Der Freiwirtschaftsbund ruft zum Beitritt auf


Artikel in der "Liechtensteinischen Freiwirtschaftlichen Zeitung" [1]

26.11.1932

Das freiwirtschaftliche Manifest

  1. Jeder Bürger hat die sittliche Pflicht, eine Wirtschaftsordnung zu erstreben und verwirklichen zu helfen, die dem arbeitenden Volke den vollen Ertrag seiner Arbeit zukommen lässt, die Sicherheit des wirtschaftlichen Daseins gewährleistet und jedem arbeitenden Menschen die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und die individuelle Gestaltung seines Lebens ermöglicht.
  2. Die Grundlage der staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung bildet die Freiheit der Persönlichkeit.
    Staat und Wirtschaft sind um des Menschen willen da. Sie beide sind Hilfsmittel mit dem Zwecke, die Entfaltung der im Menschen liegenden Kräfte und den kulturellen Aufstieg des Einzelnen und des ganzen Volkes zu ermöglichen.
    Jede Beschränkung der Freiheit durch Staat und Wirtschaft muss auf dem freien Willen der Bürger beruhen.
  3. Das Vaterland, als Inbegriff von Land und Volk, ist die Heimat jedes Bürgers.
    Der Staat, als politisch-rechtliche Organisationsform, ist nicht Selbstzweck, sondern hat die Aufgabe, die rechtliche und wirtschaftliche Lebensgrundlage seiner Bürger zu sichern.
  4. Klassenkampf, Spaltung des Volkes in Stände, die sich bekämpfen, gewaltsame Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und Staatsverschuldung infolge wirtschaftlicher Massnahmen sind Folgen einer verfehlten Wirtschaftsordnung.
  5. Die Unsicherheit des wirtschaftlichen Daseins, der Klassenkampf und die Not der Wirtschaftskrise beruhen immer auf allgemeinen Preisschwankungen und auf der durch diese Preisschwankungen bewirkten Veränderung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse.
    Jede allgemeine Preissteigerung ist zugleich eine Entwertung des Geldes, also auch eine Entwertung jedes Vermögens und jedes festen Einkommens.
    Jede allgemeine Preissenkung ist zugleich eine Aufwertung des Geldes, also auch eine Aufwertung der Schulden und eine Verminderung des Einkommens aus der Arbeit und dem Warenumsatz.
    Jede allgemeine Preisschwankung verfälscht den bisherigen Inhalt aller Zahlungsmittelverträge und schädigt zwangsläufig den einen oder andern Teil der Volksgenossen.
    Eine Volkswirtschaft, die solche Schwankungen zulässt und mit sich bringt, ist unsittlich und untergräbt fortwährend die Gemeinschaft des ganzen Volkes.
  6. Jede allgemeine Preisschwankung ist zugleich eine Veränderung der Kaufkraft des Geldes.
    Die Grundlage einer sittlichen und gerechten Wirtschaftsordnung ist ein Tauschmittel, dessen Kaufkraft unter allen Umständen gleichbleibt. Der Staat ist verpflichtet, dem arbeitenden Volke eine Währung zur Verfügung zu stellen, deren Kaufkraft keinerlei Schwankungen erleidet.
  7. Die Verkettung der Währung mit dem Golde führt zu Schwankungen der Kaufkraft, liefert das Tauschmittel der Willkür der nationalen und internationalen Spekulation aus und hat über alle Völker unsägliches Elend gebracht.
    Die Goldwährung hat in einer nach sittlichen Grundsätzen geordneten Volkswirtschaft keinen Platz. Sie muss unverzüglich abgeschafft werden.
  8. Die Gestaltung der Währung ist eine Angelegenheit des eigenen Staates. Jeder Staat hat die Möglichkeit, durch eine fortwährend nach dem Durchschnittspreis der Waren geleitete Währung seine Wirtschaft in Ordnung zu bringen und sowohl jede Krise als auch jede fieberhafte Steigerung der Wirtschaft unmöglich zu machen.
  9. Der Staat ist verpflichtet, dem arbeitenden Volke ein Tauschmittel zur Verfügung zu halten, das der Wirtschaft seiner Natur nach nicht willkürlich entzogen werden kann.
    Der auf allen Waren lastende Zwang des Angebotes ist daher auch auf das Geld zu übertragen.
  10. Die fortwährende Anpassung des mit dem Umlaufszwang versehenen Geldes an die Bedürfnisse der Wirtschaft schützt das arbeitende Volk für alle Zeiten vor der Wirtschaftskrise und vor der Zerrüttung seines Vermögens.
    Wir verlangen, dass der Staat unserem Volke ein solches Tauschmittel unverzüglich zur Verfügung stelle.
  11. Grund und Boden des Vaterlandes darf nicht Gegenstand der Spekulation sein.
    Durch ein Gesetz ist dem Staate und der Gemeinde ein Vorkaufsrecht am Grund und Boden einzuräumen und jede Bodenspekulation unmöglich zu machen.
    Jede Enteignung von Grund und Boden gegen den Willen des Eigentümers ist unstatthaft. Vorbehalten bleiben die besonderen Voraussetzungen des Gesetzes über die Enteignung.
  12. Die sittliche Wirtschaftsordnung erteilt der menschlichen Arbeit die höchste Wertung.
    Der Staat hat die Pflicht, die Arbeit gegen jeden Missbrauch durch Einzelne zu schützen.
    Schutz der Arbeit, Schaffung einer stabilen Währung und Erlass eines Bodenrechts, das den Eigentümer vor Verschuldung, den Mieter und Pächter vor Ausbeutung schützt: das sind die einzigen Massnahmen, die der Staat für die Volkswirtschaft zu treffen hat.
  13. Eine internationale Gemeinschaft der Völker und Nationen ist erst dann möglich, wenn jeder Staat auf seinem Gebiete die Ordnung des Rechtes und der Wirtschaft erlangt hat.
    Ordnung in Wirtschaft und Recht vermag allein den Frieden zwischen den Völkern zu sichern.
    Wir verlangen, dass unser Staat ohne Rücksicht auf andere Staaten die Ordnung von Wirtschaft und Recht schaffe und auf dem Wege, den wir aufgezeigt haben, jede Erschütterung der liechtensteinischen Wirtschaft unmöglich mache.
  14. Wir verwerfen jede Zwangswirtschaft und jede Gemeinschaft, die nicht auf der Freiheit der Menschen und Bürger beruht.
    Wir verwerfen jede Entfremdung des Menschen von seinem Vaterland und von seinen Volksgenossen.
    Es lebe die Gemeinschaft der freien Menschen in einer gerechten Wirtschaftsordnung!
    Es lebe die Gemeinschaft der Völker auf Grund einer gerechten Wirtschaftsordnung!
    Es lebe das Vaterland! Es lebe das freie Liechtenstein als Erbe der Väter, als Heimat unseres Volkes und als Glied einer kommendem Völkergemeinschaft!

Liechtensteiner!

Wem dieses Manifest gefällt und der da mithelfen möchte, es zu verwirklichen, der trete dem liechtensteinischen Freiwirtschaftsbunde bei, der auf dem Wege von Gesetz und Recht, Ruhe und Ordnung die Verwirklichung dieses Manifestes anstrebt, unbeschadet der Verfolgung, Anödereien und Verdächtigungen und Lächerlichmachung von seiten gewisser Herren. Unser Organ, das zwar keinen Platz für gewöhnlichen Tagesklatsch hat, bietet in freiwirtschaftlicher Hinsicht die laufende Aufklärung und über Gang und Stand unserer Bewegung im In- und Ausland. Der Ruf: "Heraus aus der Krise!" soll durch das ganze Land erschallen wie in der Schweiz, mit der wir wirtschaftlich verbunden sind.

In gewaltiger Versammlung, die vor 14 Tagen in Liestal in Baselland stattfand, haben sich über tausend Mann einstimmig mit grosser Begeisterung zu Gunsten eines gleichen Manifestes erhoben. Wir wollen als wirtschaftlich mit diesen Verbundenen auch dabei sein bei der Überwindung der Krise und der Abschüttelung der kapitalistischen Zwingherrschaft.

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[1] L.Freiw.Z., Nr. 47, 26.11.1932, S. 2f.