Besprechungsprotokoll von Hans Sichelschmidt von der Volksdeutschen Mittelstelle, ungez. [1]
19.3.1943, Berlin
Niederschrift über die Besprechung mit den Liechtensteiner Gruppen am 13. u. 14.3.1943 im Kurgartenhotel in Friedrichshafen
Teilnehmer:
Dr. [Alfons] Goop, Volksdeutsche Bewegung Liechtenstein
Dr. [Sepp] Ritter, Volksdeutsche Bewegung Liechtenstein
Martin Hilti, Volksdeutsche Bewegung Liechtenstein
Jugendführer [Ernst] Schaedler, Volksdeutsche Bewegung Liechtenstein
Dr. Otto Schaedler, Vaterländische Union
Dr. [Alois] Vogt, Vaterländische Union
Prof. [Gustav] Schaedler, Vaterländische Union
SS-Sturmbannführer [Heinz] Hummitzsch, Reichssicherheitshauptamt
SS-Sturmbannführer Böhm, SD [Sicherheitsdienst]-Leitabschnitt Stuttgart
SS-Hauptsturmführer Dr. [Klaus] Huegel, SD-Leitabschnitt Stuttgart
Sekretärin Frl. Hacker, SD-Leitabschnitt Stuttgart
SS-Hauptscharführer Nockerl, SD-Leitabschnitt Innsbruck
Die Leitung der Besprechungen hatte SS-Hauptsturmführer Dr. Sichelschmidt, Volksdeutsche Mittelstelle Berlin.
Die bereits seit fast 1 Jahr geplante Besprechung über die Zusammenarbeit der beiden deutsch-orientierten Gruppen in Liechtenstein (Volksdeutsche Bewegung und Vaterländische Union) kam am 13./14. März 1943 in Friedrichshafen zustande.
Eine Zusammenlegung beider Gruppen stand nicht zur Debatte, zumal ein politisches Zusammengehen vorläufig nicht nötig sein wird, da der Fürst [Franz Josef II.] die im Frühjahr 1943 fälligen Wahlen bis auf weiteres zurückgestellt hat und damit der Landtag auf unbestimmte Zeit verlängert wurde. [2]
Der Verhandlungsleiter wies zunächst darauf hin, dass die Führung der Volkstumspolitik gegenüber Liechtenstein im Reich jetzt eindeutig bei der Volksdeutschen Mittelstelle liegt, die den SS-Hauptsturmführer Dr. Huegel, Stuttgart, zu ihrem ständigen Verbindungsführer bestellt hat. Innerhalb des Auswärtigen Amtes liege die Führung beim Referat D VIII. Die klare Herausstellung der verantwortlichen Stellen im Reich biete nunmehr die Voraussetzung für eine einheitliche Ausrichtung der beiden Gruppen in Liechtenstein. Hierbei solle von beiden Gruppen nichts verlangt werden, was gegen die Anerkennung des liechtensteinischen Staates verstosse.
Dr. Vogt (Vaterländische Union) hielt eine politische Zusammenarbeit für unmöglich, dagegen setzte er sich für eine solche auf kulturellem Gebiet ein. Er begrüsste den Gedanken der Schaffung eines Heimatbundes auf überparteilicher Grundlage.
Dr. Goop hatte ohne die Zustimmung der Volksdeutschen Mittelstelle am 6.3.43 die Leitung der Volksdeutschen Bewegung niedergelegt und sie seinem bisherigen Vertreter Dr. Ritter übergeben. Gleichzeitig gab er seine Staatsstellung als Lehrer in Eschen auf, um zur Waffen-SS einzurücken. Dieser zweifellos etwas übereilte Schritt, der vollendete Tatsachen schaffen sollte, musste zunächst als Flucht vor der Verantwortung angesehen werden. In der persönlichen Aussprache mit Dr. Goop verstärkte sich jedoch der Eindruck, dass im wesentlichen idealistische Motive dahinter stehen. In der Anhängerschaft von Dr. Goop ist die Meldung zur Truppe auch in dieser Weise aufgefasst worden und hat dementsprechend gut gewirkt.
Dr. Goop trat trotzdem noch als Wortführer der Volksdeutschen Bewegung auf. Er stellte zunächst die Frage, ob die Volksdeutsche Bewegung ihre bisherige Taktik des offenen Kampfes gegen den Liechtensteinischen Staat und der Forderung des Anschlusses aufgeben müsse. Diese Frage wurde bejaht. Danach wird die Volksdeutsche Bewegung in Zukunft den bestehenden Staat und das Fürstenhaus als gegebene Tatsache hinnehmen, was natürlich nicht ausschliesst, dass sie gegenüber der jetzigen Regierung ihre oppositionelle Haltung beibehält, aber immer im Rahmen der Legalität.
Dr. Goop forderte eine Abgrenzung zwischen den Aufgaben der Volksdeutschen Bewegung und der Vaterländischen Union. Diese wurde dahin festgelegt, dass die Volksdeutsche Bewegung den Zusammenschluss der aktiven nationalsozialistischen Kräfte bildet, während die Vaterländische Union darüber hinaus das Sammelbecken aller anderen Kreise ist, die "deutsch, antibolschewistisch und liechtensteinisch" eingestellt sind. In diesem Zusammenhang traf Dr. Vogt die bemerkenswerte Feststellung, dass er und Dr. Schaedler für die Vaterländische Union keinerlei Programm haben, sondern dass diese Partei lediglich das Instrument zur Unterbauung ihrer persönlichen Positionen in der Regierung und im Landtag sei. Weiterhin bestritt Dr. Vogt, dass die Volksdeutsche Bewegung aus Nationalsozialisten bestehe, sie sei lediglich ein Sammelbecken der grundsätzlich oppositionell Eingestellten.
Dr. Goop verwahrte sich sehr deutlich gegen diesen Vorwurf, zumal die Tatsachen für die nationalsozialistische Einstellung des überwiegenden Teiles seiner Gefolgschaft sprechen, vor allem die verhältnismässig grosse Zahl der Freiwilligen bei der Waffen-SS und in der Wehrmacht.
Über das rein Kulturelle hinweg betonte Dr. Goop die Möglichkeit einer politischen Zusammenarbeit auf antibolschewistischer Grundlage. Dem mussten auch die Vertreter der Vaterländischen Union zustimmen. Es wurde die Schaffung eines "Antibolschewistischen Komitees" beschlossen, das auf überparteilicher Grundlage durch gemeinsame Vorträge, Veranstaltungen und Presseveröffentlichungen hervortreten soll. Eine geeignete Persönlichkeit als Präsident dieses Komitees konnte noch nicht bestimmt werden.
Anstelle der bisher von R. [Rudolf] Schaedler geleiteten "Arbeitsgemeinschaft für Kultur und Volkstum" soll ein "Heimatbund" gegründet werden, der die Aufgaben der Volkstums- und Heimatpflege erfüllen und kulturelle Veranstaltungen durchführen soll. Als Leiter war der anwesende Prof. Schaedler vorgesehen, der aber aus gesundheitlichen Gründen vorläufig absagen musste. Dr. Vogt will nunmehr Verbindungen mit Karl Hartmann aufnehmen, um diesen zu bewegen, die Leitung zu übernehmen.
Die Volkdsdeutsche Bewegung erklärte sich bereit, ihre bisherige N.S.V. [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] in ein gemeinsames "Deutsches Hilfswerk" zu überführen. Als Leiter wurde von Dr. Goop der anwesende Dr. Schaedler vorgeschlagen, der aber wegen Arbeitsüberlastung absagte. Ein anderer Namensvorschlag konnte nicht gemacht werden.
Die Jugendfrage wurde nur berührt, da die Schaffung einer gemeinsamen Jugendorganisation noch ein zu schwieriges Problem ist. Der Jugendführer Schaedler war für die Beibehaltung des bisherigen Zustandes. Die Volksdeutsche Bewegung forderte von der Vaterländischen Union lediglich ein klares Abrücken von den Pfadfindern, vor allem in der Presse, was aber von Prof. Schaedler, dem Schriftleiter des "Liechtensteinischen Vaterlandes", mit dem Hinweis auf den zu erwartenden Abonnentenrückgang abgelehnt wurde. Wegen ihrer schwierigen Finanzlage stehe dann die Existenz des Blattes auf dem Spiel. Aus demselben Grunde wurde von der Vaterländischen Union einer Zusammenarbeit in den beiden Zeitungen ("Umbruch" und "Vaterland") Schwierigkeiten gemacht.
Ergebnis:
Der Wunsch der Volksdeutschen Bewegung war, zu einer schriftlichen Abmachung über das Ausmass der Zusammenarbeit wenigstens in einigen Mindestforderungen zu kommen. Da sich jedoch in den Verhandlungen die Abneigung der Vaterländischen Union gegenüber einer schriftlichen Vereinbarung sehr deutlich zeigte, wurde von reichsdeutscher Seite hiervon Abstand genommen; denn erstens hätte man sich kaum ohne langwierige parlamentarische Verhandlungen auf schriftliche Formulierungen einigen können und darüber hinaus erschien es aus früheren Erfahrungen nicht als sicher, dass sich die Vaterländische Union an diese Vereinbarungen halten würde, sondern dass sie vielmehr bei der Unterschrift ihre "inneren Vorbehalte" machen würde. In der Schlusssitzung wies der Verhandlungsleiter auf diesen Tatbestand hin, stellte jedoch eine Frist von 2 Monaten für die Verwirklichung der obengenannten Pläne, auf deren Durchführung Dr. Huegel immer wieder drängen werde.
Das greifbare Ergebnis der Verhandlungen ist also gering. Es zeigte sich, dass Männer wie Dr. Vogt u. Dr. Schaedler einfach nicht in der Lage und willens sind, direkt auch nur die kleinsten Entschlüsse zu fassen. Neben der liberal-parlamentarischen Grundeinstellung dieser Männer tragen daran natürlich die engen Verhältnisse in Liechtenstein schuld, die aus jedem kleinen Problem gleich eine Staatsfrage erster Ordnung machen. Hinzu kommt, dass sie offenbar klare Festlegungen aus politischen Gründen nicht wollen, dass ihre Verhandlungsbereitschaft mit der Volksdeutschen Bewegung und Reichsstellen also nur dem Gebot politischer Klugheit entspricht, sich für alle Fälle nach der nationalsozialistischen Seite hin den Weg offen zu halten.
Die Verhandlungen haben nicht zuletzt darin ihren Sinn gehabt, dass die Einstellung der verschiedenen Männer in den Debatten recht deutlich zum Vorschein kam. Gegenüber der bereits erwähnten Haltung der Vaterländischen Union fiel die der Männer der Volksdeutschen Bewegung wohltuend auf. Sie waren wesentlich grosszügiger, klarer und entschiedener in ihrer Verhandlungsweise. Vor allem Dr. Goop zeigte eine erfreuliche Klarheit und Hartnäckigkeit, die allerdings den Herren der Vaterländischen Union umsomehr auf die Nerven fiel.
Bei der Volksdeutschen Bewegung blieb eine gewisse Niedergeschlagenheit wegen des Ausbleibens einer schriftlichen Vereinbarung zurück. Der neue Leiter, Dr. Ritter, meinte, dass die Bewegung das Opfer gebracht habe, sich auf die Legalität festzulegen und auf der anderen Seite keine greifbaren Erfolge für sie zu verzeichnen seien.
Dr. Goop zeigte immer wieder eine weitgehende Bereitschaft, die Belange der Volksdeutschen Bewegung hinter der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zurückzustellen.
Trotz der persönlichen Spannungen, die in den Verhandlungen gelegentlich aufbrachen, hat die Zusammenkunft unter reichsdeutscher Leitung doch einen Erfolg gehabt, zumindest insofern, als nach langer Zeit zum ersten Male die beiden Gruppen wieder überhaupt beieinander sassen. Vor allem in den inoffiziellen Zusammenkünften kamen sich die Vertreter beider Richtungen menschlich wieder näher. Es muss dafür gesorgt werden, dass diese erste Fühlungnahme nicht wieder einschläft, sondern verstärkt wird. Es wird entscheidend darauf ankommen, dass Dr. Huegel durch möglichst häufige Fühlungnahme immer wieder dafür sorgt, dass die Zusammenarbeit dann auch bald greifbare Erfolge zeigen wird und die Beschlüsse möglichst rasch in die Wirklichkeit umgesetzt werden.