Der Landtag debattiert über die Beziehungen zur Schweiz, insbesondere über die Abtretung des Ellhorns


Protokoll der Konferenzsitzung des Landtags, gez. David Strub und Fidel Brunhart [1]

12.11.1948

Präsident Strub begrüsst die Herren Abgeordneten und erwähnt, dass er die Herren Abgeordneten vor der öffentlichen Sitzung noch über die in der Ellhornangelegenheit stattgefundenen Verhandlungen [2] noch orientieren lassen möchte.

Abg. Brunhart Fidel bedingt sich aus, dass nur eine Orientierung stattfindet, sofern eine endgültige Verhandlung stattfinde, müsste noch ein zweiter Vertreter der Gemeinde Balzers dabei sein.

Regierungschef [Alexander] Frick teilt mit, dass die Delegation durch Forstmeister [Eugen] Bühler und Peter Vogt von Balzers verstärkt wurde. Sie hätten der schweizerischen Vertretung vorgeschlagen, dass sie sich nur auf das Ellhorn beschränken sollen. Die Schweiz werde sich nun mit 38 anstatt 70 Hektaren begnügen; es handle sich somit nur um einen Bodentausch. Das Land welches Balzers bekommt, ist grossenteils gründiger Pflanzboden, während der Boden auf und um das Ellhorn grösstenteils sehr flachgründig ist. Somit geht also der Gemeinde Balzers an Bodenwert nichts ab. Dies ist das wesentlichste Ergebnis des ersten Tages. Am anderen Tage wurde über Grenzschutz und andere Fragen gesprochen, er sei jedoch nicht so gut im Bilde, da er an diesem Tage dringend nach Hause gerufen wurde.

Präsident Strub gibt bekannt, dass die Schweiz hinsichtlich Grenzschutz wie im Jahre 1945 das Grenzwachtkorps verstärken würde. Sie müssten dies allerdings unter dem Titel Grenzwachtkorps tun. Die Vorschläge über die Evakuierung seien ziemlich lose und zu wenig konkret gewesen. Er liest den diesbezüglichen Vorschlag vor. Die liechtensteinische Delegation hätte konkrete Vorschläge verlangt und habe betont, dass man dies der Bevölkerung schuldig sei. Die schweizerische Delegation habe betont, dass dies für sie eine sehr heikle Frage sei. Sie würden durch ein solches Abkommen mit unserem Land das Neutralitätsstatut verletzen. Die liechtensteinische Kommission habe in jeder Hinsicht gerade auf dieses Problem grossen Wert gelegt. Es sei ihnen jedoch nicht möglich gewesen, weitere Zusicherungen von der Schweizerischen Delegation zu erhalten. Diese habe darauf verwiesen, dass die Schweiz während des letzten Krieges den caritativen Aktionen ein besonderes Augenmerk geschenkt habe, so habe sie einmal auf einen Schlag die Bevölkerung einer französischen Stadt aufgenommen. Präsident Strub, Dr. [Alois] Ritter, Vizechef [Ferdinand] Nigg haben mit Minister [Alfred] Zehnder auch wegen Aufrechterhaltung des Zollvertrages gesprochen. Er selbst habe bei der Konferenz vorgeschlagen, dass die Dauer des Zollvertrages durch einen Zusatz zum Vertrag festzulegen. Die schweizerische Delegation habe jedoch zu bedenken gegeben, dass dieser zusätzliche Vertrag den Nationalrat passieren müsste und somit stark an die Öffentlichkeit treten würde. Die schweizerische Delegation habe dann den Gegenvorschlag gemacht, dass durch den Bundesrat durch eine Note bestätigt würde, dass die Schweiz an eine Kündigung des Zollvertrages vorläufig nicht denkt. Präsident Strub ist der Auffassung, dass die bundesrätliche Bestätigung mittels Note genügen würde und dass Liechtenstein andererseits darauf bedacht sein soll, hinsichtlich der Verbesserung der Beziehungen der Schweiz entgegenzukommen, wo dies möglich ist.

Vizepräsident Dr. Alois Ritter bestätigt die Ausführungen Strubs.

Präsident Strub führt weiter aus, dass auch die Schuld der 2,6 Millionen zur Sprache kam. Minister Zehnder habe empfohlen, diese Angelegenheit im Zuge dieser Verhandlungen zu erledigen, zugleich habe er der liechtensteinischen Delegation verschiedene Winke gegeben, so u.A. dass sie über eine Reduktion der Schuld mit sich sprechen lassen würden. Er habe gleichzeitig den Vorschlag gemacht, dass die liechtensteinische Delegation bei den Verhandlungen den Vorschlag unterbreiten solle, dass die Schuld auf Fr. 600'000.- auf 31.12.1948 reduziert werden solle, zahlbar in drei Jahresraten. Die liechtensteinische Kommission habe dann zuerst das Zurechtbestehen der Schuld überhaupt in Frage gestellt. Daraufhin habe man ihnen angedeutet, dass die Schweiz auch in der Lage wäre, uns über Verschiedenes Gegenrechnung zu stellen, z.B. über die diplomatische Vertretung. Bei einer privaten Besprechung sei man zur Ansicht gekommen, dass man nicht unter 800'000.- heruntergehen dürfte. Man müsse auf alle Fälle trachten, dass diese Fragen nicht vor das Finanzdepartement kommen. Man habe also Fr. 800'000.- vorgeschlagen, zahlbar in vier Jahresraten. Minister Zehnder habe dann unter den gegebenen Umständen zugebilligt.

Regierungschef Frick ergänzt noch, dass unabhängig von den allgemeinen Verhandlungen zwischen Forstmeister Bühler und Kommissär Stöckli Verhandlungen wegen der Balzner Feldschneise geführt wurden. Beizufügen wäre noch, dass der Steinbruch auch bei Balzers verbleibe.

Abg. Brunhart Fidel bemerkt, nachdem es sich hier um eine Orientierung handle, möchte er noch mitteilen, dass die Gemeinde Balzers diesen Beschlüssen niemals zustimmen könnte. Sofern der Landtag die Gemeinde Balzers verkaufen wolle, sei das seine Sache, aber die Gemeinde Balzers könne niemals zustimmen. Man erzähle in Balzers, dass ganz früher einmal die Landesgrenze auch weiter droben gelegen sei und man verfluche heute noch jene Leute, die eine Verschiebung der Grenze zu unseren Ungunsten bewilligt haben.

Präsident Strub frägt die anwesenden Kommissionsmitglieder, ob sich bei den Verhandlungen nicht die grösste Mühe gegeben hätte, die bestmöglichsten Resultate zu erzielen. Das Problem sei von der Schweiz nun einmal aufgeworfen worden und man müsse damit fertig werden.

Regierungschef Frick erklärt noch die Folge der Verhandlungen. Es sei äusserst wichtig, dass wir von der Schweiz betreffend Grenzschutz und Evakuation diese Zusicherungen erhalten haben. Man dürfe bei solchen Verhandlungen nicht mit kleinlichen finanziellen Forderungen kommen, wenn man nicht den ganzen Erfolg riskieren wolle, sondern man solle eher versuchen, daraus politisches Kapital zu schlagen. Man habe bei den gegenständlichen Verhandlungen das Notwendige verlangt, man sei aber auch der Ansicht gewesen, dass man genug verlangt habe.

Präsident Strub weist darauf hin, dass sich die Schweiz gegenüber Flüchtlingen immer grosszügig erwiesen habe und deshalb einer Beleidigung gleichkäme, von der Schweiz heute trotz der vorgebrachten Einwände einen diesbezüglichen Passus im Vertrag über das Ellhorn zu verlangen.

Vizepräsident Dr. Ritter stellt fest, dass die Schwierigkeiten der Schweiz, die eventuelle Evakuation in einen Staatsvertrag hineinzunehmen, verständlich seien. Man habe sich über diese Frage vorher zu wenig Rechenschaft abgelegt.

Abg. Brunhart Fidel ist voll überzeugt, dass nach Abtretung des Ellhorns sofort mit dem Bau der Bunker begonnen werde.

Präsident Strub ist der Überzeugung, dass im Falle einer Ablehnung Balzers noch mehr Schwierigkeiten hätte.

Abg. Kindle Florian bemerkt, wie man in den letzten Jahren gesehen habe, seien Verträge oft nicht viel mehr als ein Fetzen Papier. Es komme darauf an, dass die Vertragsparteien es wirklich ehrlich meinen. Er frägt an, ob die Kommission der Ansicht sei, dass die Beziehungen zwischen Liechtenstein und der Schweiz durch die Abtretung des Ellhorns wesentlich verbessert werden könnten. Gleichzeitig stellt er die Anfrage, wie Liechtenstein die Schuld von 800'000.- Fr. abzutragen habe.

Präsident Strub antwortet, dass dies mit einem separaten Staatsvertrag geregelt werde. Schon während des letzten Krieges habe man sich gesagt, dass man mit Gedeih und Verderb mit der Schweiz verbunden sei, man müsse dem auch Rechnung tragen.

Vizepräsident Dr. Ritter macht darauf aufmerksam, dass es damals für die Schweiz sicher nicht leicht gewesen sei, diesen Zollvertrag mit Liechtenstein Wirklichkeit werden zu lassen. Man sollte der Schweiz deshalb Entgegenkommen zeigen, schon aus dem einen Grunde auch, dass die Abtretung des Ellhorns für die Regierung in Zukunft eine gewisse moralische Reserve wäre.

Abg. Schädler Eugen kommt nochmals auf die Evakuierung zurück und schlägt vor, dass man spätestens zu dem Zeitpunkt evakuieren soll, wenn die Grenzwache zurückgezogen werde.

Vizepräsident Dr. Ritter erwähnt, dass eine Zwangsevakuierung nie in Frage kommen dürfte. Eine Evakuation hänge voll und ganz vom Willen des liechtensteinischen Volkes ab. Wir würden höchstens auf die Möglichkeiten aufmerksam gemacht. Am guten Willen der Schweiz könne nicht gezweifelt werden, schliesslich habe die Schweiz im letzten Kriege verschiedene grosse Aktionen durchgeführt, z.B. die Übernahme der ganzen Bevölkerung einer Stadt von ca. 30 - 40'000 Einwohnern.

Präsident Strub ist der Ansicht, dass es ohnehin schon viel versprochen, wenn die Schweiz gesagt habe, dass sie die liechtensteinische Bevölkerung genau wie die schweizerische Bevölkerung in gleicher oder ähnlicher Lage behandeln werde.

Abg. Sele Josef erklärt, dass er mit dem Herz bei den Balznern sei, verstandesgemäss sehe die Sache anders aus. Seiner Ansicht nach sei halt doch ein Handel dabei. Die Schweiz habe ihre Neutralität immer betont und habe immer gesagt, dass sie niemals Gebietsansprüche machen werde. Eine seinerzeitige Besetzungsmacht würde uns dann unweigerlich diese Gebietsabtretung oder diesen Tausch zum Vorwurfe machen.

Vizepräsident Dr. Ritter betont, dass die Schweiz ein neutralisierter Staat sei und Liechtenstein nicht. Darum könne uns wegen einer Gebietsabtretung niemand einen Vorwurf machen, weil das Land dadurch völkerrechtlich keinen Fehler begehe. Eventuelle Repressalien durch eine gegnerische Macht müsse man eben in Kauf nehmen, das Hemd liege uns schliesslich doch näher als der Rock. Wenn wir der Schweiz das Ellhorn verweigern, haben wir heute schon Nachteile, dass eine Zusammenarbeit fast unerträglich würde. Es bleibe uns heute keine andere Möglichkeit als dem Wunsche der Schweiz stattzugeben.

Kindle Florian ist der Auffassung, dass man sich vorher mit den Balznern irgendwie verständigen könnte. Die Balzner dürfen diese Angelegenheit heute nicht mehr nur von ihrem Gesichtswinkel aus betrachten, sondern man müsse für das ganze Land denken und wirklich objektiv sein.

Regierungschef Frick gibt einen kurzen Überblick über die letzte Aufklärungsversammlung in Balzers und erwähnt dass Balzers sich doch eher dazu entschliessen könne, nicht mehr gar zuviel Opposition zu machen, nachdem die Gemeinde doch gleichviel und qualitativ besseren Boden erhalte, als sie hergebe. Man verlange von den Balznern schliesslich keine direkte Zustimmung. Man könne jedoch nicht das Gedeih und Verderb des Landes von der Gemeinde Balzers abhängig machen, Fürst, Landtag und die Regierung hätten die Verantwortung für die Weiterentwicklung im Lande. Diese sei aber im Falle einer Verweigerung aufs Äusserste gefährdet.

Präsident Strub wünscht, dass er heute schon hören könnte, was die Balzner kurze Zeit nach der Trennung von der Schweiz sagen würden. Jedenfalls wüssten sie auch nichts besseres zu tun, als die Schuld der Regierung und dem Landtag in die Schuhe zu schieben.

Vizepräsident Dr. Ritter ist der gleichen Ansicht über die liechtensteinische Arbeiterschaft, die dann schliesslich doch grosse Arbeitsmöglichkeiten verlieren würde.

Abg. Brunhart Fidel erwidert, dass man von den Balznern keine Zustimmung verlangen könne.

Regierungschef Frick schlägt vor, dass man das weitere Vorgehen festlegen wolle. Man könnte Balzers einen gewissen Betrag offerieren, über diese sollte allerdings in einer Gemeindeversammlung gesprochen werden können. Selbstverständlich könne man die Balzner auch damit nicht dazu veranlassen, dass sie der ganzen Sache bestimmen, aber sie sollen wenigstens einigermassen zufrieden sein.

Vizepräsident Dr. Alois Ritter erklärt, dass es eine moralische Verpflichtung des Landes sei, die Gemeinde Balzers in generöser Weise zu entschädigen.

Präsident Strub bestätigt, dass er auch dieser Ansicht ist und auch die ganze Delegation. Andererseits sollte man von Balzers verlangen können, dass es auch eine gewisse Vernunft walten lasse.

Abg. Sele Josef schlägt vor, dass man mit Balzers noch einmal sprechen soll, damit der Landtag nicht gegen eine ganze Gemeinde entscheiden müsse.

Abg. Brundhart Fidel erwähnt, dass die Schätzung des abzutretenden Bodens sehr wahrscheinlich sehr niedrig sei, derselbe würde auf alle Fälle bedeutend mehr gelten, wenn er öffentlich verkauft würde.

Abg. Schädler Eugen macht noch auf die fremdenpolizeilichen Beziehungen aufmerksam.

Regierungschef Frick ist der Auffassung, dass die Fremdenpolizei bei diesen Verhandlungen aus dem Spiel gelassen werden sollen, um nicht die Atmosphäre zu vergiften und für Liechtenstein vielleicht unangenehme Probleme auf den Plan zu rufen.

Abg. Kindle Florian frägt sich, ob es nicht gut wäre, wenn sich die Kommission einmal mit dem Balzner Gemeinderat zusammensetzen würde.

Regierungschef Frick ist überzeugt, dass sich die Balzner Gemeindevertretung im Klaren ist, welche Verhältnisse sich bei einer ablehnenden Haltung in der Ellhornfrage entwickeln würden. Vor der Durchführung einer weiteren Gemeindeversammlung müssten jedenfalls genaue Unterlagen vorliegen.

Präsident Strub ist ebenfalls der Ansicht, dass die Gemeindevertretung die gegebene Instanz für die Festlegung der Bedingungen und für weitere Verhandlung sei.

Abg. Brunhart Fidel teilt mit, dass die Gemeindevertretung mit der Regierung und dem Landtag nicht verhandeln könne, wenn die Gemeindeversammlung nicht einverstanden sei.

Abg. Hoop Franz stellt fest, dass irgendein Abschluss schliesslich doch mit der Gemeindevertretung und nicht mit der Gemeindeversammlung gemacht werden müsse. Wenn es so nicht gehe, solle Balzers eben einen verstärkten Gemeinderat wählen.

Abg. Kindle Florian bemerkt, genau wie der Landtag das Land zu vertreten habe, müsse der Balzner Gemeinderat seine Gemeinde vertreten und einen Standpunkt abgeben.

Präsident Strub macht den Vorschlag, dass bei der Wahlversammlung nochmals die Behandlung der Ellhornfrage stattfinden könnte. Gleichzeitig solle auch die Wahl des verstärkten Gemeinderates vorgenommen werden.

Abg. Hoop Franz erwähnt noch, dass es Aufgabe eines Vorstehers sei, nicht nur die Schattenseiten, sondern auch die Vorzüge einer Sache zu beleuchten.

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[1] LI LA LTP 1948/143.
[2] Vgl. LI LA RF 250/072/019.