Fürst Franz Josef II. beantragt bei den deutschen Behörden, die fürstlichen Sammlungen nach Liechtenstein überführen zu dürfen


Eingabe von Fürst Franz Josef II. an die deutschen Behörden (Kopie) [1]

9.9.1944

Betrifft Sicherstellung des Kunstgutes des Fürsten Liechtenstein

I.

Antragsteller ist Fürst Franz Josef II. von Liechtenstein mit Wohnsitz in Vaduz. - Steuerlich hat Fürst Liechtenstein Doppelwohnsitz auch in Wien.

II.

Aus Luftgefährdungsgründen legt der Fürst Liechtenstein als Eigentümer und der liechtensteinische Staat grössten Wert darauf, beschleunigt für die Dauer des Krieges nachfolgende Kunstgegenstände nach Liechtenstein zu überführen und sicherzustellen.

Es handelt sich um zwei verschiedene Gruppen von Kunstsachen. Eine Gruppe hat mehr öffentlichen Charakter, die zweite Gruppe mehr privaten Charakter.

a) Die Gruppe öffentlichen Charakters

Es handelt sich um die bekannte Fürst-Liechtensteinische Gemäldegalerie in Wien. Sie umfasst cca. 2700 Bilder. Sie steht als geschlossene Sammlung auf der Reichsliste als ausfuhrverboten. Ausser den Bildern enthält die Sammlung noch Möbel, Fayencen, Miniaturen, Silber- und Goldarbeiten.

Specifizierte Liste nebst Werttaxe wird nachgereicht.

Anlässlich des im Jahre 1938 eingetretenen Erbfalles ist die Sammlung in den Jahren 1940 und 1941 geschätzt worden auf RM 4'000'000.-.

Wegen der Sicherstellung dieser Sammlung hat der Fürst im Juni 1944 bei dem Reichstatthalter in Wien, Herrn Baldur von Schirach, vorgesprochen. Der Statthalter hat sich mit der Sicherstellung in der mündlichen Verhandlung einverstanden erklärt unter der Voraussetzung, dass das zuständige Fachministerium zustimmt. Die Stelle für Denkmalschutz in Wien hat begreiflicherweise gegen die Überführung Bedenken geäussert. Bei einer Vorsprache vor etwa 14 Tagen im Reichsinnenministerium bei Herrn Ministerialrat von Wolf seitens des ältern Bruders des Fürsten [Karl Alfred] und des Vertreters der Regierung Liechtenstein, Herrn Regierungsrat [Alois] Vogt, wurden die Bedenken wiederholt. [2]

b) Die Gruppe privaten Charakters

Die Gruppe privaten Charakters steht nicht auf der Reichsliste. Sie zerfällt in folgenden Teile:

  1. Eine Kupferstichsammlung und moderne Handzeichnungen, bestehend aus 100'000 Blatt. Die Sammlung war nie öffentlich zugänglich. Sie war verteilt auf den privaten Schlossbesitzungen des Fürsten im Sudetengau und Niederdonau.
  2. Antike Möbel aus den vorerwähnten verschiedenen Schlössern und Wiener Palais des Fürsten. Hiezu kommen Vasen, Gobelins und alte Teppiche.
  3. Bilder aus den vorerwähnten verschiedenen Schlössern.
  4. Inkunabeln, Sonderdrucke, wertvolle Bücher und das Hausarchiv der fürstlichen Familie.

Listen über diese 4 Sammlungen nebst Werttaxen werden nachgereicht.

Der Gesamtwert der 4 Sammlungen beträgt etwa die Hälfte der Wertes der Gemäldegalerie, also RM 2'000'000.-.

Zu dem Transport würden benötigt für die Gemäldegalerie 4 - 5 Waggons à 15 To, für die Kupferstichsammlung 1 Waggon à 15 To, für die Möbel 3 Waggons à 15 To, für die Bilder 1 Waggon à 15 To, für die Bücher 1 Waggon à 15 To. Die Waggons würden notfalls von den Schweizerischen Bundesbahnen gestellt werden.

III.

Der Fürst als Eigentümer und der Staat Liechtenstein verfolgen mit vorstehendem Antrag nur den Zweck, diese für die Stadt Wien und das Deutsche Reich bedeutsamen Kunstschätze diesen alten Stätten zu erhalten. Es handelt sich ausnahmslos um alten Besitz. Zurzeit sind diese Werte an den verschiedensten Punkten der Ostmark untergebracht, hauptsächlich in Niederdonau, und keineswegs in einer Art und Weise, die ernste Sorgen um das Schicksal der Sammlungen ausschliessen könnte. Die Sammlungen würden auf den Besitz des Fürsten in Liechtenstein überführt.

Der Fürst und die Liechtensteinische Regierung sind bereit, jede gewünschte Garantie dafür zu geben, dass nach Beendigung des Krieges die Sammlung restlos an ihre alte Stelle zurückgeführt werden. Gedacht ist u.a. an einen besonderen Staatsvertrag, falls dies verlangt würde, etwa an ein Mitkontrollrecht der deutschen Gesandtschaft in Bern und eine laufende Kontrolle durch wiederholten Besuch seitens eines deutschen amtlichen Kunstsachverständigen. [3]

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[1] LI LA RF 226/069/005. Die Eingabe wurde verm. von Josef Steegmann verfasst. Die Kabinettskanzlei übermittelte der Regierung die vorliegende Abschrift mit Schreiben vom 10.9.1944 (LI LA RF 226/069/007).
[2] Die Vorsprache fand am 22.8.1944 statt (LI LA RF 226/069/001, 004).
[3] Auf der Grundlage dieser Eingabe wurde im Oktober 1944 eine Regelung getroffen, wonach Franz Josef II. die Kunstwerke der "Gruppe privaten Charakters" sowie einen Teil der Kunstwerke der "Gruppe öffentlichen Charakters" nach Liechtenstein ausführen durfte, während die wertvollsten Kunstwerke der "Gruppe öffentlichen Charakters" im Reich bleiben sollten. Zu den Verhandlungen im Oktober vgl. auch LI LA RF 226/069/016, 017.