Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, gez. (...) (Unterschrift unleserlich) und Landtagspräsident Anton Frommelt [1]
7.7.1930
Zu Punkt 3.) Gesetz betreffend Einführung der Arbeitslosenversicherung im Fürstentum Liechtenstein
Präsident: Dieser Punkt soll eine sozial einschneidende Neuregelung der Verhältnisse in unserer Arbeiterschaft bedeuten. Der Gesetzesentwurf ist vorgelegt worden durch den Arbeiterbund in Vereinigung mit dem Liechtensteiner Verein in Zürich. Es wird niemand bestreiten, dass eine gewisse Notwendigkeit vorhanden ist, etwas zu tun nach dem Vorbild unserer Nachbarstaaten. Es kann vorkommen, dass einer trotz besten Arbeitswillens keine Arbeit finden kann und dadurch er selbst und seine Familie geschädigt wird und manchmal in eine schlimme Notlage kommen kann. Es ist nun in diesem Entwurf vorgesehen, diesem Übelstand abzuhelfen. Es wird aber das Land dabei mit verhältnismässig grossen Summen belastet.
Die Finanzkommission hat die Sache an den Landtag überwiesen ohne bestimmte Stellungnahme, ohne das Gesetz bezw. den Entwurf zu befürworten oder bestimmte Anträge auf Abänderung des Entwurfes zu stellen. [2] Sie war der Meinung, dass das eine ganz tief eingreifende Sache sei.
Ich habe die Überzeugung für mich, dass das Gesetz einer ganz durchgehenden Beratung bedarf, ein durchgehendes Studium, das sowohl den Verhältnissen der Arbeiterschaft als auch den Verhältnissen des Landes Rechnung trägt. Die Grundlagen, die zu dem Gesetz gegeben sind, sind verhältnismässig gering. Es ist von Seiten des Landtages etwas schwer, die Sache klar zu legen, nachdem keine besondere Begründung der einzelnen Punkte gegeben ist und kein statistisches Material vorhanden ist.
Die Diskussion des Landtages wird sich darum feststellen, was in dem Punkte verlangt werden kann oder muss.
[Josef] Ospelt: Wie schon der Herr Präsident gesagt hat, handelt es sich hier um eine Massnahme, um eine Absicht, die tief einschneidend in das soziale und wirtschaftliche Leben unseres Landes ist und sein wird. Ich nehme an, dass jetzt, wo man die Schaffung eines solchen Gesetzes herantritt, das in verschiedenen Staaten entstanden ist, auch die Lehren, die man andernorts diesbezüglich sammeln musste, verwertet werden. Ich meine, dass in erster Linie der Arbeitslosigkeit dadurch gesteuert wird, dass der Staat zweckmässige Bauten ausführt. Das kommt dem Staate auch zu Nutzen. Ich meine also, dass in erster Linie das statt Ausrichtung von Beiträgen dem Arbeiter ein volles Auskommen zu schaffen gesucht wird. Im Entwurf ist ein Beitrag von Fr. 3.- vorgesehen. Damit ist aber meines Erachtens nichts erreicht. Damit hat der Arbeiter sozusagen nichts. Es wäre eine Arbeitslosenunterstützung und doch keine. Der Zweck könnte nicht erreicht werden. Der Leitgedanke muss meines Erachtens sein, dass in erster Linie den Arbeitern Gelegenheit gegeben wird, Arbeit zu leisten und das zu verdienen, was die Arbeit an Lohn wert ist. Es wird auch die Frage des Gegenrechtes im Verhältnis zur Schweiz mitbestimmend sein. Interessant wäre es zu wissen, wie eigentlich ungefähr die Verhältnisse liegen, wie gross die Zahl der Arbeiter im Inlande ist, soweit sie Liechtensteiner sind, weiter wie gross die Zahl der Arbeiter soweit Liechtensteiner im Auslande ist, die für die Arbeitslosenunterstützung im Ausland in Betracht kommen.
Es wird die Erhebung dieser Daten eine ziemlich schwer, vielleicht nie ganz zu lösende Aufgabe sein. Meine Anregung geht dahin, die Regierung solle beauftragt werden, zunächst ein möglichst klares Bild zu schaffen über die Zahl der Arbeiter im Inlande, einheimische und hier niedergelassene und über die Zahl der Arbeiter liechtensteinischer Staatsangehörigkeit im Auslande. Die Frage soll mit allem Ernste und in voller Würdigung der sehr misslichen Lage, die in letzter Zeit geschaffen wurde, geprüft werden. Es handelt sich um eine Angelegenheit, die der vollen Aufmerksamkeit und vollen Würdigung durch Landtag und Regierung bedarf.
Präsident: Wenn weiter keine grundsätzliche Stellungnahme eingenommen wird, möchte ich den Herren den Wortlaut des Gesetzentwurf unterbreiten.
Es wird sodann der bezügliche Gesetzentwurf verlesen.
Präsident: Ich möchte zuerst anfragen, ob die Herren ein Eingehen auf die einzelnen Bestimmungen, die einzelnen Artikel dieser Vorlage eingehen wollen.
F. [Friedrich] Walser: Nachdem im Gesetze vorgesehen ist, dass das Land jedenfalls ganz bedeutende finanzielle Leistungen zu machen hätte, die Grösse dieser Lasten aber nach dem vorliegenden Material nicht zu übersehen sind und keine wie immer gearteten Grundlagen hiefür vorhanden sind, möchte ich, abgesehen davon, dass sowohl inhaltlich als redaktionell an dem Gesetzentwurf jedenfalls Verschiedenes zu bemerken wäre, den Antrag stellen, die Angelegenheit der Regierung zur Beschaffung der notwendigen Grundlagen zurückzustellen.
Präsident: Diese Idee ist bereits schon in der Finanzkommission zum Durchbruch gekommen. Es würde sich um einen Beitrag des Landes von annähernd 100'000 Fr. jährlich ausmachen.
Ferd. [Ferdinand] Risch: Ich bin der Ansicht, dass für die Arbeiterschaft unbedingt etwas geschehen muss. Entweder muss ihnen da entgegen gekommen werden auf irgendwelche Art oder es muss Arbeitsgelegenheit geschaffen werden. Es wäre an der Zeit, volkswirtschaftliche Fragen zu lösen. Es ist sehr zu bedauern, dass durch Verbrecherhände 2 Millionen Schaden unserem Lande erwachsen ist, man könnte vieles tun, wenn das nicht passiert wäre. [3] Notwendigerweise muss etwas geschehen. Die Arbeiter hingegen hört man oft sagen: Wir möchten nur Arbeit haben. Ich hätte mehr auf einer Altersversicherung. Die Löhne sind heute so, dass Arbeiter mit einer Familie nichts für später zurücklegen können. Hier sollte der Hebel angesetzt werden. Viele, heute alte Leute haben durch die Inflation das Geld verloren. Ich wäre für Altersversicherung. Nebenbei soll Arbeitsgelegenheit geschaffen werden im Unterland wie im Oberland. Die Arbeiter sagen, sie wollen nur Arbeit, dann sind sie zufrieden.
Präsident: Risch wird zugeben, dass gerade durch Beizug der Altersversicherung das Gesetz nicht vereinfacht, sondern der Vorschlag zu kompliziert wird. Eine Vorlage für eine Altersversicherung ist keine da, die müsste erst von einer Seite erwirkt werden oder es müsste die Regierung eine Vorlage einbringen.
Nachdem von der Arbeiterschaft der Entwurf schon vorgelegt wurde, möchte ich eher der Ansicht von Walser beipflichten, die Regierung solle die notwendigen Unterlagen für dieses Gesetz vorläufig schaffen.
B. [Bernhard] Risch: Ich würde das eine tun, das andere nicht lassen. Hinsichtlich der Altersversicherung ist es eine soziale Pflicht, dass man etwas macht. - Die Arbeitslosenversicherung aber soll auch nicht aus dem Auge gelassen werden. Es wird zwar nicht wohl möglich sein, allen Übelständen zu begegnen, es werden immer noch Arbeitslose bleiben. Weil überall schlechte Arbeitsverhältnisse sind, wird es schon nötig sein, dass man hier nach und nach etwas tut.
F. [Ferdinand] Risch: Ich bin einverstanden, dass der Entwurf über die Arbeitslosenunterstützung an die Regierung zurückgehen soll, um die nähere[n] Unterlagen einzuholen u.s.w., aber zugleich soll auch die Altersversicherung geprüft und vorbereitet werden.
[Josef] Ospelt: Ich möchte den Antrag bezüglich Altersversicherung sehr unterstützen im Prinzip. Es soll dann aber heissen: "Alters- und Invalidenversicherung". Der Invalide ist der Versorgung so notwendig wie der andere.
[Emil] Batliner: Ich bin mit dem Antrag des Abg. Walser einverstanden. Nach meiner Ansicht wäre die beste Versicherung die Verschaffung von Arbeitsgelegenheit an die Leute. Überall hört man sagen, die Arbeitslosenversicherung richte den Staat zugrunde, gescheiter ist es, man würde den Leuten Arbeit verschaffen. Mit 3 Fr. ist überhaupt nichts zu machen, das ist kein Betrag für einen Mann mit Familie.
Präsident: Auf die einzelnen Bestimmungen werden wir ja nicht eingehen. Die Arbeitslosenunterstützung schliesst die Gefahr zum Grossziehen des Faulenzertums in sich. Jede Versicherung, wenn sie nicht ganz gut ausgearbeitet ist, kann missbraucht werden. Missbrauch hat aber Charakterlosigkeit zur voraussetzung. Wenn lautere edle Charaktere wären, gäbe [es] keine Missbrauch. Dass 3 Fr. gerade ein Nichts bedeutet, indem es noch andere Mittel gibt, um sich zu halten, kann ich nicht behaupten.
[Johann] Schädler: Ich möchte mich den Ausführungen vom Landtagspräsidenten voll und ganz anschliessen.
F. [Ferdinand] Risch: Ich möchte anfragen, ob mir jemand vielleicht Auskunft geben kann, warum derzeit so viele Arbeiter heimkommen aus der Schweiz. In der Schweiz, in Buchs z.B., ist ziemlich viel Arbeit. Dabei mussten unsere Leute verschwinden, während viele Italiener drüben beschäftigt sind. Liechtenstein ist doch an die Schweiz angeschlossen. Die Italiener wohnen manche in Schaan und arbeiten in Buchs.
Reg.Chef [Josef Hoop]: Ich möchte demgegenüber erwidern, dass wir seit längerer Zeit mit der Schweiz in Unterhandlungen sind wegen Abänderung des Niederlassungsvertrages. [4] Liechtenstein steht heute trotz des Zollanschlusses pto. Arbeiterfragen nicht besser als irgendein anderer Staat. Die Liechtensteiner werden in der Schweiz rechtlich so behandelt wie die anderen ausländischen Arbeiter. Aber in der jüngsten Zeit hat sogar ein anderer Staat den Vorsprung bekommen, das ist Italien. Es ist anscheinend Tatsache, dass die Italiener, die in der Schweiz sind, besser gestellt sind als wir Liechtensteiner. Ich habe mich in Bern erkundigt und bin darauf noch ohne Antwort. In der Praxis aber, so behaupten die eidgenössischen Behörden, werden unter sonst gleichen Umständen die Liechtensteiner bevorzugt. Ich werde in einer späteren Sitzung die Unterlagen geben. Mir wurde gesagt, dass anscheinend die Italiener Verträge in die Hand bekommen, worin sich die Leute verpflichten, den Italiener zu beschäftigen. Diese müssen dann auf jeden Fall dem Arbeiter den Lohn zahlen, wenn er auch keine Beschäftigung zeitweise haben sollte, soferne der Vertrag z.B. auf die ganze Saison lautet.
Ferd. [Ferdinand] Risch: Mir wurde gesagt, es sei nicht richtig, dass in jenen Fällen, wo Liechtensteiner anderen Ausländern in der Schweiz Platz machen mussten, erstere etwa weniger leistungsfähig wären. So etwas sollte nicht vorkommen, da wir doch an die Schweiz angeschlossen sind und eine Gesandtschaft in Bern haben, die nach meiner Ansicht zu gut bezahlt ist und überflüssig ist.
P. [Peter] Büchel: Die Schweiz musste sich verpflichten, die italienischen Arbeiter den ganzen Sommer über zu beschäftigen. Dass wir uns nicht auf einen Machtstandpunkt stellen können wie [Benito] Mussolini, wird jedermann einsehen. Aber ich begrüsse es, dass zur Besserstellung unserer Arbeiterschaft Schritte unternommen werden und die Liechtensteiner in eine bevorzugte Stellung kommen. Aber die Schweiz wird wahrscheinlich mit keinem anderen Staate einen Vertrag abschliessen, der gleich wäre mit jenem mit Italien.
Ferd. Risch: Manche Italiener wohnen bei uns und gehen jeden Morgen nach Buchs. Unsere Arbeiter aber müssen zu Hause bleiben und dürfen nicht hinüber, da wir doch an die Schweiz angeschlossen sind.
Reg.Chef: Bis jetzt hatten die Bemühungen mit der Schweiz keinen Erfolg. Die Schweiz stellt sich auf den Standpunkt: Rechtlich wäre Liechtenstein gleich zu behandeln wie andere Staaten, die Praxis aber ist anders. Die Italiener sind bevorzugter als die Liechtensteiner. Das ist Tatsache. Von einem eigentlichen Vertrag mit Italien war mir nichts bekannt, nur dass manche Italiener die Zusicherung bekommen hätten, dass sie den Sommer über Arbeit fänden und dass sie, wenn das nicht der Fall sei, wenigstens den Lohn erhielten.
Präsident: Es wird jetzt eben notwendig sein, dass wir eigene Arbeitsgelegenheit im Lande schaffen. Die Sache soll aber nicht auf die lange Bank geschoben werden. In der Frage der Arbeitsbeschaffung soll das Land sich so gut als möglich auf die eigenen Füsse stellen. Der liechtensteinische Arbeiter war seit jeher ein ziemlich begehrter Mann.
Es kommt sodann zur Abstimmung über den Antrag Fritz Walsers, dass der vorliegende Gesetzesentwurf über die Arbeitslosenversicherung an die Regierung zurückgewiesen werde mit dem Auftrage, die notwendigen Anfragen und Studien durchzuführen und dann den Entwurf dem Landtage eingegeben wird, zu gegebener Zeit.
Der Antrag wird angenommen gegen 1 Stimme (Ospelt hat nachträglich auch zugestimmt).
Reg.Chef: Ich bin vorhin nicht anwesend gewesen. Die Alters- und Invalidenversicherung ist bereits eingeleitet durch Übernahme der neuen schweizerischen Alkoholgesetzgebung. Mit dem Momente, wo wir die übernehmen mussten, ist die Frage der Alters- und Invalidenversicherung in Fluss gebracht worden. [5] Es wird aber immerhin noch 2-3 Jahre gehen, bis diese Frage in der Schweiz gelöst ist.
Es wird sich dann fragen, ob wir den Anteil Liechtensteins an der Durchführung der Alkoholgesetzgebung benützen wollen zur Durchführung einer eigenen Arbeitslosenversicherung ob wir uns an die Schweiz anschliessen wollen in dieser Hinsicht, was für uns wohl das vorteilhafteste wäre. Ich möchte in jedem Falle, dass die Arbeitslosigkeitsversicherung seitens der Regierung genau studiert werden kann wie die Frage der Altersversicherung.
Präsident: Abg. Risch hat nicht so gemeint, dass gerade am gleichen Tage über die Arbeitslosenversicherung und die Altersversicherung abgestimmt wird. Die notwendigen Vorlagen für beide sollen studiert werden.
Ospelt: Dann stimme ich auch zu.
Es kommt dann zur weiteren Anstimmung die Frage:
Wer dafür ist, dass die Unterlagen für die Alters- und Invalidenversicherung studiert und bei gegebener Zeit in einem Gesetzentwurfe dem Landtag vorgelegt wird, soll dies durch Handerhebung kundgeben.
Präsident: Ich bitte den Regierungschef, das zur Kenntnis zu nehmen.