Der Landtag verabschiedet ein Wirtschafts- und Notstandsprogramm für Liechtenstein


Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, ungez. [1]

23.10.1935

7.) Wirtschafts- und Notstandsprogramm

Reg.Chef [Josef Hoop]: verliest den Text des Landtagsbeschlusses [2] und führt aus:

Der ganze Entwurf ist herausgewachsen aus der gegenwärtigen Wirtschaftslage, die sich noch dadurch in der letzten Zeit verschärft hat, dass die Einreise liecht. Saisonarbeiter in die Schweiz bedeutungslos geworden ist, während wir noch vor 2 Jahren mit den Eidg. Behörden in Bern glaubten, dass die liecht. Arbeiter ohne weiters in der Schweiz Unterkunft finden werden. Nun hat sich dort die Lage ganz bedeutend verschlimmert, so dass heuer noch ca. 1600-1700 ausländische Arbeiter in die Schweiz eingereist sind und es sind dies nur hochqualifizierte Spezialarbeiter gewesen.

Um dieser bedenklichen Lage zu steuern, müssen wir wohl oder übel in Liechtenstein neue Wege gehen und trachten, die hiesigen Arbeitsgelegenheiten auszunützen, soweit es möglich ist. Das schiene uns möglich auf den Gebieten der Landwirtschaft, des Gewerbes und des Fremdenverkehres. Weiters dachten wir an die Ausschaltung der fremden Arbeitskräfte in landwirtschaftlichen Betrieben, die jährlich 2-300'000 Franken mit ins Ausland nehmen. Auf dem Gebiete der Landwirtschaft ist eine Intensivierung möglich, indem man mehr zum Ackerbau, Weinbau und Gemüsebau übergeht. Auch auf dem Gebiete des Gewerbes und der Industrie lässt sich noch vieles machen, wenn man bedenkt, dass alle industriellen Produkte aus dem Ausland eingeführt werden. Es ist klar, dass grosse Fabriken in Liechtenstein nicht existenzberechtigt sind. Es gibt aber eine grosse Menge industrieller Erzeugnisse, die mit geringen Kosten in Liechtenstein hergestellt werden könnten. Ich denke an Lederwaren, Holzwaren, Hausschuhe etz. etz. Es gibt gewiss Warenkategorien, die im Lande hergestellt werden können, und es ist der Zweck des Art. 6 dieser Vorlage, diese Selbstversorgung mit industriellen Erzeugnissen möglichst zu fördern. Der Gewerbeverband arbeitet in enger Fühlungnahme mit der Regierung und er nimmt sich mit grosser Freude und grossem Interesse der Sache an. Um ihm die Arbeit zu erleichtern und ihn für die Arbeiten einigermassen zu entschädigen, die eine Neuorganisierung des Gewerbes mit sich bringen, ist eine Subvention von Frs. 2000.- vorgesehen. Es wird auch ein besonderes Augenmerk auf die Spezialisierung des einheimischen Gewerbes zu richten sein. Wir haben über 100 Gemischtwarenhändler. Sie können keine Auswahl halten und die Folge ist, dass unsere Leute gern ins Ausland gehen. Wenn die Organisierung so durchgeführt ist, dass der eine Lebensmittel, der andere Stoffe und wieder ein anderer etwas anderes führt, so ist jeder in der Lage, den Kunden mehr zu bieten als bisher und dadurch wird dann auch das inländische Gewerbe mehr berücksichtigt als bisher.

In Art. 7 haben [wir] die Massnahme aufgegriffen, die Gemeindenotstandsarbeiten mit 30 % der aufgelaufenen Arbeitslöhne zu subventionieren. In gleicher Weise wird auch das Land nach Massgabe der vorhandenen Mittel Notstandsarbeiten ausführen.

Art. 9 hat zum Ziele, die noch zahlreichen ausländischen Arbeitskräfte in landwirtschaftlichen Betrieben durch einheimische zu ersetzen. Dies soll erreicht werden durch Prämien an liechtensteinische Knechte.

Auch der Fremdenverkehr kann noch gefördert werden. Er bildet eine nicht unerhebliche Erwerbsquelle. Wir haben einen Betrag von Fr. 4000 für solche Zwecke vorgesehen. Über die Verwendung wird bestimmt nach Anhörung der bestehenden Fachgruppe.

Das ganze Notstandsprogramm ist möglich geworden, weil die Anleihe, die mit Frs. 600'000 hätte zur Rückzahlung gelangen sollen, glücklicherweise konvertiert werden konnte. [3] Wir haben über Frs. 530'000 Zeichnungen auf die Anleihe gehabt, haben aber nur Fr. 500'000 entgegen genommen, weil wir wie bisher getrachtet haben, die Landesschulden um Fr. 100'000 zu verringern. Die Beschlussfassung über dieses umfangreiche Notstands- und Wirtschaftsprogramm konnte deshalb nicht früher geschehen, weil wir die Konversion der Anleihe abwarten mussten. Ich betone das, weil diesbezüglich in der Presse Bemerkungen gefallen sind. Zur Durchführung dieses Programmes haben wir eine Summe von Frs. 120'000 eingesetzt. Wenn aber der Kirchenbau in Triesenberg auch mit 30 % der Arbeitslöhne subventioniert werden soll, so dürfte sich dieser Betrag auf ca. Fr. 550'000 erhöhen. - Zu bemerken ist noch, dass die Berggemeinden vielleicht in diesem Programm zu wenig berücksichtigt sind. Wir sind aber derzeit bemüht, auch für die Berggemeinden nach neuen Möglichkeiten des Erwerbes zu suchen. Wir haben bereits einen Experten auf nächsten Samstag eingeladen und es werden an Ort und Stelle gewisse Fragen abgeklärt werden. Wir werden uns vorbehalten, dem Landtage diesbezüglich neue Anträge [zu] stellen.

Risch Ferdi: Ich möchte anfragen, ob diese Subventionen auch für Rodungen und Drainierungen im Alpengebiet bezahlt werden.

Reg.Chef: Wenn ein wirtschaftlicher Vorteil herausschaut und es Arbeiten sind, die neben den von der Landesalpenkommission angeordneten Verbesserungen noch gemacht werden, fallen sie unter diesen Beschluss.

Risch Ferdi: Wir hätten noch grosse Gebiete in den Alpen, wo vieles verbessert werden könnte. Besonders für die Berggemeinden mit ihrem ausgedehnten Alpengebiet böten sich Gelegenheiten, von diesen Subventionsbegünstigungen Gebrauch zu machen.

[Ludwig] Ospelt: Es ist seinerzeit bei der Kanalabstimmung, als der Beitrag der Gemeinde Vaduz bestimmt wurde, die Verlängerung des Speckigrabens in Aussicht gestellt worden. Ich möchte fragen, ob dieses Projekt in die Nähe gerückt ist oder ob man nicht mehr daran denkt, dies zu machen.

Präsident [Anton Frommelt]: Diese Angelegenheit ist in der letzten Konferenzsitzung besprochen worden. Dieses Projekt soll zurückgestellt werden, bis der Kanal bis Bendern geführt sein wird.

Reg.Chef: Zuerst muss der Kanal bis Bendern fertig sein und dann wird man anfangen können, weiter zu entwässern und Gräben zu ziehen, so wie die Techniker es für recht halten. Es wird geprüft werden, ob der Scheidgraben gerade hinuntergezogen wird. Auf jeden Fall brauche ich nicht zu betonen, dass jene Lösung getroffen wird, die nach dem Stande der Techniker die richtige ist.

Risch Ferdi: Ich möchte zurückkommen auf die Anregung des Abg. Ospelts. Es könnte jetzt schon mit der Projektierung angefangen werden.

Risch Bernh. [Bernhard]: Ich möchte diese Anregungen unterstützen, dass wenigstens Vorarbeiten getroffen werden für diesen Graben. Ausserdem möchte ich über Anregung aus interessierten Kreisen eine Erhöhung der zur Hebung des Fremdenverkehres eingesetzten Subvention von Fr. 4000 auf Fr. 5000.- anregen.

[Emil] Batliner: Ich möchte bezgl. des Scheidgrabens darauf hinweisen, dass derselbe nur in die Esche geleitet werden kann. Zuerst muss aber die Esche tiefer gelegt werden. Ich möchte auch fragen, ob nicht der Kanalbau durch diese Massnahmen hintangehalten wird.

Reg.Chef: Nein, diese Arbeiten gehen programmmässig vorwärts. In zwei Jahren wird er bis Bendern fertig sein.

[Wilhelm] Beck: Ich möchte noch ersuchen, dass die Notstandsarbeiten bei der Schlucherstrasse in Malbun und die Verbauungen am Steg raschmöglichst in Angriff genommen werden, da hier im Winter nicht mehr gearbeitet werden kann.

Präsident: Diese Arbeiten können jederzeit begonnen werden, doch fehlen bisher noch die bezgl. Projekte. Die notwendigen Unterlagen müssen noch bereit gestellt werden.

Risch Ferdi: Ich möchte noch einmal zurückkommen auf den Kanal. Man hört da immer nur bis Bendern, bis Bendern. Bei der seinerzeitigen Abstimmung war der Kanal bis Triesen und Balzers vorgesehen. Es wird bekannt sein, dass von Triesen her den Kanälen in Vaduz und Schaan mehr Wasser zugeführt wird. Es sollten dringend Vorarbeiten getroffen werden, dass zu gegebener Zeit die Arbeiten rasch von statten gehen.

Präsident: Ich bin auch dafür, dass alle Mittel angespannt werden um der Durchführung dieses Projektes Nachdruck zu verleihen. Ich möchte aber besonders darauf verweisen, dass die seinerzeit bei der Abstimmung vorgesehenen Fristen des etappenweisen Baues eingehalten worden sind. Wenn diese Termine nicht eingehalten worden wären, wären diese Ausführungen begründet.

[Philipp] Elkuch: Ich möchte zu Art. 9 den Antrag stellen, dass die Altersgrenze der subventionsberechtigten liecht. Knechte auf 15 Jahre herabgesetzt wird.

Präsident: Ich möchte beantragen, die Altersgrenze mit 16 Jahren zu belassen.

Reg.Chef: Es ist schon in der Konferenz betont worden, dass der eine oder andere Punkt Anlass geben wird, darauf zurückzukommen. Vielleicht wird sich der Landtag binnen kurzem mit dem oder diesem wieder beschäftigen müssen. Wir haben die ganze Sache daher in die Form eines Landtagsbeschlusses gekleidet und nicht in Gesetzesform.

Risch Ferdi: Auf der einen Seite ist der Absatz des inländischen Weines schwierig und andererseits subventioniert man grosszügig die Neuanlage von Weinbergen etz. Ich möchte beantragen, dass der Gemüsebau mehr subventioniert wird, da der Absatz hier nicht stockt. Wenn eine Gemeinde die Schuljugend durch praktische Vorführungen anspornt zum Acker- und Gemüsebau, so sollten solche Aktionen subventioniert werden. Vielleicht könnte 50 % des Pachtzinses des benötigten Landes vom Lande bezahlt werden etz.

Präsident: Das dürfte alles unter Art. 3 lit. c fallen und die Regierung wird hierin schon die nötige Einsicht haben.

Risch Bernh.: Meine Anregung wegen Erhöhung der Subvention für Fremdenverkehrszwecke ist noch nicht diskutiert worden. Die Verkehrsvereine haben grosse Aufgaben zu erfüllen und das erfordert Geld. Ich möchte ersuchen, dass man den Betrag erhöht, da auf diesem Gebiet noch viel zu machen wäre.

Ospelt: Ich bin der Ansicht, dass man eine Erhöhung ruhig verantworten könnte. Durch den Fremdenverkehr kommt viel Geld ins Land. Die Reklame kostet aber viel Geld. Man muss sich vor Augen halten, was an anderen Orten für diesen Zweck aufgewendet wird. Hier könnte noch Vieles geschehen. Ich würde sogar noch höher gehen mit diesem Kredit.

[Basil] Vogt: Ich möchte fragen, wie man den anderen Gemeinden entgegenkommt. Das ist für 2-3 Gemeinden und die anderen haben nichts.

Risch Ferdi: Ich möchte die Abg. Risch und Ospelt unterstützen. Eine Erhöhung dieses Betrages ist berechtigt. Der Zweck ist gut und erfordert grosse Mittel.

Reg.Chef: Ich habe diese Ziffern in einem gewissen Verhältnis gehalten. Ich bin nicht dagegen gegen diese Erhöhung, aber das Verhältnis dem Gewerbe gegenüber wird verschoben. Ich glaube, dass diese Erhöhung in der Öffentlichkeit sicherlich kritisiert wird, umsomehr, da vielfach die Meinung vorherrscht, es komme der Fremdenverkehr nur ein paar Wirten zugute.

Präsident: Ich möchte beantragen, die Fr. 4000 stehen zu lassen. Bei ausserordentlichen Zuständen wird die Regierung schon da und dort nachhelfen, wenn es erforderlich ist. Die Berechtigung der Erwägung des Herrn Reg.Chef ist gross. Es dürfte noch andere Bemängelungen heraufbeschwören.

Vogt: Wann tritt dieses Gesetz in Kraft und von wann an haben diese Subventionen Giltigkeit.

Präsident: Wie in der letzten Konferenzsitzung bestimmt worden ist, vom Tage der letzterwähnten Sitzung an.

Der vorliegende Landtagsbeschluss wird sodann einstimmig gefasst.

Risch Ferdi: Ich möchte noch erfahren, was für landschäftliche Arbeiten man neben dem Kanal man auszuführen gedenkt.

Reg.Chef: Ich werde an die Gemeinden hinausschreiben, sie möchten daran denken, möglichst rasch an die Notstandsarbeiten zu schreiten. An landschäftlichen Arbeiten werden in Betracht kommen: In Ruggell die Strasse von den Auhäusern bis zur alten Mühle in Gamprin. Ferner der Frickgraben, der Stutz in den Schwabbrünnen, in Vaduz die Strasse nach Sevelen, in Triesen die Strasse beim Bächligatter und allenfalls die Fortsetzung der Strasse Triesen-Triesenberg, die Rietstrasse in Balzers. In Triesenberg die Verlegung der Schlucherstrasse und allenfalls Strassenkorrektion Triesenberg-Triesen. Das sind die wichtigsten Arbeiten, die wir zu machen beabsichtigen.

[Adolf] Frommelt: Wie steht es mit der Subvention für das Pfarrhaus in Triesen.

Reg.Chef: Diesbezüglich müssen wir erst in der Regierung uns Klarheit verschaffen. In irgend einer Form, glaube ich, wird es gehen. Wir werden das untereinander besprechen und regeln.

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[1] LI LA LTP 1935/072. Der Landtag hatte bereits in der nichtöffentlichen Sitzung vom 11.10.1935 über die Vorlage debattiert (LI LA LTP 1935/063).
[2] Landtagsbeschluss vom 23.10.1935, LGBl. 1935 Nr. 10.
[3] Zur Rückzahlung und Konversion der liechtensteinischen Landesanleihe von 1926 bei der Schweiz vgl. LI LA RF 152/017.