Die Ramco AG verwahrt sich gegenüber der Regierung gegen die Anzeige des Arbeiterverbandes wegen Arbeitszeitüberschreitung


Schreiben der Ramco AG an die Regierung, gez. Friedrich Bock [1]

10.1.1940, Schaan

Wir werden heute von dem fürstlich liechtensteinischen Sicherheitskorps darauf hingewiesen, dass diesem eine Anzeige [2] gegen unsere Gesellschaft von der fürstlichen Regierung übergeben wurde, mit dem Ersuchen die notwendigen Ermittlungen anzustellen. [3]

Die Anzeige bezieht sich darauf, dass wir im Monat Dezember an Samstagnachmittagen hätten arbeiten lassen und dass wir uns daher eines Verstosses gegen das Eidg. Fabriksgesetz [4] hätten zu Schulden kommen lassen.

Wir gestatten uns hierzu ergebenst zu bemerken, dass im Monat Dezember an einem einzigen Samstagnachmittag 45 Arbeiterinnen von 1-4 Uhr gearbeitet haben, um dringende Aufträge fertig zu stellen. Es ergibt sich hieraus, dass im Monat Dezember 135 Arbeitsstunden an einem Samstag Nachmittag geleistet worden sind und wir stellen gleichzeitig fest, dass im Monat Dezember 1537 Arbeitsstunden ausgefallen sind.

Nach der zum Eidg. Fabriksgesetz gehörenden Verordnung [5] hätten wir, ohne besondere Bewilligung das Recht gehabt, die im Dezember 1537 ausgefallenen Arbeitsstunden an anderen Tagen nachholen zu lassen. Tatsächlich nachgearbeitet worden sind nur 135 Arbeitsstunden. Diese Zahlen zeigen auf das Beste, in welcher leichtsinnigen Weise hier Anzeigen gemacht werden, Anzeigen, mit denen wir im Laufe der Jahre in der unerfreulichsten und kleinlichsten Art und Weise schikaniert worden sind.

Ob der Arbeiterverband die berufene Stelle ist, um sich mit derart unsachlichen Anzeigen überhaupt zu beschäftigen, lassen wir dahingestellt. Auf jeden Fall sollten diejenigen Personen, die sich zu einem derartigen Vorgehen bemüssigt fühlen, sich zunächst einmal mit den einschlägigen Gesetzen vertraut machen.

Wir können in diesem Zusammenhang nur noch erwähnen, dass wir unsere Fabrikation unter dem Eidg. Fabriksgesetz seit 20 Jahren betreiben, davon 13 Jahre in der Schweiz, und dass sich im Laufe von 13 Jahren in der Schweiz nicht soviel Unerfreulichkeiten ergeben haben, wie wir sie hier in einem Jahr erleben.

Wir glauben daher die Bitte anschliessen zu dürfen, diejenigen Personen, die sich hier im Laufe des Jahres immer wieder in Dinge einmischen, die sie nichts angehen, auf ihr eigentliches Tätigkeitsfeld zu verweisen.

Wenn wir uns an dieser Stelle noch eine zusätzliche Betrachtung erlauben dürfen, nachdem die Angelegenheit an sich durch die oben angegebenen Zahlen als in jeder Weise unbegründet dargelegt ist, dann liegt dies in den augenblicklichen Zeitverhältnissen.

Wir leben augenblicklich in Kriegszeiten und es ist schwer unter den augenblicklichen Verhältnissen einen Betrieb überhaupt aufrecht zu erhalten. Dass in Kriegszeiten gelegentlich Notmassnahmen erforderlich werden können, die auch darin liegen könnten, dass 1 oder 2 Stunden aus irgendeinem dringenden Grunde über die Normal-Arbeitswoche hinaus gearbeitet werden müssen, ist eine Erscheinung, die in allen neutralen europäischen Ländern, von den kriegführenden Ländern gar nicht zu sprechen, überall festzustellen ist. Es wird heute in jedem Lande grosser Wert darauf gelegt, Betriebe lebensfähig zu halten und die Verdienstmöglichkeiten für die beschäftigten Personen, auch unter erheblichen Kosten, aufrecht zu erhalten, und es wird viel weniger Wert darauf gelegt, dass irgendwelche Personen ihren persönlichen Ehrgeiz befriedigen können, indem denjenigen, die die positive Arbeit leisten, diese Arbeit erschwert wird.

Wenn wir unter den heutigen Verhältnissen unseren Kunden keine Sicherheit für unsere Lieferfähigkeit bieten können, dann sind wir bei den heute, teilweise trostlosen Verkehrsverhältnissen nach Übersee sehr bald in der Lage, erhebliche Einschränkungen vornehmen zu müssen. Wir werden auch trotz dieses neuen Vorkommisses alles daran setzen, um irgendwelche Waren für abgehende Dampfer nach Übersee fertig zu stellen, selbst wenn wir hierdurch ein anderes Mal wiederum das Missvergnügen eines unzufriedenen Menschen erwecken sollten.

Mit vorzüglicher Hochachtung 

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[1] LI LA RF 194/400/002. Geschäftszeichen: 7/SCH. Das Schreiben der Ramco AG wurde von der Regierung am 16.1.1940 dem Arbeitsamtsausschuss zur Kenntnis und Äusserung übermittelt und vom Arbeitsamt nach Kenntnisgabe an den Arbeitsamtsausschuss noch gleichentags an die Regierung zurückgesandt.
[2] Siehe das Schreiben des Arbeitsamtes an die Regierung vom 23.11.1939 (LI LA RF 194/400/001).
[3] Siehe den diesbezüglichen Auftrag der Regierung an das Sicherheitskorps vom 1.12.1939 (LI LA RF 194/400/001 Rückseite).
[4] Siehe das schweizerische Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 18.6.1914, abgeändert durch das Bundesgesetz betreffend die Arbeitszeit in den Fabriken vom 27.6.1919. Das Fabriksgesetz war in Liechtenstein anwendbar aufgrund des Zollanschlussvertrags mit der Schweiz vom 23.3.1923 (LGBl. 1923 Nr. 24, Anlage I).
[5] Siehe die schweizerische Verordnung über den Vollzug des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 3.10.1919.
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