Katharina Brendle an Balbina Gstöhl über die uneheliche Geburt eines Neffen, Eheschliessungen und Todesfälle in Eschen und Ruggell, den Verkauf der Stickmaschine und einen darauf folgenden Gerichtsprozess, den wiederholten Brandschaden bei Hans Thöni in Eschen sowie die Vakanz der Pfarrerstelle in Ruggell


Handschriftliches Originalschreiben (Fragmente) der Katharina Brendle (Maria Katharina Gerner [-Brendle]) an ihre Firmpatin Balbina Gstöhl (Maria Balbina Öhri [-Gstöhl]), Spencer (Nebraska) [1]

o.D. (Januar 1902), o.O.

Inigstgeliebte Firmpathin!

Bei der Jahreswende fühle ich mich ver-
pflichtet, Euch geliebte [2] Pathin meine herzlichsten
Glück- u. Segenwünsche zuzusenden, mit der Bitte
an den lb. Gott er wolle Euch u. Eurer Familie auch
künftig hin Glück, Heil u. Segen, Gesundheit u.
ein langes Leben verleih’n, das gleiche wünschen Euch
auch meine lb. Eltern u. Schwestern. Was unsere
Familie anbetrifft sind wir gottlob alle gesund,
jedoch hat uns verflossenes Jahr (wie Euch vieleicht
schon bekannt ist) viel unschickliches gebracht.
Es wurde nämlich der Emilie [Emilia Kaufmann [-Brendle]] ein unehliches Kind
geboren mit Namen Josef im Mai. Wir haben
es erst um neu Jahr erfahren, den der Adam war
über diese Zeit droben u. brachte uns diese
traurige Nachricht, könnt Ihr Euch denken unser
Schmerz wurde nicht minder Erst der Vater [Josef Brendle sen.] zu
Tod krank, dann der Bruder [Josef Brendle jun.] gestorben u. jetzt noch
zur grössten Trauer [3] noch die grösste [4] Schande
für die ganze Familie. Binnen 6 Wochen haben wir dies [5]
Alles mit erleben müssen, es ist gewiss übrig genug
mehr hätte nicht mehr kommen können. Es ist
uns Allen fast der Untergang gewesen jetzt
geht es wieder besser. Wir müssen uns jetzt
halt selbst aufmuntern u. denken, glücklich
ist wer das vergiesst, was einmal nicht 
zu ändern ist. Ich bin über Allerheiligen
auch daheim gewesen: Ihr könnte Euch nicht
vorstellen wie schwer es mir fiel Heim zu
reisen, (worauf ich mich sonst immer freute)
es sieht jetzt [6] so öd u. leer aus, man ist
so ein leeres Haus gar nicht gewöhnt.
Josefa [Maria Josefa Dredla [-Brendle]] hat jetzt auch geheiratet mit einem
Niederöstreicher [Augustin Dredla] von St. Florian im Bezirk
Linz [7], sie haben die Hochzeitsreise dorthin
u. hat ihr auch recht gut gefallen, aber
hoffentlich wird sie für geldend nie dorthin
müssen sonst kämen wir ja nie mehr
zusamen, den das wäre zuweit zum Be-
suchen, die Fahrt kostet für eine Person 24 fl.
Jetzt sind sie in Schaan er ist Schneider u. so
ihnen Gott die Gesundheit schenkt, können
sie ihr Fortkommen schon finden wir hoffen
das Beste. Es kommt ja doch Alles wie Gott will. [8]
Die Stickmaschiene haben wir jetzt Gott sei
Dank verkauft. Wari Jokobes haben sie
gekauft für den Karl [Marxer] für 1200 Fr. wir haben
jetzt halt 150 Fr. verlieren müssen, aber wir
wollen zufrieden sein die Zeiten sind
jetzt sehr schlecht. Die Maschiene haben wir
den ganzen Sommer nicht mehr beim
Hoop er hat mit Ihnen Streit angefangen
es ist Euch ja schon bekannt dass die Hoopen
nicht anders können. Die Unsrigen haben
zuerst am Schnetzer von Sulz gestickt. Jetzt
3 Monate nachher als sie ihm nicht mehr
arbeiteten schickte er ihnen einen Abzugs
zettel von 50 Fr. nebst einem Brief, wenn
sie ihm wieder sticken lasse er die Hälfte
vom Abzug nach, darauf haben sie ihn
ausgehudelt [9] wie es geht, der Hoop wollte
ihn [10] verdeitigen, da sagte ihm
Josefa er solle nur still sein sie helfen
zusammen wir haben ihm auch für den Fr.
50 kr. geben müssen, den Unsere haben
das Geld vom Schnetzer u. dieser sagte, Ersterer
habe gesagt er wolle Gulden u. nicht Franken
u. dazu 50 kr. sonst haben sie ja mit Fr. gehandelt [11]
Der Vater wollte damals den Streit verhüten
u. hat es ihm so gegeben obschon es uns
über 50 fl. mehr zuzahlen getroffen hat.
Der Hoop war sofort zum Schnetzer u. hat ihm
Alles überbracht nachher hatten sie eine Klage
eingelegt u. es gab eine Tagfahrt. Da kam
der Schnetzer mit seinen Büchern worin
er geschrieben hatte, dass sie ihm nur 47 kr.
gegeben haben das ist ja eine Schlechtigkeit
ohne gleichen da mussten unsere mit
göttlicher Wahrheit hinunter sie haben vom
Schnetzer nichts Schriftliches verlangt sie [12]
glaubten nicht, dass wen sie 50 kr. bezahlen
ins Buch nur 47 kr. geschrieben werde aber
zu so etwas sind beide fähig. Den Abzug
mussten sie nicht bezahlen, den diesen hatte
er selbst gemacht. Der Hoop wollte Alles sagen
was Josefa von ihm (dem Schnetzer nähmlich
gesagt habe
worauf ihn der Landrichter sofort hies still
sein. Aber zuletzt wendete er doch noch etwas
ein! Josefa habe ihn geheissen in Arsch
lecken, worauf der Landrichter [13] lachte
es sei dies blos eine freundliche Einladung
u. somit war der Streit aus  u. sie konnten nach
Hause. [14]

(…) [15]

Am Hans Thöni [Johann Peter Thöni] ist im Herbst wieder der Stall
abgebrannt. Er lebt arg im Unfrieden mit seiner
Frau [Maria Aloisia Thöni [-Grissemann]] er prügelt sie öfters durch er hat auch schon
4 Buben [Wilhelm, Johann Baptist, Peter Paul, Gebhard Rudolf]. Irgli Becke Luis ist auch in der Hof-
nung man sagt vom Rittli Hans. Er hatte eine
reiche Dostnerin zur Liebste u. am Heimweg
habe er immer noch bei der Luisa eingekehrt
um 1 od. 2 Uhr in der Nacht die Thür war ihm
stets offen. Eines Tages habe sie s’Bekli zu Ritterlis
geschickt, er solle den Hans zum Metzgen fragen
u. zugleich den Zuber bringen, als er aber
dahin kam wurde es ihm mitgeteilt wie
es stehe u. der Hans sei unschuldig u. s’Beckli
merkte es nicht dass der Hans schon durchge-
brennt war, es hiess nur er komme nicht. nachher
habe s’Beckli dem Festli Adelbert erzählt. Bini
Hom ha Tisch [16] ihi pumpt, ha set dammte
Huar, du mi noch schicka Ritterli ufi
schlechte Huar u. hanra d Schüssla z semma
geschlacha i henra set was sei sie. Jetzt Ritters
sagen schon sie wissens nichts von ihm es
glaubts ihnen niemand u. d Le habe gesagt
sie sähe lieber 3 hinaustragen auf den Friedhof als
den jetzt so in der Welt draussen, aber ich glaube die [17]
würde die Augen noch anders öffnen, wenn
der lb. Herr Gott grad 3 holte. Der Wari Rochus [Rochus Marxer]
ist 5 Jahre zu ihr gelaufen, aber jetzt schon 1 ½
Jahr nicht mehr u. als sie erfuhr, dass er wo-
anders gehe wünschte sie Ihm Alles Böse u.
eine Armuth soll er haben u. soviel Kinder
bekommen, dass ob der Hausthür stehen soll,
nichts als Noth u. Elend jetzt ist er doch erlöst.
Und manga Michls Paulina hat auch so herunter
gelassen es laufen all 16 u. 17 jährigen Büblein
zu ihr sie sagte sie wolle jetzt mit jungen
anfangen einen Alten hab‘ sie jetzt lang
genug gehabt Der lenjokli Buab habe an einem
Sonntage 6 fl mit ihr gebraucht. Waris Luis [Maria Aloisia Marxer] ist
immer noch ledig, sie wartet auf’n Ritterli Hans
zuletzt nehme er den doch noch sie, o Trost?
Ich wüsste so noch vieles aber ich würde ja gar
nicht fertig es wird Euch lb. Pathin wohl nicht
alles neu sein. Wie geht es Eurem Gemahl [Ulrich Öhri]
u. Kindern. Ich hatte schon lange einmal ein-
nen so herrlichen Traum. Als ich eines Tages
nach Hause kam, (eben bei der Bertha in
Rorschach) sprangen 3 wackere rothwangige Knaben
in der Stube herum u. Bertha rief mir [18]
entgegen. Kum gschwind gschwind Gotha us
Amerika u. ich weinte vor Freude u. am
Morgen meinte ich müsse Euch nur sehen
es könne nicht anders sein, jetzt wen es in
wirklichkeit nicht sein kan, dass ich Euch sehe
so gönnt mit die Freude u. schicket mir
Eure Familienphotografie ich gebe das bet-
teln nicht auf bis es Euch verleidet. Es ver-
geht keinen Tag dass ich nicht an Euch denke
Die Briefe kann ich Alle auswendig u. denke
immer. Kann das sein dass des meine Gotha ge-
schrieben u. du sollst sie nie mehr sehen, ich
hoffe immer auf ein Wiedersehen, ja es kann
nicht anders sein. Dem Ulrich könnt Ihr sagen,
dass die Ruggeller noch immer im Kehlersfeld
leuten die Ehre wird ihm schon noch zu teil ein-
mal dorten zu leuten wenn er den heraus kommt.
Die Ruggeller sind jetzt vom Februar bis 19. Dez. [1901]
ohne Geistlichen gewesen u. hatten selten an
einem Sonntage Gottesdienst sie mussten
immer aufs Läuten warten u. um 8 Uhr
wüssten sie manchmal noch nichts u. so ver-
sämten sie in anderen Gemeinden den Gottesdienst.
ja es war wirklich traurig, der Pfarrer J. Biderman [Johann Evangelist Biedermann] [19]
[20] in Amerika ich kann den Ort nicht grad angeben
ich weis es nicht der Adolf ist auch eingesperrt
Neffa Lehrer od. Wilh. Büchel ist auch wieder gekommen
aus Amerika er war auch wegen Unfrieden
in der Familie hinein u. vor er wieder heraus
sei habe er dem Landrichter [Carl Blum] einen Brief geschrie-
ben er werde wissen, dass er mit seiner Tochter
in Bekanntschaft gelebt (hatte aber damals schon
eine Frau u. 2 Kinder) jetzt wenn er ihm 300 fl.
schicke so sei es recht u. sonst werde er es veröffent-
lichen lassen, der Landrichter behielt den Brief
auf, und als er erfuhr dass er komme liess er
ihn schon in Sevelen abfassen u. er wurde
eingesteckt es hatte ein griminal Verhandlung
gegeben. Gestorben ist Ruggell Berthablis Hansa
Peter es war 22 Jahre alt u. hatte auch gestickt.
er starb wegen den drüssen sie waren zu stark
aufgetreten bettlägerig war er nur 3 Wochen
den der Küfer Martin [Martin Biedermann] u. der Sternenwirth [Martin Öhri]
letzterer starb aber in Hohenems bei der Mari
di Alten waren beide dorten sie kamen nicht
aus mit der jungen Frau u. Mina u. der Toni
wollten auch nichts wissen von ihnen arbeiten
hat man sie schon lassen u. sterben können sie in [21]

 (…) [22]
letztes Jahr am schmutzigen Donnerstag der Ab-
schied gefeiert im Schwert mit Tanz es war
die ganze Familie u. alle Verwandten daran
beteiligt. Babbile sagte sie sehe es doch gar nicht
gerne, dass das ins Kloster wolle, sie sähte lieber
alle geheiratet, aber die Ruggeller lachen
sie blos aus u. sagen sie soll nur froh sein
wenn [23] noch jedes andere ins Kloster gehe
sie habe den noch Arbeit genug bis sie jedem
etwas passendes finde es darf nicht jedes nehmen
was es will der Adolf ist auch 2 u. einhalb Jahre
zu unsera Sefa gekommen, da hat er auch nicht

(…) [24]
Zeit zu heiraten sie hatte einen grössern Sch(…) [25]
als der Ulerich früher was er jetzt für einen
hat weis ich nicht Sie ist mit ihrer Schwieger
nicht einmal einen Monat ausgekommen
sie ist jetzt in Schellenberg u. war damals
krank als ihr Sohn Primiz feierte vor lauter
Aufregung. Kapfbura Albertina [Albertina Hasler [-Batliner]] u. wissli Natis
waren auch nicht lange beisammen, s’Annile ist
in Dosters bei der Juliana u. der Hansirg u. Rudolf
hausen allein u. Wilh. hat Büchelis Haus gekauft
u. der Bücheli hat Öhrilis Büchelis Ludwig (der
bei Landweibes) hat auch geheiratet mit Finaza [26]
Filomena sie ist 26 u. er 24 Jahre alt u. (…) [27]
Finazas hatte auch am gleichen Tage Hochzeit (…) [28]
halter mit Amas Klörlis Buab sie war erst
21 Jahre, er war Eine nötig er war nur allein.
Jetzt will ich aber aufhören sonst könnte
Euch das Lesen verleiden. Schreibet mir aber
auch recht bald, ich bin sehr neugierig wie
es Euch geht. Wie geht es Euern Kindern
sind sie recht gross? u. wie geht es Eurer
Schwigermutter [Katharina Öhri [-Öhri]], dem Andreas, Amalie u.
Magdalena? Schwester Anuziata [Anunziata Kurz] u. Regi-
naldis [Schwabl]
u. Herrn Pfarrer [Johann Baptist Beat] Deflorin sind immer
noch in Eschen. Nächstes Jahr wird jetzt (…) [29]
armen Haus gebaut. [30] Ich schliesse mein
Schreiben unter tausend herzlichen Grüssen
u. Glückwünschen an Euch lb. Pathin u. Eure
Familie u. verbleibe Euer

Euch nie vergessendes
Pathenkind
Katharina Brendle [31]

bei Adam Hasler Zimmerman Löwenstrasse
No. 20 Rorschach Kt. St. Gallen
ich bin immer noch in Rorschach [32]
Viele Grüsse an Euch von Bertha [Berta Hasler [-Brendle]]
u. Adam [Hasler]. Es geht ihnen bisher sehr gut in
der Schweiz man kann anderswo auch glück-
lich sein nicht blos in Eschen. Ich hoffe, dass
ich nächstes Jahr von der Freude, die mir Euere
Familien [33] Fotografie bereitet mitteilen
kann. Schreibt mir doch sehr bald ich er-
warte es kaum. Ich grüsse Euch nochmals
auf ein Wiedersehen hoffend mit einer
Empfehlung in Euer Gebet.

(…) [34] [Johann] Buinger feiert auch diesen Sommer
Primiz in Eschen [35] es freut sich jetzt schon
die ganze Gemeinde.

Verzeihet meinen Sudel, den es ging in
Strudel u. bei der Nacht sonst hat ich es besser
gemacht.

Ich habe einen furchtbaren Ducheinander
ich schreibe halt Alles wie es mir einfällt. [36]

Der Hoop verlangte noch Taglohn u. etwas
für die freundliche Einladung, aber das
Maul blieb im sauber [37]

______________

[1] LI LA PA 016/3/04/09. Brief in Kurrentschrift.
[2] Durchgestrichenes Wort.
[3] Durchstreichung.  
[4] Ursprüngliche Fassung: „gröẞte“. Das Eszett wird im Folgenden zu “ss“ umgewandelt.
[5] Seitenwechsel.
[6] Durchstreichung.
[7] Tatsächlich Oberösterreich.
[8] Seitenwechsel.
[9] „Aushudeln“: einen um Hab und Gut bringen.
[10] Durchgestrichenes Wort.
[11] Seitenwechsel.
[12] Durchstreichung.
[13] Durchstreichung.
[14] Durchstreichung.
[15] Die folgenden 4 Seiten fehlen.
[16] Durchstreichung.
[17] Seitenwechsel.
[18] Seitenwechsel.
[19] Seitenwechsel.
[20] Fehlstelle im Papier. Vermutlich: „ist“.
[21] Seitenwechsel.
[22] Es fehlt hier eine halbe Seite.
[23] Durchstreichung.
[24] Es fehlt wiederum eine halbe Seite.
[25] Fehlstelle im Papier.  
[26] Seitenwechsel.
[27] Fehlstelle im Papier.
[28] Fehlstelle im Papier.
[29] Fehlstelle im Papier.
[30] Der Bau des Armenhauses in Eschen erfolgte erst 1904.
[31] In lateinischer Schrift.
[32] Seitenwechsel.
[33] Durchstreichung.
[34] Fehlstelle im Papier.
[35] Am 10. August 1902.
[36] Briefende.
[37] Nachträglich auf der 1. Seite des Briefes hinzugefügt.