Handschriftliches Originalschreiben der Karolina Büchel [Karolina Büchel [-Hasler]], Gamprin, an ihren Onkel Ulrich Öhri mit Familie, Spencer (Nebraska) [1]
06.12.1927, Gamprin
Lieber Onkel u. Familie!
habe Euer Schreiben mit Freuden
erhalten. es hat uns sehr gefreut
dass [2] noch jemand an uns denkt in
unserer harten Prüfung. Wir waren
ganz erstaunt als wir lasen Ihr
habet es schon am Dienstag vernomen
dass der Rhein alles überschwemmt
habe [3], ja Ihr würdet Euch nicht mehr
auskennen so schrecklich sieht es bei
uns aus ich will wetten nicht
einmal Ongel Andreas [Öhri], der doch erst
letztes Jahr hier war würde sich bei
Bendern und bei Gamprin auskennen
so hat sich das Gesamtbild verändert. [4]
In Bendern wurden die Strassen und
Brücken alle fortgerissen das Zollamt
stürtzt zusammen beim Gasthaus zum
deutschen Rhein riss es die Kegelbahn
und die ganze Baumanlage neben
dem Garten weg. Die Strasse von
Bendern bis zur Mühle samt Damm
und Auwald sind gänzlich verschwunden.
Das Rheinbett liegt troken und viel
höher als der Wasserspiegel des neuen
Rheins. Bei der Mühle hat es alles
hinter der Brücke mit, sie steht wie
in der Luft. Die Mühle selbst steht
auf Felsen hat aber dennoch viel
daran geschadet, [5] der Stall hat es fort.
Bei Vaters Elternhaus hat es bis
auf zwei sämtliche Bäume und
den Stall fortgerissen. Bei Schneiders [6]
ist der gröstenteil Bäume und fast
der halbe Stall weg. Das Haus des
Wohlwend stürtzte ein, und wurde
samt allem was drinnen war fort
geschwemmt vom Stall steht nur mehr
ein Drittel. Das Anwesen des Martin
Senti ist vollständig verschwunden
sowie die Werkstätte des Adam
Näscher (Evas) [7] das Haus steht
noch ist aber um und um von einem
Kies und Lettenbanck umgeben für
immer unbewohnbar. In unserem
schönen Feld sind schreckliche Kiesbänke
Im Badel [8] drunten stürtzten die
häuser des Zimmermans Peter Hasler [9]
und des Johann Marxer zusammen
wurden aber nicht mehr fortge-
schwemmt denn hier war das Wasser
nicht mehr so reissend wie auf der
Au [10]
In Ruggel stehen bis auf etwa 15 -
20 Häuser alle heute noch im Wasser
Das Haus des Adolf Neff [Adolf Näff] ist auch
eingestürzt überhaubt sind viele
Häuser mehr oder weniger beschädigt
worden. Kiesbänke hat es in
Ruggell soviel ich weiss keine aber
umsomehr Lettenbänke und Schlam
Ihr könnte Euch gar keinen Begriff
machen wie es in den Bünden
und Häusern aussieht was da
alles angeschwemmt wurde. In
Tante Kresenzas [Crescentia Marxer [-Öhri]] Bünd hat es zum
Beispiel einen Sessel mehrere Fässer
eine Badwanne eine Stande [11]
Zainen, Kübel eine Stiege, eine
grosse Brantweinflasche und weiss
Gott was noch alles zum Vorschein
komt unter dem vielen Holz das
herum liegt es giebt, viel zu tun [12]
bis alles wieder gereumt ist, zu Tantes
haus kann man jetzt noch nicht ohne
das Schiff. Sie ist immer noch bei
Adolf in Zürich mussten ihr letzte
Wochen zwei Zainen voll Äpfel
hineinschicken sie hatte sie als
sie über Allerheiligen hier war
mit dem Schiff zu Fabis hinüber
genommen die eben nicht mehr
im Wasser sind. Die Ruggeller
waren die allermeisten noch in
den häusern alls der Rhein einbrach
und mussten nachher mit Schiffen geholt
werden, was für die hilfstruppen
sehr beschwerlich war. In Gamprin
fürchtete man sich vielmehr man
sah halt eben besser wie schrecklich
hoch der Rhein ging an jenem [13]
Sonntag. Ich war am Vormittag im
Amt, Marili war bei den Kleinen
zu hause, schon vor dem Gottesdienst
war der Rhein ziemlich hoch, mein
Mann [Andreas Büchel] sagte noch: „wirst sehen
heute müssen wir noch auf den
Rhein denn es regnetet schreklich.
Mir war es so unheimlich zumute
in der Kirch ich meint ich müsse
heim den es rauschte immer
fürchterlicher, in der Zeit von 9 -
½ 11 Uhr stieg das Wasser wie
man beobachtete um mehr als
einen Metter und am Nachmit-
tag sagte jedermann den man
hörte heute gebe es noch einen
Einbruch es sei nicht anderst
möglich. Die vier Grösseren [Robert, Pia, Maria, Urban] waren [14]
in die Kirche gegangen, der Mann
auf dem Rhein und ich war bei
den zwei Kleinen [Frieda, Olga] daheim, ich wäre
gern zur Tante hinunter gegangen
konnte aber nicht von den Kindern
weg und mitnehmen schon gar nicht
bei dem furchtbaren Wetter und so
schickte ich sobald die Kinder aus
der Kirche kamen die Pia [Büchel] zur
Tante hinunter sie solle herauf
kommen und die hühner u. Ziegen
mitbringen der Rhein käme sicher
diese Nacht denn er lief gegen
Abend über das Wuhr her bei
Bendern. Da kam Pia ohne die
Tante ich konnte es kaum
begreifen sie sagte es fürchte der
Tante nicht so sehr wie dir Mama [15]
Was für eine Angst ich in jener
Nacht ausgestanden, kann ich Euch
gar nicht schildern ich lief immer
in die Küche um zu horchen ob es
noch rausche im Rheinbett oder
o der Rhein schon durchs Feld
hinunter gehe ach unsere Felder
mit dem fast reifen Türken und
die schönen Kartoffeln heute muss
ich noch weinen wenn ich dran-
denke und doch kam es noch schlimmer
als man fürchtete, den dass es noch
Kiesbäncke gebe aus unseren
Äckern hätte niemand vermutet.
Nun will ich aber schliessen es würde
mich und alle zusammen freuen, so
Ihr wieder bald etwas hören lassen
würdet von Euch, bleibet alle
gesund und seit alle recht herzlich
gegrüsst von Karolina und Familie
______________
[1] LI LA PA 016/3/05/01.
[2] Ursprüngliche Fassung: „daẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu “ss“ umgewandelt.
[3] Rheinüberschwemmung am 25.9.1927 nach einem Dammbruch bei Schaan.
[4] Seitenwechsel.
[5] Die Mühle befand sich südlich des heutigen Gampriner Seeleins. Nach dem Rheineinbruch von 1927 wurde die Mühle abgebrochen, da die Kanalführung geändert wurde. Vgl. Stricker, Liechtensteiner Namenbuch, Bd. 4, S. 100.
[6] Seitenwechsel.
[7] Evas: Wiesen in Gamprin, nördlich des Büel, zwischen Höf und Jederfeld. Vgl. Stricker, Liechtensteiner Namenbuch, Bd. 4, S. 45.
[8] Badäl: Wiesen, Häuser und Strasse in Gamprin, zwischen Büel und Schlatt, umfasst die Gebiete Breita und Valatis Guet. Vgl. Stricker, Liechtensteiner Namenbuch, Bd. 4, S. 19.
[9] Vermutlich das Haus des 1924 verstorbenen Peter Hasler.
[10] Seitenwechsel.
[11] Stande: Bottich, Fass.
[12] Seitenwechsel.
[13] Seitenwechsel.
[14] Seitenwechsel.
[15] Seitenwechsel.