen, – es ging
nicht ohne Tränen ab, m. Schwester Olga [Rheinberger] liess
ich nur bis Chur mit, fürchtend d. Abschied wer-
de weiter oben noch bedenklicher. – Meine Wirts-
leute u. mein Artzt hier nahmen mich jedoch
so liebevoll wieder auf, dass ich ganz gerne mich
wieder der Pflicht füge. – Nicht mehr im Waldrand [Pension]
sondern in Inner-Arosa, Hôtel Bellevue [18]
bin ich diesen Winter. Mein Wirt war diesen
Sommer umgezogen vom Waldrand in’s Bellevue
u. ich dann mit ihm. – Der Tausch ist ein guter,
das Haus grösser, bequemer mit Centralhei-
zung, wodurch ich jetzt immer ein warmes
Zimmerchen besitze, wenn gleich [19] ich es Tags
über ja nicht brauche, /: wir müssen in Arosa
durch uns. Lungenspezialisten ja d. ganzen
Tag draussen im Freien liegen :/ ist man
doch froh, schnell einmal in sein warmes [20]
Stübchen springen u. vor Allem darin schreiben
zu können. – Mein Dr. [21] in Arosa war nach
m. ersten Untersuchung zufrieden über meine
Lunge, so dass er meint, das dürfte doch der
letzte Arosa-Winter für mich sein. – Ich hatte
daheim über d. Sommer Sonnenbäder genommen, welche
mich aussergewöhnlich stärkten, so dass ich jetzt
ein Gewicht von 114 ½ Pfund habe, immerhin
genügend zu einer Grösse von 1.55 Mtr., doch
muss ich immer noch viel Milch trinken um das
Gewicht zu steigern wenn möglich, was für die
Lunge von so grossem Vorteil ist. –
Eine grosse Freude habe ich hier bei m. Rück-
kehr n. Arosa erlebt. – Der lb. Heiland hat
jetzt ein Kirchlein i. Arosa, [22] – denken Sie sich! –
das heisst, einen grossen, wenn auch noch ärmli-
chen, doch würdigeren Betsaal. – Der darauf ge-
baute Stock ist d. Pfarrerwohnung u. eine Pen-
sion für Lungenkranke, gehalten von H. Pfarrer
um sich die Existenz zu erleichtern. – Ein armer
auch Lungenleidender französischer Priester.
Gottes Schutz u. Treue alle Tage mit Ihnen! Ich bitte
Ihn dankbar um seinen Segen für Sie, schenken Sie
auch mir Lungenpfeifferchen bitte, bitte 1 Ave-Maria,
ich vertraue Ihrer Rücksprache mit d. lieben Gott so sehr.
Ganz, ganz dankbar E. Rheinberger.