Schreiben von Regierungschef Josef Hoop an Hermann Sieger (Durchschlag) [1]
26.3.1939
Sehr geehrter Herr Konsul,
Indem ich Ihnen vorerst für Ihre freundlichen Bemühungen bestens danke, gebe ich Ihnen nachstehende den gewünschten Bericht: Er stellt die Auffassung des Regierungskollegiums mit Einschluss des Herrn Regierungschef-Stellvertreter Dr. [Alois] Vogt dar.
Obwohl Ihnen als Kenner unseres Landes die Entwicklung der letzten Jahre wohl bekannt ist, greife ich doch auf die Zeit von Anfang 1938 zurück. Damals, nachdem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reiche, bildete sich eine ganz kleine Gruppe, die den Wirtschaftanschluss an Gross-Deutschland wünschte und politisch vertrat. Diese Gruppe bestand zum grössten Teile aus Leuten, die zu einem beträchtlichen Teile minderjährig waren. Nun hat sich aber in der liechtensteinischen Öffentlichkeit das Zollvertragsverhältnis mit der Schweiz derart tief eingelebt, dass trotz des einen oder anderen unerfüllten [Wunschs] Liechtensteins die überwältigende Mehrheit dieses Vertragsverhältnis unter keinen Umständen aufgeben will. Es bildete sich ein gewisser Gegensatz zwischen den beiden Gruppen heraus, der in einzelnen Fällen zu Vorkommnissen führte, die von der Regierung sehr bedauert werden, aber wie auch in anderen Staaten leider nicht unmöglich sind, zu verhindern. Damit meine ich kleine Reibereien zwischen Anhängern der vorgenannten kleinen Gruppe und den Vertretern des Vertragsverhältnisses mit der Schweiz. Allerdings ist diesen Vorfällen keine weitere Bedeutung beizumessen. Der Exponent der Deutschen Ortsgruppe, Herr Dr. [Friedrich] Bock, teilt in dieser Hinsicht ganz unsere Auffassung. Ich kann die Zahl der Ohrfeigen, die es abgesetzt hat, nicht angeben, jedenfalls sind die Vorfälle tatsächlich bedeutungslos. Immerhin war manchmal eine gereizte Stimmung festzustellen, wenn z. B. die kleine Gruppe der Vertreter des Wirtschaftsanschlusses an das Deutsche Reich eine Versammlung abhielt und die Regierung hatte in 4 Fällen Veranlassung, durch persönliche Intervention ein gegenseitiges Aufeinander-Prallen zu verhindern. Sich bewusst, dass sie angesichts ihrer verschwindenden Zahl eine breitere Basis für die Eingehung eines Zollverhältnisses mit dem Deutschen Reiche in der liechtensteinischen Bevölkerung nicht finden würden, scheinen sie sich nun bestimmten Informationen und Beobachtungen zufolge mit Parteiformationen im benachbarten Vorarlberg in Verbindung gesetzt zu haben. Als sich die Gerüchte hierüber verdichteten, sah sich Herr Regierungschef-Stellvertreter Dr. Vogt veranlasst, bei der Bezirkshauptmannschaft in Feldkirch vorgesprochen und um Aufklärung zu bitten. Herr Bezirkshauptmann Dr. [Ignaz] Tschofen erklärte, ihm seien selbst Gerüchte zu Ohren gekommen, wonach von Feldkirch aus eine Aktion gegen Liechtenstein geplant sei. Nachdem sich diese Gerüchte verdichtet hatten, hätte er Veranlassung genommen die Vorarlberger Landesregierung in Bregenz zu informieren. Von derselben war bereits Landrat [Alfons] Mäser zur Untersuchung der Angelegenheit nach Feldkirch abgeordnet worden, Herr Landrat wurde dann zur Besprechung zwischen Herrn Bezirkshauptmann Dr. Tschofen und Herrn Dr. Vogt zugezogen und die Angelegenheit gemeinsam besprochen. Beide Herren erklärten Herrn Dr. Vogt, dass sie der Sache unverzüglich nachgehen und alle Vorkehrungen treffen würden, um eigenmächtiges Eingreifen in die Politik in Liechtenstein von Feldkirch aus zu verhindern.
Abends 1/2 11 Uhr begab sich Herr Dr. Vogt nochmals nach Feldkirch und konnte auf Grund privater Informationen in Erfahrung bringen, dass Dienstag, Mittwoch und Donnerstag Abend der vergangenen Woche [2] jeweils Sonder-Apelle der S.A. und N.S.K.K. [Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps] in Feldkirch stattgefunden hätten zu dem Zweck, um diese aufgebotenen Formationen zum Einmarsch nach Liechtenstein bereit zu halten. Mindestens wurde dies als Grund der Sonder-Apelle von Angehörigen der genannten Formation wiederholt und eindeutig bezeichnet.
Gleichen Tages konnte Herr Dr. Vogt in Erfahrung bringen, dass angeblich informierte Reichsbeamte in Liechtenstein selbst erklärt hatten, dass in der Nacht vom 24. auf 25. März der Einmarsche der Feldkircher S.A. und N.S.K.K. in Liechtenstein festgesetzt sei und unter allen Umständen durchgeführt werde. Und zwar sei der Vorgang folgender: Die Liechtensteiner Anhänger eines Zollanschlusses oder politischen Anschlusses an das Reich werden in Liechtenstein einen Wirbel inszenieren, dann von der Bevölkerung, die mit den Intentionen und mit den Absichten der anschlussfreundlichen Gruppe nicht einverstanden ist, bedroht, daraufhin sie die bereits zum Einmarsch bereite Formation um Hilfe anzurufen. Gerüchteweise wurden derartige Absichten bereits am Donnerstag in der benachbarten Schweiz bekannt und die liechtensteinische Regierung von dort informiert. Angeblich sei die geplante Aktion gegen Liechtenstein den schweizerischen Behörden durch Redereien von Beamten der Deutschen Reichsbahn in Buchs und St. Margrethen zur Kenntnis gekommen. Die Untersuchungen in dieser Richtung konnten noch nicht abgeschlossen werden.
Im Verlaufe des Freitag-Nachmittags entstand nun die Gewissheit, dass die geplante Aktion durch das durchaus loyale und verdankenswerte Verhalten der Vorarlberger Lokalbehörden abgestoppt wurde. Nichtsdestoweniger kam es dann Freitagabend zu einer lebhaften Auseinandersetzung zwischen einigen Anhängern der Anschlussbewegung und der durch die Gerüchte erregte Bevölkerung. Es konnte durch persönliche Intervention von Regierungsmitgliedern ein Aufeinanderprallen der beiden Gruppen verhindert werden. Zu bemerken ist, dass die Gruppe der Anschlussfreunde bei diesen Auseinandersetzungen in derartiger Minderzahl war, das der Ausgang dieser Auseinandersetzung nicht zweifelhaft hätte sein können.
Einige leitende Angehörige der Anschlussbewegung wurde in diesem Zusammenhange verhaftet und gegen sie eine Untersuchung wegen dringenden Verdachtes des Aufstandsversuchs eingeleitet.
Heute früh erfahren wir noch, dass etwa 15-20 junge Burschen von Nachts 12 Uhr bis morgens 1/2 4 Uhr auf der Seite der liechtensteinisch-deutschen Grenzen versammelt waren und die Bemerkung machten, dass sie den deutschen Reichskanzler zu Hilfe rufen wurde, wenn die liechtensteinische Regierung ihnen nicht Schutz zu bieten vermöge. Hierbei muss bemerkt werden, dass es sich wohl um Leute handelt, die an dem Wirbel vom Freitag Abend teilnahmen. Bemerkt muss werden, dass in Liechtenstein von den Behörden aus noch keinem einzigen Menschen ein Haar blos wegen seiner politischen Einstellung gekrümmt wurde.
Nachgetragen muss noch werden, dass eine grössere Anzahl Minderjähriger an den Vorkommnissen vom Freitag zusammengezogen wurden.
Ich möchte nicht unterlassen, zu bemerken, dass uns diese Ereignisse ausserordentlich nahe gehen. Wir haben jetzt ein so angenehmes Verhältnis mit unseren engeren und weiteren Nachbarschaft in Deutschland gehabt, so dass es doppelt unangenehm wäre, wenn sich dieses durch Vorfälle genannter Art trüben würde. Andererseits geben wir uns wohl berechtigter Weise der Hoffnung hin, dass es durchaus nicht im Willen der reichsdeutschen Behörden, deren Wohlwollen wir uns immer erfreuen durften, liegt, wenn untergeordnete Organe sich in die Verhältnisse eines befreundeten Nachbarlandes einmischen.
Ich wäre ihnen nun, sehr geehrter Herr Konsul, sehr dankbar, wenn sie das Vorstehende an den Ihnen geeigneten scheinenden Stellen, ev. ergänzend und unterstützend anbringen würden.
Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Konsul, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.