Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, ungez. [1]
13.12.1945
6. Beantwortung der Interpellation Kindle durch die fürstliche Regierung
Der Präsident [David Strub] verliest ein Schreiben des Abg. [Florian] Kindle vom 13. Dez. 1945, worin er die Interpellation zurückzieht, da inzwischen verschiedene Wegweisungsfälle rechtskräftig geworden sind und in anderen Fällen die Verwaltungsbeschwerdeinstanz bereits entschieden haben dürfte, sodass die Beantwortung der Interpellation nicht mehr aktuell sei. [2] Die Beantwortung sei zu lange hinausgezögert worden.
Hierauf antwortete Herr Regierungschef [Alexander] Frick, dass er der Ansicht sei, dass die Interpellation doch zu beantworten sei, da die Regierung unmöglich die Schuld auf sich lasten lassen könne, die ihr in die Schuhe geschoben worden sei. Er stelle fest, dass dies die erste öffentliche Landtagssitzung seit der Eingabe der Interpellation sei. Er habe in der letzten Konferenzzimmersitzung des Landtages darauf hingewiesen, dass ihm wo möglichst bald eine Gelegenheit gegeben werden sollte, um die Interpellation zu beantworten. [3] Die Interpellation sei im öffentlichen Landtag verlesen und begründet worden [4] und müsse auch im öffentlichen Landtage beantwortet werden. Die Proteste, die Abg. Kindle heute gegen die Beantwortung der Interpellation erhoben habe, seien nicht angebracht. Art. 63 der Verfassung [5] verpflichte ihn, die Interpellation zu beantworten.
Abg. Kindle macht geltend, dass bei der letzten öffentlichen Sitzung die Rede davon gewesen sei, dass in längstens 14 Tagen wieder eine Sitzung stattfinden würde. Er habe die Auffassung, dass die heutige Beantwortung der Interpellation doch keine einflussnehmende Wirkung mehr habe und dass damit die Interpellation gegenstandslos geworden ist.
Präsident Strub führt aus, dass seit dieser Zeit keine Traktanden für die öffentliche Sitzung auf der Tagesordnung waren und dass die Interpellationsbeantwortung der einzige Verhandlungsgegenstand gewesen wäre. Nachdem Herr Regierungschef Frick dazumal angekündigt habe, dass die eingeleiteten Verfahren trotz der Interpellation zu Ende geführt würden, glaube er, dass der Regierung Gelegenheit gegeben werden müsse, die Interpellation zu beantworten. Er stellt den Antrag auf Beantwortung.
Abg. [Eugen] Schädler unterstützt den Antrag des Präsidenten.
Abg. Kindle weist darauf hin, dass die Interpellation den Umständen der Zeit entsprechend eingebracht worden sei. Die Beantwortung wäre in der damaligen Zeit von Interesse gewesen. Die Regierung soll die Interpellation beantworten.
Regierungschef Frick beantwortet die Interpellation, die folgenden Wortlaut hat:
Herr Präsident, Herren Abgeordnete!
In Beantwortung der Interpellation des Abgeordneten Kindle, möchte ich heute Bericht erstatten über die bisherigen im Rahmen der Säuberungsaktion gegen Ausländer ergangenen Wegweisungsverfügungen. Der nachfolgende Bericht wird sich auch mit den rechtlichen Grundsätzen befassen, auf Grund deren die Ausweisungen erfolgen. Ich sehe mich veranlasst, auch ausführlich auf die Wegweisungsgründe einzugehen und auf verschiedene Ausdrücke, die in der Interpellationsbegründung enthalten sind, zurückzukommen und diese entschieden zurückzuweisen. [6]
1.) Im Zuge der Säuberungsaktion sind bis heute in 15 Fällen 29 Personen weggewiesen worden. Davon sind Reichsdeutsche 22, Österreicher 6, Schweizer 1.
Wir werden die Namen der Weggewiesenen erst veröffentlichen, wenn die Wegweisungsverfügungen Rechtskraft erlangt haben.
2.) Es dürfte den Herren Abgeordneten bekannt sein, dass durch die Vereinbarung zwischen Liechtenstein und der Schweiz betreffend die Regelung der fremdenpolizeilichen Vorschriften vom Jahre 1941 von uns die schweizerische Gesetzgebung übernommen wurde. [7] Die Ein- und Ausreise und der Aufenthalt von Drittausländern regelt sich seit 1941 ausschliesslich nach schweizerischer Gesetzgebung. Hinsichtlich der Ausweisung bleibt Liechtenstein gemäss Art. 8 lit. b dieser Vereinbarung frei. Wer aus Liechtenstein ausgewiesen werden soll, bestimmen die liechtensteinischen Behörden. Wenn aber eine Wegweisung von seiten Liechtensteins durchgeführt wird, so hat dies auf Grund der von uns übernommenen eidg. fremdenpolizeilichen Vorschriften zu erfolgen.
Diese Materie ist in Art. 10 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern vom 26.3.31 [8] und in Art. 5 des Bundesratsbeschlusses vom 17.10.1939 geregelt. [9]
In der Schweiz befasste sich eine ausserordentliche Polizeidirektorenkonferenz am 25.6.45 eingehend mit dem Problem der Säuberung. Anlässlich dieser Konferenz wurde bestimmt, wer durch die Bundesbehörden im Sinne von Art. 70 der Bundesverfassung [10] und wer auf Grund der fremdenpolizeilichen Gesetze durch die kantonale Fremdenpolizei weggewiesen werden soll. [11] Den Bundesbehörden wurden folgende Fälle zur Ausweisung überlassen:
a) Angehörige von nat.soz. Organisationen, die durch den von ihnen ausgeübten Terror als berüchtigt bekannt geworden sind, nämlich SS, Gestapo, SA und SD;
b) Deutsche, die dringend verdächtigt sind, unerlaubten militärischen, politischen oder wirtschaftlichen Nachrichtendienst betrieben zu haben;
c) Deutsche, die eine leitende Funktion in einer nationalsozialistischen Organisation innegehabt haben oder aber Funktionäre und blosse Mitglieder einer solchen Organisation waren, wenn feststeht, dass die letzten sich aktiv in nationalsozialistischem Sinne betätigt, Propaganda betrieben, Landsleute unter Druck gesetzt oder sich abschätzig oder drohend gegenüber der Schweiz und schweizerischen Verhältnissen geäussert haben.
Nach Art. 10 ANA [Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern] in Verbindung mit Art. 5 des BRB [Bundesratsbeschlusses] über Änderung der fremdenpolizeilichen Regelung vom 17.10.39 sollen ausgewiesen werden:
a) Mitglieder der NSDAP, sofern nicht im Einzelfall besondere Entlastungsgründe geltend gemacht werden können. Eine Ausnahme ist namentlich geboten, wenn die Ausweisung im Einzelfall eine verhältnismässige Härte bedeuten würde und wenn die Gefahr einer künftigen staatsgefährlichen Tätigkeit als ausgeschlossen erscheinen kann;
b) Mitglieder der nat.soz. Sportorganisationen;
c) Deutsche, die sich besonders aktiv im nat. soz. Sinne betätigt haben, für die jedoch die Voraussetzungen zur Ausweisung nach Art. 70 BV [Bundesverfassung] trotzdem nicht als gegeben betrachtet werden.
In der Konferenzzimmersitzung des Landtages vom 18.9.45 hat der Sprechende dem Landtage über die Liechtensteiner zur Anwendung kommenden Grundsätze für die Säuberung orientiert. [12] Nach unseren damaligen Ausführungen sollen vor allem die Funktionäre der NSDAP und der NS-Nebenorganisationen, die ärgsten Provokateure und Nachrichtendienstler weggewiesen werden. Über diese Richtlinien sind wir nicht hinausgegangen.
Wir hoffen nur, dass diese Interpellation nicht den Anstoss dazu gibt, dass auch gegen die Mitglieder der NSDAP im allgemeinen vorgegangen werden muss, denn was bis heute erfolgt ist, ist das Minimum dessen, was getan werden muss.
3.) Die Ausweisungsgründe:
Stellen wir uns einmal die Frage, warum der Nationalsozialismus so gefährlich und so gefürchtet war, so müssen wir uns Rechenschaft geben, dass die NSDAP und ihre Gliederungen überaus straff organisiert waren und dass vor allem die Parteifunktionäre durchwegs auf den Führer eingeschworen waren. Befehle von oben herab wurden vorurteilslos entgegengenommen und ausgeführt und die unbedingte Treue und vorurteilsloses Vertrauen auf den Führer waren die Hauptmerkmale der Parteifunktionäre. Jede aktive Kontrolle des Volkes war bekanntlich in diesem System ausgeschaltet. Der hysterische Ruf der Massenchöre: "Führer befiel, wir folgen", war wohl das schrecklichste, was ein Demokrat je zu hören bekam. Der Nationalsozialismus begnügte sich jedoch nicht mit der Erfassung des ganzen deutschen Volkes im Reiche, sondern es erfolgte auch die Gründung der Auslandsorganisationen. Die Gefährlichkeit der 5. Kolonne erkannte man erst recht beim Überfall auf Holland, Belgien, Luxemburg und Dänemark. Was diese 5. Kolonnen geleistet haben, war nichts anderes, als krasser Verrat im Gastlande über Befehl der Oberleitung in Deutschland. Meine Herren, ich will keine langen Worte verlieren über den Aufbau der Auslandsorganisationen. Auf eines muss ich hinweisen, unsere NSDAP mitsamt ihren Nebenorganisationen wie HJ [Hitlerjugend], BDM [Bund Deutscher Mädel], DAF [Deutsche Arbeitsfront], NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt], usw., unterstanden der gleichen Dienststelle, wie die 5. Kolonnen in den von den Nazis überrannten Ländern. Wie deprimierend war es doch für die heimattreuen Liechtensteiner, die Nazis in die Parteilokale strömen zu sehen, wo die Siege gefeiert wurden, wo gegen "Engeland gefahren wurde", [13] wo je nach Lage Brandreden gehalten wurden, wo das "Stillgestanden" geübt wurde und wo vor allem "Sieg-Heil" geschrieen wurde. Es war allen klar, dass auch unsere Nazis unbedingte Machtanbeter waren, genau wie ihre Parteigenossen in Belgien, Holland usw. und auf Befehl auch gegen unser Land gearbeitet hätten. Dass diese Befehle nicht gekommen sind, daran sind sie selber nicht sehr schuld. Dass aber auch bei uns die Befehle "von oben herab" bis zum letzten Moment prompt ausgeführt wurden, beweist die Tatsache, dass alle Parteifunktionäre dem Befehl der Vernichtung der Korrespondenz und Karteien bis auf eine Ausnahme prompt nachgekommen sind. Die nachfolgenden Hausdurchsuchungen lieferten nicht mehr viel Beweismaterial zutage. Alles belastende Papier war schon in Rauch aufgegangen. Wir glauben nun nicht, dass ein solches Vorgehen unbedingt nach dem Grundsatze: "Im Zweifelsfalle ist zu Gunsten des Angeklagten zu entscheiden" belohnt werden muss, wie das in der Interpellationsbegründung so schön ausgeführt wurde. Denn noch leben die Zeugen, die allem mitgemacht haben. Die Parteifunktionäre und die Führer der Nebenorganisationen haben die NSDAP in Liechtenstein aufgebaut, bei allen Veranstaltungen war sie stets die Triebfeder. Wenn heute einer sagt, er sei nur gezwungen gewesen in der Partei mitzumachen, oder eine Partei zu übernehmen, so halten wir dem entgegen, dass ein solcher Parteigenosse auch den Befehl gegen sein Gastland – wenn auch nur gezwungen – durchgeführt hätte.
Angesichts dieser Tatsache darf eine Behörde oder ein Abgeordneter nicht sentimental werden. Wir möchten den Interpellanten daran erinnern, dass diese Leute nicht nach Sibirien deportiert werden, sondern dass sie nach der Heimat können, die allerdings durch die von ihnen so verherrlichte Naziherrschaft stark gelitten hat.
Der Interpellant vertritt die Ansicht, dass den Weggewiesenen kein rechtliches Gehör geschenkt worden sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass durchwegs vor der Wegweisung eine Einvernahme durch die Landespolizei erfolgte. Die Parteifunktionäre und Provokateure waren übrigens unserer Polizei sowie der Fürstlichen Regierung durch ihre Tätigkeit wohl bekannt. Dass heute auch der ehemalige protzigste und aufgeblasenste Nazibonze klein und hässlich ist, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass auch die grossen Vorbilder in Deutschland sich ganz gleich benahmen. Selbstverständlich hatte keiner bei der Parteitätigkeit etwas Böses gedacht, jeder wollte nur das Beste für das Fürstenhaus und für das liechtensteinische Volk. Wenn sich der Interpellant darüber aufhält, dass die "Verantwortung" der Weggewiesenen nicht ernst genommen worden sei, so müssen wir uns wirklich fragen, wo der Interpellant überhaupt hinaus will. Wenn die "Verantwortung" ernst genommen werden sollte, so müssten überhaupt keine Ausweisungen erfolgen, da alle, wie schon gesagt, nur das beste für Land und Volk wollten. Der Sprechende hat nicht von ungefähr dem Landtage in der Konferenzzimmersitzung vom 18.9.45 über die schweizerischen Richtlinien referiert und dort bekanntgegeben, dass die Regierung gedenke, den gleichen Weg zu beschreiten. Waren diese Richtlinien einmal übernommen, so waren selbstverständlich die Wegzuweisenden auch schon bestimmt. Ich würde es viel eher als eine Farce betrachten - um auf einen Ausdruck der Interpellation zurückzukommen, - wenn diese Personen noch einem langen Kreuzverhör ausgesetzt würden. Dann hätte man vielleicht in einer Interpellation von Sadismus gesprochen, denn nach dem Vorgefallenen muss wohl alles für möglich gehalten werden. Durch das Rekursverfahren wird übrigens jedem reichlich Gelegenheit zur Verteidigung gegeben.
Auch der Sprechende hat mit Freude und Genugtuung vernommen, dass sich in aller Welt für das von den Nazis so verführte und verratene deutsche Volk Stimmen regen. Ich muss aber den Herrn Interpellanten daran erinnern, dass sich diese Stimmen nicht für die Parteibonzen regen, sondern für das gewöhnliche zum grossen Teil unschuldige deutsche Volk. Im ganzen englischen Parlament werden Sie aber keinen Abgeordneten finden, der für solche Parteifunktionäre, Provokateure, Propagandisten und Nachrichtendienstler ein warmes Wort einlegen würde. Das müssen wir uns klar vor Augen halten. Es ist auch hier zwischen Verführten und Verführern streng zu unterscheiden. Es ist sehr zu hoffen, dass die Alliierten Einsicht haben werden und dem deutschen Volke vor allem über den kommenden Winter hinweg helfen werden, damit die düsteren Voraussagen sich nicht erfüllen werden. Liechtenstein ist daran, auch seinen Beitrag an die Linderung der Not der unschuldig Leidenden zu leisten. Es will vor allem gefährdete Kinder aufnehmen.
Die NSDAP in Liechtenstein war für die liechtensteinischen Nazis die Lehrmeisterin und das ständige Vorbild. Unsere VDBL, die ein grosses Verbrechen an unserem Volke darstellt, war genau nach dem deutschen Muster organisiert. Wir hatten bekanntlich einen Landesleiter, einen Ortsgruppenleiter, Organisationsleiter, Sturmbannführer, die verschiedenen Parteisachwalter, eine landeseigene SA, eine NSV, eine NS-Frauenschaft, usw. Unsere Naziführer unterhielten mit einer Anzahl deutscher Führer intimste Freundschaften. Der "Umbruch" wurde selbstverständlich von den deutschen Nazis mindestens durch Abonnenten unterstützt. Ja auf dem deutschen Generalkonsulat in Zürich sprach einmal ein Konsularbeamter vom "Umbruch" als von "unserer Zeitung". Ein anderer Deutscher schrieb vom "Umbruch" als von "unserem kleinen Kampfblatt". Die NSDAP war der VDBL ein starkes Rückgrat. Die Massenversammlungen der Deutschen spornten die Nazis liechtensteinischer Nationalität jeweils zu noch grösserer Aktivität und Frechheit an. Es ist allerdings zu erwähnen, dass unser Staat in den letzten 6 Jahren von den eigenen nat.soz. Söhnen und Töchtern mehr kritisiert und verschrieen wurde als von den Deutschen. Zur Zeit als Deutschland auf der Höhe der Macht stand, kannten diese bekanntlich keine Hemmungen mehr. Die Bestrafung der liechtensteinischen Bürger kann aber nicht durch solche Massnahmen erfolgen, sondern ist Sache der Justiz. Soweit allerdings die Verwaltungsbehörden durch Disziplinarverfahren Abhilfe schaffen können, wird dies geschehen.
Man könnte einwenden, dass die NSDAP und ihre Nebenorganisationen von der Regierung nicht verboten war und dass deren Mitglieder nichts Unerlaubtes taten, wenn sie sich im nat.soz. Sinne betätigten. Da liegt ein Vergleich mit einem Gastgeber nahe, dessen Gäste eine vorübergehende Ohnmacht des Hausherrn ausnützen, um sich ganz gegen die Intentionen des Gastgebers zu benehmen. Sobald der Hausherr wieder in den vollen Besitz seiner Kräfte kommt, wirft er mit Recht die ärgsten seiner vermeintlichen Gäste hinaus. Tut er das nicht, so stellen ihm seine Gäste bei einer späteren Gelegenheit vielleicht noch etwas viel Schlimmeres an. Liechtenstein musste die Gründung und den Aufbau der NSDAP auf seinem Territorium erdulden, obwohl die grosse Mehrheit der Bevölkerung deswegen erbost und beunruhigt war. Der Bestand der NSDAP war wirklich eine beständige Bedrohung des Landes und der heimattreuen Bevölkerung. Jeder von uns war bespitzelt und im Falle eines Umschwunges hätten unsere Gäste wahrscheinlich nicht soviel Verständnis für uns aufgebracht als wir heute für sie. Von christlicher Duldsamkeit und Nächstenliebe hätten wir wahrscheinlich nicht mehr viel verspürt, da kaum je ein System die christlichen Grundsätze so mit Füssen getreten hat wie der zur Religion erhobene Nationalsozialismus, und wenn wir nun die Diener und Priester dieser unglücklichen Religion wegweisen, so verstossen wir uns nicht gegen die Grundsätze des Christentums und der bürgerlichen Rechtlichkeit. Auch der sanftmütige Jesus Christus hat den Tempel gereinigt. Die christliche Religion, an die man sich heute so gern wieder erinnert, kennt eben nicht nur eine göttliche Barmherzigkeit, sondern auch eine göttliche Gerechtigkeit. Die bis heute erfolgten Ausweisungen sind die ganz logischen Folgen der früheren Handlungen der Betroffenen.
Wenn aber all die angeführten Gründe für die Ausweisungen nicht als genügend angesehen werden sollten, dass müsste das folgende Argument des letzten verantwortungsbewussten Abgeordneten Anlass zum Denken geben. Das Land Liechtenstein wurde in der Weltpresse bis zum Antritt der neuen Regierung monatelang als Nazi-Reduit verschrieen. [14] Die neue Regierung versprach hier durchzugreifen. Es darf aber nicht nur bei den Worten bleiben, sondern es haben die Taten zu folgen. Wir haben jeden nat.soz. Einfluss in unserem Lande zu berechnen und zu ahnden. Die ärgsten Auslandnazi haben das Land zu verlassen, die aktivsten liechtensteinischen Nazi haben sich vor dem Gerichte zu verantworten, der Lehrerstand ist vom Landesschulrate von Nazielementen zu säubern. Erst wenn diese Aufgaben erfüllt sind, dürfen wir mit Recht erwarten, dass man uns wieder ernst nimmt, und erst dann können wir auch erwarten, dass unsere Grenzen gegenüber der Schweiz wieder in den normalen Zustand gebracht wird. In dieser Sache hätten wir dem Landtage noch allerhand mitzuteilen, doch kann dies in aller Öffentlichkeit nicht erfolgen.
Wir stimmen dem in der Interpellationsbegründung enthaltenen Satze: "Das liechtensteinische Volk aber trägt moralisch vor sich und der Nachwelt die Verantwortung für das Geschehen und es ist sich seiner Verantwortung auch voll bewusst. Es weiss genau, dass der liechtensteinische Staat in seiner Kleinheit nur aufgebaut auf klarer, bürgerlicher Rechtlichkeit und auf christlich-katholischer Grundhaltung existenzfähig ist" voll inhaltlich zu. Ja bürgerliche Rechtlichkeit und christlich-katholische Grundhaltung verlangt von uns auch hier ein konsequentes Handeln. Es wäre sicher ganz unlogisch, wenn solche recht gefährliche Gäste unser Land nicht verlassen müssten. Wir wollen heute keine Präjudizfälle für eine spätere 5. Kolonne schaffen. Wenn einer sich in dieser Form gegen das Gastrecht verstösst, so soll er die Früchte seines Handels tragen, auch wenn sie hart sind. Wir haben gottlob eine ganze Reihe deutscher und österreichischer Staatsangehöriger, die sich durchwegs anständig und loyal verhalten haben. Wenn mit der Tätigkeit der NSDAP und der NS-Nebenorganisation auf einer anderen Weise abgerechnet wird, ermöglichen wir mindestens 95 % der hier ansässigen Deutschen und Österreichern den Wiederanschluss an die einheimische Bevölkerung.
Das Hauptverbrechen am Auslandsdeutschtum ging von der A.O. der NSDAP aus, die die Auslandsdeutschen organisierte, sie von der andern Bevölkerung losriss, um auch diese ganz in der Hand zu haben. Die Parteifunktionäre haben sich hiebei als treue und vorurteilslose Diener benommen.
Die Interpellation enthält u. a. dass der politische Hass und der Eigennutz nicht die Triebfeder der Haltung unseres Volkes sein dürfen. Wie solche Ausdrücke in diese Begründung kommen, ist uns tatsächlich ein Rätsel. Mit aller Entschiedenheit weisen wir solche Worte zurück. Der Sprechende war zwar von allem Anfang an ein entschiedner Gegner des Nationalsozialismus, weil er fühlte, dass dieses System das grosse deutsche Volk über kurz oder lang nur in den Abgrund führen würde. Der Nationalsozialismus hat zwar den heimattreuen Liechtensteinern das Leben jahrelang recht sauer gemacht und trotzdem hat man nicht hassen gelernt. Die erfolgten Wegweisungen sind kein Ausfluss des Hasses, nein sie gehören, wie schon des langen ausgeführt, zu den dringend notwendigen Staatsaufgaben. Wir wissen, dass die Gegner der Wegweisungen ins Feld führen, dass diese Massnahmen eine Belastung für die späteren Beziehungen zu Deutschland sein könnten. Dem möchten wir entgegenhalten, dass das richtig wäre, wenn die nat.soz. Hydra ihr Haupt wieder erheben könnte. Dass dies aber nicht mehr erfolgt, dafür wird das deutsche Volk selber Sorge tragen, von den Alliierten ganz zu schweigen. Das kommende demokratische Deutschland wird uns dankbar sein, wenn wir hier kein Nazireduit aufkommen liessen und die hiesigen Führer zum Umlernen und Wiederaufbau nach Deutschland schickten. Wir glauben nicht, dass es notwendig ist, darauf hinzuweisen, dass niemand des Landes verwiesen, nur weil er Deutscher war.
Abg. Kindle stellt fest, dass die Interpellation an die Regierung gerichtet war und nicht an Herrn Regierungschef persönlich. Die heutige Erklärung sei eine private Ansicht des Herrn Regierungschefs und soviel er wisse, sei das Regierungskollegium vom Inhalte dieser Beantwortung nicht in Kenntnis gesetzt worden. Ferner fügte er bei, dass trotz der heutigen Erklärung er der Auffassung sei, dass Ungerechtes passiert sei. In der Regierungserklärung habe es nur von einer Säuberung von staatsfeindlichen Elementen geheissen. Er müsse feststellen, dass verschiedentlich weiter gegangen worden sei, dass in verschiedenen Schweizerkantonen.
Regierungschef Frick führt aus, dass nach Art. 63 der Verfassung der Regierungsvertreter verpflichtet sei, Interpellationen zu beantworten.
Der Präsident bemerkt, dass hier nicht so weit gegangen worden sei, wie in der Schweiz. Dort seien sogar alle Pg. [Parteigenossen] ausgewiesen worden. Was bei uns gemacht worden sei, sei nur das, was unbedingt getan werden musste.
Abg. Kindle macht geltend, dass in der Schweiz verschiedene Härtefälle berücksichtigt worden seien.
Regierungschef Frick antwortet, dass seines Wissens die Verwaltungsbeschwerdeinstanz in ein oder 2 Fällen die Ausweisung als zu hart empfunden habe und den Rekurs geschützt habe. Aber Nachrichtendienstler, Parteifunktionäre, Provokateure, usw. fänden in der Schweiz unter gar keiner Bedingung eine Berücksichtigung, sondern solche, die lediglich Mitglied der Partei waren und sich weiter nicht politisch betätigten. Parteifunktionäre müssen schon auf Grund der von der Schweiz übernommenen Richtlinien ausgewiesen werden.