Artikel in den "Liechtensteiner Nachrichten" [1]
28.10.1930
Ausländische Pressestimmen zur Abstimmung am 26. Oktober 1930
(Zum Teil auszugsweise)
Der konservative „Werdenberger Anzeiger" vom 24. Oktober 1930:
In Liechtenstein findet kommenden Sonntag die Abstimmung über ein neues Pressegesetz statt. Für unserer schweizer. Begriffe wäre eine derartige Vorlage, die zum vorneherein jede freie Meinungsäußerung in der Presse unterbindet, zum voraus geliefert, wenn auch gesagt sein muss, dass die liechtensteinische[n] Pressezustände dringend einer Korrektur bedürfen. Das vorliegende Gesetz bringt aber die Korrektur nicht und verdient eine tüchtige Verwerfung.
Die „Neue Bündner Zeitung" v. 23. Oktober 1930:
Sie fürchten eine öffentliche Auseinandersetzung. – Das Initiativkomitee gegen das neue liechtensteinische Pressegesetz hat die Regierung und die Landtagsabgeordneten eingeladen, an einer öffentlichen Versammlung zur Besprechung des Gesetzes teilzunehmen. Die Regierung hat es indessen abgelehnt, an der Versammlung zu erscheinen und ihren Standpunkt zu vertreten. Offenbar fühlten die reaktionären Herren nun selber die elende Schwäche ihrer Causa, sonst müssten sie das bisschen Zivilcourage doch aufbringen, mit dem Gegner vor versammeltem Volke zum geistigen Hosenlupf anzutreten.
Die „Appenzeller Zeitung", die ungefähr mit den gleichen Verhältnissen und den gleichen Voraussetzungen wie unsere Miniaturpresse zu rechnen hat, schreibt am 24. Oktober 1930:
Die Liechtensteiner entschieden über ihre Freiheit. Seit 1921 besitzen die Liechtensteiner eine Verfassung, die ihnen moderne demokratische Freiheiten gewährleistet. Am nächsten Sonntag werden sie nun darüber zu entscheiden haben, ob sie diese Freiheiten verdienen. Man will sie ihnen nämlich wieder nehmen. Nicht direkt, dass es gleich jeder merkt, sondern auf dem Umweg über eine ganz bedenkliche Knebelung der Pressefreiheit. Die wohl fortschrittlichste Erbmonarchie unseres Kontinents soll mit einem Schlag ins dunkelste Mittelalter zurückgeworfen werden, wo der Untertan nur zu gehorchen hat und an seinen Herren, selbst wenn sie einmal etwas gründlich schief machen, nicht die geringste Kritik üben darf. Es ist buchstäblich so, der Leser wird sich gleich davon überzeugen können. Offenkundig handelt es sich da um den unerhörten Versuch einer Partei, sich für alle Zeiten die Alleinherrschaft zu sichern und alle Opposition im Keime zu ersticken.
Die Lösung diese egoistischen Problems fand sich in dem Unikum eines Pressegesetzes, das der Landtag am 9. Juli dieses Jahres einstimmig annahm. Die Volkspartei hat gegen dieses Gesetz die nötigen Unterschriften gesammelt, so dass es der Volksabstimmung unterbreitet werden muß. Übermorgen wird also das Liechtensteiner Volk darüber entscheiden, ob es auf eines der kostbarsten Kulturgüter, auf die Pressfreiheit, verzichten will oder nicht.
Artikel 1 des neuen Gesetzesentwurfes sagt zwar klipp u. klar: „Die Freiheit der Presse ist gewährleistet." Aber schon der zweite Satz dieses Artikels schränkt etwas ein: „Sie unterliegt nur den Beschränkungen, die durch dieses Gesetz bestimmt sind." Auf diese Beschränkungen kommt es natürlich an und diese haben bereits zu internationalem Aufsehen gemahnt. Die Bürgerpartei behauptet zwar steif und fest, das ganze Gesetz sei ja nichts weiter als eine Kopie des österreichischen Pressegesetzes, das sich nun schon acht Jahre bewährt habe, und das Volk soll mit dem Satz beschwichtigt werden: „Dia Lüt do dunna (in Österreich) hend o ’s glich und dia kond o us dermet!" Die Irreführung dieser Argumentation ist doppelter Art. Das österreichische Pressegesetz hat sich keineswegs bewährt, denn sonst hätten sich die steiermärkischen Zeitungsverleger nicht zusammen geschlossen, um eine Abänderung dieses vormärzlichen Gesetzes zu verlangen. Die Aktion soll demnächst zu einer Generaloffensive der ganzen österreichischen Zeitungswelt erweitert werden. Und wenn die Bürgerpartei dem Volk erklärt, in der östlichen Nachbarrepublik hätten sie „ s’ glich" Gesetz, so stimmt das auch nicht. Zum mindesten in den Kapitalpunkten nicht. Denn da sind die Strafbestimmungen des Liechtensteiner Entwurfes durchwegs wesentlich verschärft. Wo das österreichische Gesetz nur Geldstrafen vorsieht, hat man noch Gefängnis beigefügt. Wo ein Rekurs aufschiebende Wirkung bezüglich einer behördlichen Anordnung hat, wird ihm diese im liechtensteinischen Entwurf versagt. In manchen Artikeln haben allerdings die Liechtensteiner die österreichische Vorlage getreulich kopiert. So muss nach Artikel 20 von jedem Druckwerk, dessen Umfang drei Druckbogen nicht übersteigt, und von jeder Nummer einer Zeitung mit Beginn der Verbreitung je ein Pflichtexemplar bei der fürstlichen Regierung abgeliefert werden. Das gilt auch für ausländische Zeitungen. Kein Schweizerkanton kennt diese Verpflichtung, die nichts anderes als eine Nachzensur bedeutet. Aber der Entwurf tischt noch weit Schlimmeres auf. So besagt Artikel 23: „Amtliche Berichtigungen dürfen nicht kommentiert werden." So weit ist man nicht einmal in Österreich gegangen. „Wird bei Veröffentlichung einer amtlichen Berichtigung", heißt es in Artikel 25, „ein Kommentar beigefügt oder erfolgt die Kommentierung in einer späteren Nummer, so hat das Gericht über Antrag der Behörde auf Einstellung des Erscheinens der Zeitung für die Dauer eines Monats zu erkennen und den verantwortlichen Schriftleiter mit 100 bis 1000 Fr. oder Arrest von acht Tagen bis zu 3 Monaten zu bestrafen." Verstösst eine ausländische Zeitung zweimal gegen diesen Artikel 23, so kann die Regierung das Blatt im Inlande für ein Jahr verbieten. Wer ein solch verbotenes Blatt im Jnlande verbreitet, wird mit 50 bis 500 Fr. Busse bestraft. Aber es kommt noch schöner. Mit Artikel 36 hat man den Vogel abgeschossen. Er lautet:
„Wer öffentlich oder vor mehreren Leuten oder in Druckwerken inländischer oder ausländischer Herkunft die Beschlüsse, Verordnungen u. Entscheidungen der Landesbehörden durch Schmähungen, Verspottungen, unwahre Angaben oder Entstellungen von Tatsachen herabzuwürdigen sucht oder deren Autorität auf irgend eine Art zu untergraben versucht, wird vom Gerichte mit Arrest von einem bis zu sechs Monaten bestraft."
Unbeschadet der gerichtlichen Verfolgung der Schuldigen hat die Regierung a) Druckschriften, deren Inhalt die angeführten Tatbestände erfüllen, zu beschlagnahmen; b) im Wiederholungsfalle das Erscheinen der Druckschrift für die Dauer einer Woche bis zu einem Jahre einzustellen, dem verantwortlichen Schriftleiter die Ausübung des Berufes zu untersagen, den Herausgebern u. Druckern die Ausübung ihres Gewerbes zu verbieten; c) öffentliche Beamte und Angestellte, die nach diesem Artikel bestraft werden, sind ihres Dienstes zu entheben."
Das ist der allergefährlichste Artikel, da er jeden, der nur die leiseste Kritik an den Behörden übt, die diese natürlich als Untergrabung ihrer Autorität auslegen wird, dem Strafrichter überantwortet. Wer an dem Stammtisch „vor mehreren Leuten" etwas an einer behördlichen Verordnung aussetzt, d. h. die Autorität der unfehlbaren Regenten untergräbt, wandert ins Kittchen. Wer über drückende Steuern nicht im stillen Kämmerlein, sondern „vor mehreren Leuten", z. B. auf dem Kirchgang, seufzt, und dadurch die Autorität betrachtet u. verfolgt würde. [2] Aber soll für einige Zeit an den Statten. Und wie soll sich unter der Fuchtel dieses Terrorartikels eine künftige Wahlkampagne gestalten, wenn beispielsweise die Volkspartei an den Beschlüssen des bürgerparteilichen Gegners, der in allen Behörden sitzt, keinerlei Kritik üben darf? Es wird ihr unmöglich sein, ihr Fortschrittsprogramm mit Erfolg zu verfechten, da sie ja um Vergleiche mit dem Bestehenden nicht herunterkäme, was von den Herrschenden sofort als Untergrabung ihrer Autorität betrachtet und verfolgt würde. Aber das will man eben. Dem souveränen Volke soll der Mund gründlich gestopft werden, damit sie ungestört herrschen kann bis in alle Ewigkeit.
Wird das Liechtensteiner Völklein am Sonntag Ja und Amen dazu sagen oder merkt es, wo hinaus dieses berüchtigte Pressegesetz will. Die herrschende Partei hat dem Abstimmungstag erst in später Stunde bestimmt, um der Volkspartei die Aufklärung de[r] stimmfähigen Bürger so viel als möglich zu erschweren. Es bleibt fast nur die Hoffnung auf den gesunden Menschverstand u. das Gerechtigkeitsgefühl des Volkes, und auf seine Erkenntnis, dass dieses mittelalterliche Pressegesetz den Bestimmungen und dem Geiste seiner freiheitlichen Verfassung vollkommen zuwiderläuft.