Ferdinand Marock an seinen Bruder Wilhelm Marock über die despotische Amtsführung des liechtensteinischen Landesverwesers Karl von In der Maur, die Vernachlässigung des erkrankten Johann Mündle durch seine Familie, den Vorwurf des Schadenzaubers gegen Andreas Welte sowie die Auswanderung des Franz Josef Mündle


Handschriftliches Originalschreiben [Fragment] des Ferdinand Marock, Mauren, an seinen Bruder Wilhelm Marock in Indiana [1]

29.03.1897, Mauren

Lieber Bruder!

Gestern habe ich Dein Schreiben erhalten u. 2 Tage
früher die Zeitung vom 4 März, wo Deine Täu-
schungsreise nach Europa den Anfang genommen
hat. Nach dem Brief muss [2] die Geschichte sehr
spanend werden. Ich muss Dir gleich vom Anfang
noch bemerken das Du mir nicht zu vil und
anzügliches über Cabinetsrath v. I. d. M. [Karl von In der Maur]
schreibst oder wenigstens so falls es ihm zu
Ohren kämme ich unbeheligt durch komme. Den
dieser Quälgeist ist nach dem Tode dess […] [3]
Stellwag [Friedrich Stellwag von Carion] [4] wider von Wien zurück gekommen
u. leitet die Regierungszügel [5] wahrhaftig
despotisch [6] welches mir unter Umständen
sehr unangenehme Stunden bereiten
könnte. Geschichte dess Seep Mündli [Franz Josef Mündle] [7]
Laut Deinem Brief vom 9 März ist Dir
die Biografie dess J. Mündli von mitte Juli
1866 bekannt. Wenn ich als Mooto vom weisen
Sirach aus der h. Schrift die Worte wähle der
da spricht: „Der Vater Segen baut den Kinder
Häuser; der Mutter fluch aber zerstört sie vom
Grunde.“ [8] 
so wirdst Du mir beipflichten, wen ich im
Stande wäre jede Begebenheit dess J. Mündli
zu schildern welche er nahmenlich an seinem
braven Vater [Johann Mündle] versündiget hat, zu sühnen
hate bis er betel arm war. Der Vater
dess J. Mündli war ein braver, spaarsamer
Man, vom Jahr 1867 an hatte er ein
sehr schmerz haftes Fussleiden welches
in die sogn. nassen Flechten [9] aus artete.
Grund dieser Krankheit wurde er
ganz Arbeitsunfähig, was zur folge
hatte, das er von seinem Weib [Maria Mündle [-Ritter]], Sohn u.
Tochter [Katharina Hundertpfund [-Mündle]] in Bestiallischer Weise behandelt
wurde. Da sie sämtliche furcht bar Hab-
süchtig u. Geizig waren, jede ärztliche
Hülfe von vornenherein zurück hilten.
In dieser grenzenlosen Lage beklagte
sich der arme Mann natürlich zu den
Nachbarn und Anverwandten, um diesen
lästigen Plauscherei los zu werden
wolte ihm seine Tochter das unerhörte,
die Zunge heraus schneiden. Der alte
Mündli hatte ein grosses Zutrauen [10]
zu Murmelthierhäute, welche er von
meinem Vater [Jakob Marock] unentgeldlich erhilt zur
Linderung seiner wunden Füssen.
eines schönen Morgen rieb ihm seine Frau
u. Seep das Fehl od. Haut samt dem eckelhaften
Eiter im Gesicht herum. Der alte Mann war
nun genöthig ein Logie welches mehr zart-
Gefühl für ihn entpfand, welches er auch
in der Zoolerischen Wirtschaft im Schanwald
fand. Von da an ging die Haushaltung des
Mündli rapit den Krebsgang, man arbeitete
wenig, vernachlässig den Vihstand auf das
grausamste, prozessirte den alten mit
Advokaten, schlisslich rückte noch der dumme
Aberglauben ein es sei alles verhext
im Stalle, der Nachbar Andreas Welte
melke ihnen ihm verhexten Zustande
die Kühe. In ihrer Tollheit liefen sie
zum Quaksalber Baierli nach Tosters,
welcher gleich das sensationelle Retzept
verschrib, sie müssen sofort alle Milch in einem
Gusskessel melken u. dann zum sieden
bringen u. so lange feuren u. sieden
bis alle Milch verdunstet, sei während dem [11]
aber eine Figur welches den A. Welte vor-
stellen müsste mit einer 3 zackigen Hasslen-
ruthe so lange bhütig schlag, als die Milch auf-
gesotten sei; zum Glücke explodirte der
Hexenkessel in Stücken bevor Welte lahm
geschlagen war. Dieses wurde natürlich bei
Gericht von Welte anhängig gemacht, welches
mit einigen Tagen Arest zum Nachdenken
geahnt wurde. Mit einer Brautwerbung
für Seep in Mauren u. Umgebung war keine
Rede mehr selbst bei ganz unbemittelten
Mädchen, auf solche Tollheiten hin, überal
bekam er einen Korb. In dieser verdrisslichen
Lage verkauft er sein sämmliches schönes
Anwesen im Jahr 1872 welches er von seinem
Vater ano 1870 erbte, u. reisste wie auch
seine Mutter mit 11‘000 fl. [Gulden] baar Geld
nach Abwil bei St. Gallen. Als Mündli
im lieben freien Schweizerlande war
glaubte er einen Haupttreffer zu
machen in seiner Brautwerbung, allein
die Schweizerinnen waren auch nicht
auf den Kopf gefallen, es ging ihm
wie in Lichtenstein. [12]

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[1] US PA Delph Donna. Brief in Kurrentschrift. Nicht unterzeichnet. Handschrift des Ferdinand Marock.
[2] Ursprüngliche Fassung: „muẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[3] Beschädigung im Briefpapier.
[4] † 24.10.1896.
[5] Karl von In der Maur war 1892-1896 fürstlicher Kabinettsrat in der liechtensteinischen Hofkanzlei in Wien. 1884-1892 und erneut 1896-1913 war er Landesverweser in Vaduz.
[6] In lateinischer Schrift. Im Folgenden kursiv gesetzt.
[7] Fett geschrieben.
[8] Seitenwechsel.
[9] Hautkrankheit.
[10] Seitenwechsel.
[11] Seitenwechsel.
[12] Der Brief bricht hier ab.