David Bühler an Wilhelm Marock über seinen bisherigen Lebenslauf als Buchhalter und Geschäftsagent, die Heirat mit Wilhelmine Bühler [-Marock], die Veränderung der landwirtschaftlichen Verhältnisse in Liechtenstein sowie das Theologiestudium seines Schwagers Urban Marock am bischöflichen Seminar in Chur


Handschriftliches Originalschreiben des David Bühler, Mauren, an Wilhelm Marock, Hammond (Indiana) [1]

16.06.1899, Mauren

Werther Herr Marok!

Meine schon längst gehegte Absicht zu verwirklichen
greife ich zur Feder um Ihnen diess [2] Schreiben zu über-
mitteln u. wird es Ihnen jedenfalls auffallend
vorkommen, von so unbekannter Hand von Mauren
zu lesen. Fahre desshalb nach dem alten Gebrauch
indem ich mich Ihnen zuerst vorstelle:

Mein Name ist David Bühler [3]. Mein Vater heisst Johann
Georg Bühler
[4]. Meine Mutter sel. (sie ist schon bei meiner
Geburt gestorben) hiess Magdalena geb. Alber [5] [6]. Ich halte
es fürs beste, unsere Familiengeschichte einigermassen
zu erröttern, da Sie sich dann einen besseren Begriff von
meiner Wenigkeit machen können.

Mit meinem 18. Jahre verliess ich meine Heimatgemeinde,
besuchte während 3 Semester eine Handelsschule in Bregenz,
war nachher Buchhalter in 2 grösseren Brauereien u. zw. in
Dornbirn [7] u. Laa a. d. Thaya Nied. [8] Österr. Mit meinem 23. Jahre
erfuhr ich zum erstenmal die Adresse, von meinem bisher
abwesenden Vater den ich bis dahin persönlich noch nicht kannte.
Er war in Niederösterreich, hatte als Caissonmeister [9] bei grossen
Wasserbauten ganz Europa u. ein Theil Asiens bereisst u.
besass vortreffliche Dokumente. Nachdem ich mich wieder auf
eine Zeit in Mauren ansiedelte, schloss ich die Bekannt-
schaft einer Tochter [Wilhelmine Bühler [-Marock]] von Ihrem Bruder Andreas [Marock] [10] mit welcher
ich mich am 16. Novemb. 1896 verheirathete.

Nun sah ich mich bald gezwungen ein eigenes
Nest zu gründen, denn ich sah diess nicht zum Voraus
wie die Vögel, welche Platz machen bevor sie Eier legen u. baute
vergangenen Sommer im Ziel [11] ein Haus.

Nun versehe ich die Stelle eines Geschäftsagenten u. treibe
nebenher noch etwas Ökonomie. [12]

Meine Familie hat sich nun um zwei Glieder erschwungen
u. zwar einen männlichen Erben /: Oswald [Bühler] :/ u. einen weiblichen
/: Olga [Bühler] :/ das h. wenn etwas zu erben ist.

Nun leben wir bis jetzt gesund u. zufrieden u. hoffen
dabei stets auf bessere Zeiten.

Doch, um Ihnen mit meiner Lebensgeschichte nicht
zu langweilen, will ich auf ein anderes Thema [13] fallen.

Da ich mich nun auch zur Verwandschaft der Marok
zähle, wurde ich mit Ihrem Bruder Ferdinand [Marock] [14] besser bekannt,
welcher mir schon öfter von Ihnen erzählte u. mich hie u. da Ihre
werten Briefe lesen liess. Diess bewog mich, einmal selbst an Sie
zu schreiben u. bitte deshalb zu entschuldigen.

Es sind nun viele Jahre verstrichen, seit Sie Ihre Heimath
verlassen [15] u. wie vieles hat sich seither verändert. Ich glaube,
wenn Sie einen Blik nach Liechtenstein tun könnten, würden
Sie sich kaum mehr auskennen. Auch die Bodenverhältnisse haben
sich in den zwei letzten Jahrzehnten ganz anders gestaltet. So z. B.
die Weinreben ausgerissen, das Strohkorn verdrängt, u. der Heu-
wachs vermehrt. Die Viehzucht u. Schweinemasterei hat sich wirklich
sehr gehoben. Übrigens ist es zum Staunen, wie viele neuer
Häuser in letzter Zeit gebaut wurden. Mit einzelnen
Neuigkeiten wird Ihnen wahrscheinlich Bruder Ferdinand [16] auf-
warten u. so viel ich weiss lesen Sie auch die Liechtenst. Zeitung [17].

Mein Schwager Urban [Marock], Ihr Neffe, ist tüchtig im Studium,
besucht nun schon als Theolog [18] das bisch. Seminar [19] in Chur [20]. Der Urban
ist wirklich ein wakerer Mann. Sein Sinnen scheint ganz
nach dem gewählten Berufe zu passen u. um Politik kümmert
er sich nur, wenn es die Anstände dringend erfordern.
Noch kurze Zeit u. er wird das Honeur [21] haben seine erste h. Messe
dem Höchsten zu opfern. [22] Diess wird ein Ehrentag für Urban
u. ein grosser Freudentag für seine Eltern u. Geschwister ja wirklich
für die ganze Verwandschaft werden. Sozusagen freute sich die
ganze Gemeinde auf das Glück unseres Urban. Wie oft
ist schon in unserm Kreise die Rede gefallen: „Ach wenn nur unser
Wilhelm aus Amerika [23] uns zu diesem schönen Feste besuchen könnte.“
Der Andreas [24] Ihr Bruder hat schon huntertmal gesagt: „Ich möchte
nur noch einmal, einige Abende mit dem Wilhelm verplaudern
mit dem ich mich in meiner Jugend so oft gebalgt habe.“
Und Ihre liebe Mutter [Genofeva Marock [-Meier]] bekömmt stets eine stille Wehmuth, wenn
der Ferdinand einen Brief von Ihnen vorliest. Ihre Gedanken
sind dem gefurchten Gesichte deutlich abzulesen. [25]

Doch es ist leicht zu begreifen, dass es Ihnen bei der zahl-
reichen Familie nicht leicht zuzumuthen ist, diese Reise zu unter-
nehmen um Ihren Geburtsort heimzusuchen. Zwar sind mir na-
türlich Ihre Verhältnisse diessbezüglich nicht bekannt.

Nun so lang man lebt, hofft man u. es ist schon mancher
stille Wunsch ganz unerwartet in die schönste Erfüllung gegangen.

Zu meinem Schlusse möchte ich noch eine Bitte an Sie stellen.
Es interresirt mich nämlich sehr, welches eigentlich Ihr Beruf ist,
in dem Lande, wo Milch u. Honig fliesst, dass Sie schon Redacteur [26]
einiger Zeitungen [27] waren, weiss ich von Ferdinand [28], weiter aber nichts.

Ferner wird es mich sehr freuen, u. werde mich Ihnen
dankend verpflichen, wenn Sie so freundlich sind, mir eine
baldige Antwort auf diese paar Zeilen zu senden.

Ich begrüsse Sie bestens
u. zeichne ergebenst
mit einem herzlichen Grusse von
Ihrer Nichte Mina

David Bühler [29]

______________

[1] LI PA Marco Bühler. Brief in Kurrentschrift. Blauer Geschäftsstempel am linken Briefkopf: „David Bühler Geschäftsagent Mauren Fürstenthum Liechtenstein“.
[2] Ursprüngliche Fassung: „dieẞ“. Das Eszett wird im Folgend zu „ss“ umgewandelt.
[3] In lateinischer Schrift.
[4] In lateinischer Schrift.
[5] In lateinischer Schrift.
[6] Vgl. dagegen Familienstammbuch Mauren, Bd. 1, S. 40, 43 und 105: Dort ist die Rede von Maria geb. Kieber (Maria Magdalena Bühler [-Kieber]).
[7] In lateinischer Schrift.
[8] In lateinischer Schrift.
[9] Caisson: Kasten, der als Fundament oder als Arbeitsraum unter der Wasseroberfläche versenkt wird.
[10] In lateinischer Schrift.
[11] „Zil“: Wiesen, Häuser u. Strasse in Mauren unter dem Dorf, zwischen Gopfaböchel und Purtscher. Vgl. Hans Stricker: Liechtensteiner Namenbuch, Bd. 3, S. 525.
[12] Seitenwechsel.
[13] In lateinischer Schrift.
[14] In lateinischer Schrift.
[15] 1865.
[16] In lateinischer Schrift.
[17] Liechtensteiner Volksblatt.
[18] In lateinischer Schrift.
[19] In lateinischer Schrift.
[20] In lateinischer Schrift.
[21] In lateinischer Schrift.
[22] Primiz in Mauren am 4.8.1901.
[23] In lateinischer Schrift.
[24] In lateinischer Schrift.
[25] Seitenwechsel.
[26] In lateinischer Schrift.
[27] So beim Indianapolis Star.
[28] In lateinischer Schrift.
[29] In lateinischer Schrift.