Rechtsgutachten von Hensler Zuchthaus Buchloe) zum Fall der zum Fall der Barbara Erni, genannt die goldene Boos, die als letzte Person in Liechtenstein hingerichtet wurde.


RECHTLICHES GUTACHTEN[1]

die vom 28ten May 1784 in der Herrschafftlichen Frohnveste zu Liechtenstein Puncto Diva­gationis, Scortationis, furti Correcti reiterati et magni[2] in Verhafft liegende

Barbara Ernin

von Altenstatt bey Feldkirch gebürtig, insgemein die Goldene Boos genannt, betreffend.

In Deo Consilium[3]

 

Zu Endegeseztem sind die wiederum zurückfolgende peinliche Acten die in der Herrschafftli­chen Frohnveste zu Liechtenstein in Verhafft liegende Barbara Ernin betreffend pro Consilio defen- et offensivo[4], und Gutächtlicher Abfassung der rechtlichen Straf-urtel nach der Caro­lina und gültigen Reichs Gesätzen den 28ten Novembris abhin übersendet worden.

Es wurde demnach, so bald anderer Geschäffte halber es möglich war, hierüber die erforderli­che Einsicht genommen, nach welcher sich dargestellet folgendes

Factum

Maria Barbara Ernin ab Seiten der Mutter die goldene Boos genannt hat ein Alter auf sich von 42 Jahr.

Sie ist catholischer Religion und von Altenstatt bey Feldkirch gebürtig.

vid. lit. V: Nro. 79.

Sie ist im 5ten Jahr mit Franz Schindelin aus Tyrol einem vermög der anno 1779 zu Diessen­hofen in Druck gebenen Listen beschriebenen und zu Oberried hernach wegen dem Rhein­ecker Bleiche-Diebstahl berichtigt- und corrigirten Dieb verheurathet.

vid. lit. S: Nro. 71 et 72.

Inquisita[5] ist von vagirenden Elteren gebohren und auferzohen worden.

Sie ist also gleich denselben von Kindsbeinen an dem Müssiggang, und schuzlosen Leben nachgegangen.

Im Jahr 1772 wurde sie zu Chur von dem dortmaligen Recrouten Führer Bühler inpraegiret, und hat ihren bey Leben seyenden Buben gebohren.

vid. Buchloeischen acten Lit. 11 et No. 19.

Vor ohngefehr 10 Jahr hat Inquisita von einem Wurzengraber Johann Jakob Schoner zu Sevelen das zweyte uneheliche Kind aufgenohmen und selbes in Hirzensprung gebohren und in der Rüthe oder zu St. Valentins-Berg taufen lassen.

vid. Lit. C Resp: 339, 340, 341, 342 fol. 77.

Bevor aber Inquisita in Bremgarten mit dem Franz Schindele sich copuliren lassen, hat die­selbe von ihme drey uneheliche Kinder erzeuget, welche samentlich gestorben seyn sollen.

vid. Lit. C. fol. 3. Resp: 11, 12 et 13.

Und wie der Müssigang die Quelle vorstehender Laster gewesen, und die Unzucht bey Vaganten gemeiniglich der Anfang ist, woraus das Stehlen seinen Ursprung zu nehmen pfleget, so hat Inquisita eingestanden folgende diebische Verbrechen verübet zu haben, und zwar

Erstlich, das sie bereits vor etlich 20 Jahren zu Levis der Pfarrey Altenstatt in der Herrschafft Feldkirch in ihrer dortmaligen Herberg beym Amberger Sepp oder Frehner unter Tags (da die Leute aufm Feld gearbeithet) in das Haus eingeschlichen wäre, um dort aus dem offenen Keller und Haus bey zweymalen Wein, Schniz und Nuss genommen, und mit ihrem Bruder Christian verzehret hätte.

vid:  lit. C: fol. 80 et 81, lit. V: Nro. 78: nota 1ma fol. 1 et 8:

Inquisita ware 2tens bekanntlich zur nemlichen Zeit mit ersagt ihrem Bruder in ihrer Herberg zu Tuffers der Pfarrey Geffis wieder in der Herrschafft Feldkirch, Fleisch, Schniz, Nuss ein bis zweymal entwendet zu haben und bey solcher Gelegenheit neben einem Suppenkübel voll, eine Schissel voll mit Wein genossen zu haben.

vid. Lit. C: fol. 80 Rsp: 358: Lit. V Nro. 18 Nota 2do fol. 2 et 8.

Inquisita hat 3tens einbekennet um obige Zeit zu Hofen in der nemlichen Pfarrey Geffis in der Herberg in Kameratschaffts-Leistung des Christian etwas Brod, Milch, und Eyer aus einem Keller, dann 2 oder 3 Tag zuvor im Stall vor etlich Bazen Eyer gezwacket, und mit besagt ihrem Bruder consummiret zu haben.

vid. Lit. C: fol. 80 et 81 Resp: 358, 362 et 363. Lit. V: Nro. 78: Nota 3tia fol. 3, 4, 8 et 9.

So habe sie 4tens dazumal zu Noffels wieder im Feldkirchischen Mehl, Schmalz und dirre Äpfelschniz mit wiederholter Mithilffe ihres Bruders Christian in ihrer Herberg aus dem Keller entwendet, um gemeinschaftlich miteinander geessen.

vid. lit. C: fol. 80 Resp: 358. Lit. V: Nro. 78, Nota 4ta fol. 4 et 8.

Auf gleiche Art habe sie 5tens und der Christian zu Ruggel der Pfarr Bendern in dem Reichs Fürstenthum Liechtenstein bey dem Schuhmacher nicht weit von dem dortigen Würtshaus aus dem offenen Haus ein paar Männer Schuhe mit gelben Ringgen samt einem Flohr entfremdet, wovon der Christian die Schuhe, Inquisitin hingegen den Flohr zu sich genommen.

vid. lit. C: fol. 80 et 81. Lit. V: Nro. 78: Nota 5ta fol. 5 et 9.

Weniger nicht 6tens beym Mezger Martin Tschetter zu Frastanz der v (oder) ö(sterreichisch)en Herrschafft Sonnenberg Fleisch, Brod samt einem alten Wettermantel, Sack und Kerschenkratten.

vid. lit. C. fol. 80 et 81, lit. V: Nro. 78, Nota 6ta fol. 5 et 6:

Ferner 7tens zu Dux, Trüsen, Balzers oder Mels eine Schoos voll Trauben, welche sie mit ihrem Bruder und Schwester abermal genossen.

vid. lit. C. fol. 81. Int. 364, 365, 366. Lit. V. Nro. 78: Nota 7ma fol. 6.

Gleich dann durch Sie 8tens vor etlich 20 Jahren in beyseyn offt ersagt ihres Bruders Christian zu Ruggel im Liechtensteinischen eine Henne gestohlen, und nacher Eschen getra­gen worden wäre.

vid. lit. C. fol. 80. Resp: 357. Lit. V: Nro. 78: Nota 8va, fol. 6 et 7.

Auch 9tens durch sie fast zu ernannter Zeit wiederum in Beyseyn ihres Bruders zu Noffels der Herrschafft Feldkirch aus einem Haus der untersten Linkerhand unter Tags bey einem Mezler Türkenmehl, und in einer leimenen Schüssel bey 4 Pfund gesotten Schmalz und gegen ½ Mässl diere Äpfelschniz entfremdet worden seyen.

vid. lit. C: Resp: 358. Lit. V: Nro. 78, 9na fol. 6, 7 et 9.

Neben vorstehenden Misshandlungen kommet Inquisita 10tens zu Schulden, das sie im Jahr 1763 am Tag vor Peter und Paul zu Gams oder Gassenza in des Franz Schöber seeligen Haus beym hellen Tag zum Fenster hinein geschlichen seye, und dort 2 paar neue Schuhe genom­men, und in solchen den Kastenschlissel vorgefunden habe, mit welchem durch sie der Kasten eröffnet und daraus 1 Flohr, des gleichen rothe Bändel, Mindernicht 2 oder 3 silberne Finger­ring, nach der eidlichen Erfahrung 5 fl. im Werth, diebischer weis hinweck practiciret worden seyen. Worauf man sie auf der Tat ertappet, und das angesagte abermal abgenommen habe.

vid. Lit. C. fol. 83, 84, Resp: 374 bis 378. Lit. N. no. 49 et 51.

Es beschweret Inquisitam 11tens dass sie am 10ten 8bris 1773 auf dem Rath- oder Würtshaus zu Raggaz Sarganserland, Schweizer Gebiets neben einem Leutuch 1nen schwarz und weiss gewürffelten Weibsbilder Rock, samt schwarzem Hut, Fürtuch und Korsetl mitgenommen hätte, seye aber auf der That erwischet, obrigkeitlich untersuchet, und durch den dortigen Hatschier mit einer Ruthe in der Hand zum Dorf hinaus geführet, und des Sarganser Landes verwiesen worden.

Lit. C. fol. 22, Resp: 128 et Const. 11 mo fol. 70, 71 et 43 auch Const. 12, fol. 75. Lit. R No. 66 et 68

Inquisita stellte nicht in Abred 12tens die jenige zu seyn, welche da sie vor 8: oder 9 Jahr zu Trüsen Reichs – Fürstenthums Liechtenstein in des Joseph Sprengers Haus im Sommer unter Tags mit List sich eingeschlichen, in selbem aus dem offenen Mehlkasten ihren zimlich gros­sen Bettelhafen mit Kern-Mehl voll angefillet, sodann 5 oder 6 Mässle gedörrte Zwetschgen und ein paar Mässle gestampften Fench insgesamt auf 2 fr. 18 kr. eidlich angeschlagen, in der Schoos eingepackt gehabt, dass sie von dem Hausmann betreffen, und durch denselben ihr das gezwackte unter einem scharfen Verweis wieder abgenommen worden seye.

vid. lit. C. fol. Lit. 13, 14, 15 et 16. Resp: 67 bis 83. Lit. A. Teste, 8mo, fol. 19, 20, 21 et 22.

13tes fallet Inquisita zu Last, dass sie anno 1778 wegen verdächtigen Stehlens mit ihrem Mann Franz und unehelichen Sohn Bühler zu Gahlingen arretierlich angehalten, sodann auf Stockach, und von lezterer Stelle, nachdem ihr Mann unter den Soldaten Stand übergeben, indess wegen Untauglichkeit nicht angenohmen wurde zur näheren Untersuchung in das ge­meinschaftliche Zuchthaus zu Buchloe überbracht worden seye, worauf am 8ten Jener 1779: die Urtl dahin ausgefallen, dass sie wegen verdächtiger Dieberey, und Theilnehmung, son­derheitlich aber ihres unehelich getriebenen Beyschlafes halber mit Stockstreichen gebüsst, und gegen Urfhed aus samentlich schwäbischen Kreises Landen auf eine unbestimmte Zeit verwiesen worden.

vid. Buchloes: acten sub

lit. E in fine et Nro. 32: Item lit. C: Resp: 25 et 26.

In dem angefangenen Confiteor[6] ist Inquisita dahin gegangen 14tens dass sie nach der Entlas­sung und Bestrafung zu Buchloe ihren Beyschläfer Franz gleich wieder aufgesuchet, und der­bey gewesen wäre, als zwischen ihme und dem Franzos Jakob Dumenni der Blaiche Diebstahl zu Rheineck im Maymonat 1779 verabredt, auch nächtlicher weil verübet wurde, nach wel­cher That beede Mannsbildere mit dem gestohlenen Gut pr 7 Stuck zu Oberried gefänglich angehalten, processiret, und jeder auf 5 Jahr lang zur Galeere Straf verfället worden, wenn selbe nicht im Türgow auf dem Transport entwichen seyn wurden.

vid. lit. C. fol. 35. Resp: 195, 196 bis 206. Lit. L No. 36.

Wieder Inquisitam[7] veroffenbahrte sich 15tens dass sie im Herbst 1781 an einem Sonntag vormittags unter dem Kirchengottesdienst zu Zurzach in der Schweiz den Herrn Kaplan Schmid in Gespanschaft eines Judens aus Schwaben verabredter mass gegen 1000 fr. an Geld, dann eine silberne Sackuhr, und Kley Haffen aus dessen Schlafzimmer, in welchem der Jud das Pult oder Kästel erbrochen zu entwenden geholfen und zu ihrem Antheill 466 bis 477 fr. erlanget habe.

Lit. C. fol. 44. Resp: 224 bis 241.

Welcher Diebstahl hingegen aus Abgang des Eids gesazmässig nicht hergestellet worden.

Lit. M. Nr. 40, 41 et 42.

Inquisita sagte in dem Confiteor ihre Hauptschuld andurch, das sie 16tens im vorigen Jahr etwann 14 Tag vor Ostern mit des Rüttner Sepplis Sohn Joseph Anton Reichenbacher am Strälserberg einen Silberdiebstahl verabredet, auch solchen 8. Tag darnach an einem Sonntag vormittags unter dem gewöhnlichen Gottesdienst in der Stadt Chur bey einer verwittibten Goldschmidin Namens Maria Osang mitzuverüben geholfen habe. Bey welchem Diebstahl der Hergang folgender gewesen:

Des Reichenbachers Bub oder Bruder habe unter dem Praetext[8], ein Silber zu verkaufen, Gele­genheit gefunden, in die Wohnung der Wittib den Hinteren Thir-Rigl aufzumachen, und sie Inquisitin seye ausserhalb der Behausung Wacht gestanden in so lang, bis die Eigenthü­merin aus ihrem Haus heraus und in die Kirche gegangen seye, nach welchem Austritt unter weiterer ihrer Aufsichte der Reichenbacher bey der aufgeschlossenen Thir sich in die Woh­nung begeben folglich an Gold- und silbernen Ringen, Tabackdosen, Haarnadlen, silbernen Löflen, Gold und Silber-Schnürl, Schwamm oder Nadelbixlen von Silber, Sackuhren, und Uhrenketten, Glimpf- und Korall-Ringen, Petschier Stöck, und ande(r)n Ringen, ohne das Geld (wovon Inquisita nur etwelche Blutzger bekommen) einen Diebstahl nach der eidlichen Einschätzung von 600 fr. Bündtner valuta ausgeübet.

Welche Waaren nachhin ein- und anders Stück ausgenommen, sie in den Mayfelder Wald miteinander in 3 Theill vertheilet, und nebenbey Inqusita dem Reichenbacher seine Portion um 100 fr. abgekaufet hätte.

Die (nachdem sie solche aus Forcht verrathen zu werden, im nemlichen Wald unter einen Stein verstecket) durch den Reichenbacher ihr heimlich wider gestohlen worden, ohne dass sie um das mindeste mehr zu Handen empfangen.

vid. lit. C. fol. 50 a Resp: 242 bis 271. Lit. H mit Nris. 19, 20 et 27.

Zum Beschluss ist Verhafte geständig.

17tens. Am 27ten May des annoch laufenden Jahres zu Müsnen in der untern Herrschaft

Schellenberg Reichsfürstenthum Liechtensteinischen Gebiets nachmittags in des Joseph Kie­bers oder in das Haus des Johann Allgeuers (als die Leute von der Feldarbeit zurück gekom­men) mit einer Kameräthin Namens Katharina, die sich flüchtig gemachet, auf einem öffent­lichen Diebstahl betreffen vest gesezt und zur endlichen Untersuchung in das herrschaftliche Schloss zu Liechtenstein ausgeantworthet worden zu seyn, unter welcher sich dann veroffen­bahret, das Inquisita in der Kieberischen Behausung gegen

15 Ehlen hämpfenes Tuch, 2 neue und 2 deto noch gute Mannshemder von Hampf, 2 Paar leederne Hosen, 1 weiteres Mannshemd, eine weisse Haube, ½ pfündiges Wachsstöckl, 1 ein­gestellter Pack Krämerwaar mit 3 bis 4 Ehlen Glarner Radine, 1 Rest wollenen Futterzeug von 12 Ehlen, 1 Rest Borden mit 8 bis 9 Ehlen nebst anderen Stücken.

Theils in der untern, theils in der obern und hinteren Kammer aus denen dortigen verschlos­senen Trögen und Kästen eingepacket gehabt, so nach ihrer gefänglichen Niederwerffung bis auf einen Federthaler denen bestohlenen Theilen (da ihnen ansonst ein Schade von 40 bis 50 fr. nach der gesazmässigen Taxation zugegangen wäre) zugekommen und restituiret worden.

vid. lit. C. fol. 6, 7. Resp: 28 bis 41, 48, 49 et 50. Lit. A. Teste 1mo et 2do a fol. 1 bis 8.

Die von Inquisita selbst abgegebene Defensionalien[9] bestehen in deme, das sie Gott so, wie die gnädigste Landesherrschafft und Orts Obrigkeit ihrer verübten Verbrechen willen um Verzeyhung bitte, auch alle Besserung versprechen und in Hinkunfft nicht das geringste mehr entwenden wollte.

vid. lit. C. Resp: 342.

Und in diesem bestehet, was Endes gesezter facti loco[10] an- und ausführen sollen.

Da übrigens unterliegender Inquisitions Process mit Barbara Ernin in so guter Ordnung, als mit vieler Mühe, und unverdrossen wohl geführet worden.

So will was anderes nicht übrig seyn, als nachfolgende zwey Fragen aufzuwerffen und zu erörtteren.

Erstlich ob bey solcher der Sachen Lage gegenwärthiger Process für beschlossen anzuneh­men?

Und wann!

Auf was für eine Art Inquisita wegen ihren eingestandenen Diebstählen nach vorgegangener obrigkeitlicher Wahrnung zu strafen seyn dürfte, damit der Justiz ein Genüge geschehen, und das gemeine Weesen vor fernerem Schaden (wozu die Obrigkeiten im Gewissen verbunden) bewahret werden möchte.

Auf die erstere Frag zu antworthen: So ist eine ausgemachte Sach: Quod  reus de aliquo crimine convicuts seu confessus pro ulteriori veritate habenda superaliis delictis torqueri queat.[11]

Prossp. Farinac in Prin: Crim. l: 1: tit. 5. Clar. in Pract. § alt: Q: 64 nro. 8.

Da also

a) Inquisita eine förmliche Vagantin, daher schon von Geburt nichts Gutes.

b) Eine Person, welche in der Diebs-Liste von Buchau am Federsee de anno 1780:

Posit. 49: und in einer anderen von dem Fürstenbergischen wohllöblichen Oberamt zu Heili­genberg de anno 1781: Posit. 27: eingetragen, folglich pessimae famae[12]

c) die stehlens halber bereits gewahrnet, und

d) Weiterer Diebereyen wegen
Trüsen
Altstetten
Mühlehorn
Gams
Diessenhofen
Schonauwörth
Kaltbronnen
Raggaz und     
Montofon mit vielen wahrscheinlichen Umständen besaget worden.

vid. lit. C: fol: 86: a Resp: 380 bis 424:

So könnte es das Ansehen gewinnen wollen, das sie zur Tortur qualificiret, um solcher Diebe­reyen willen dahin abzuschliessen seyn möchte.

vid: Carpz: Pract: Crim: Part: 3: Q 120: Nro. 35:

Allein ist Endes gesezter einer ganz anderen Meinung, und beglaubt, das sicherste zu seyn, wenn mit der Tortur ruckgehalten wurde.

Eo quod remedium sit extra ordinarium ad quod juxta Riuram Coll: 10ma Nro. 730: sine gravi necessitate non sit excurrendum.

Ne scilicet afflicto nova addatur afflictio, et quis duplizi poena puniatur.

Ita Lauterbach in Consil. Tybing: Cons: 52: § 12:[13]

Warumen hingegen zu weiteren Zwangsmitteln nicht zu schreiten, glaubt Endesgesezter die Ursach für hinlänglich zu seyn, weilen entgegen die Inquisitin Ernin, ohne das wieder selbe weitere Verbrechen dürfften auf den Weeg gebracht um sie zu vollständiger Geständniss der­selben durch die allein vorseyende Zwangs-Mittel angetrieben werden, die äusserste Straf schon zu erkennen seyn möchte.

Dann wird der verhandelte Aktenstock eingesehen, so ergiebet sich zum Voraus, das Inquisita hauptsächlich das Punctum furti reiterati et magni[14] sich habe zu schulden kommen lassen und hierüber abzuwandeln seye.

Bevor aber auf die der Inquisitin angemessene Straf abzuschliessen. So ist nicht ausser acht zu lassen, das nach bekannten Rechten auf die Defension eines jeden Armensünders folgsam auf alle jene mildernde Umstände, wodurch selber immer von der Lebensstrafe befreyet könnte werden, auch ex officio[15] die höchst erforderliche Rücksicht genommen werden müsste.

Nach welcher es denen ersteren Blicken nach das Ansehen gewinnen will, das wieder die Verhafte Ernin zur Zeit noch kein Todts-Urtl abzufassen wäre.

Obschon

Rationes dubitandi[16]

1mo Die sonsten ad Summam legalem nothwendige quinque solidi[17] bey Vaganten in dem Buchloeischen Zuchthaus auf 15 fl.  herabgesezet worden, so ist doch männiglich bekannt, das dergleichen Statutar Verordnung jedesmal im engesten Verstand genommen werden müsste, folglich in Rücksichte der Hochfürstlichen Liechtensteinischen Herrschafft es bey denen in der Carolinischen Sanction articulo 100 klahr bestimmten 5 Goldgulden sein unab­änderliches Verbleiben haben müsste.

Wie also ex praemissis[18] dieser Rechtssaz zum Grund geleget wird, das mit gutem Gewissen kein Dieb mit dem Todt abgestrafet werden könnte, soferne nicht die 3 Diebstähle miteinan­der die 5 Ducaten überstiegen, als kommet vor allen Dingen bey dem Diebstahl von Müsenen in Reife Bedenkung zu nehmen, das solche entwente Sach bis auf einen Federthaler zurück gegeben worden wäre.

In Criminalibus enim haec Regula universalis est tenenda.

Quotiesumque res furto ablata absque damno dato, et lucro percepto ad dominum redit fur Caqueo non suspendendus sed virgis caesus in perpetuum est relegandus.[19]

Carpz: in pract: Crim: Part. 2da. Q: 80 Nro. 9:

Angesehen zu einem jeden Diebstahl hauptsächlich erforderet wird, das auf einer Seite dem bestohlenen eine Beschädigung, anderer Seits aber dem Dieb aus der entfremdeten Sach ein Nuz zufliessen solle.

Gleich Weyland Kayser Carl der Vte denen Obrigkeiten und Richteren articulo 160: die ernstliche Ermahnung giebet: wohl zu ermessen, wie schädlich der Diebstahl dem Beschä­digten seyn möge.

Da nun die Eigenthümern aus Müsenen das ihrige widerumen bis auf einen Federthaler zurück erhalten, folgsam eines weiteren Schadens willen sich nicht zu beklagen haben,

so müssen die von solchem Diebstahl in reatum angesezte 40 bis 50 fl. nothwendiger Dingen bis auf einen einzigen Federthaler reduciret werden.

Und scheinet dahero, das die Todtesstrafe um da minder Platz greifen dürffte, als die Dieb­stähle von Gams oder Gasenza, Raggaz, und Trüsen gleichergestalten ihren Eigenthümmeren wiederumen zugekommen.

Welchem

2mo Hinzukommet, das die mit Nris. 1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8: 9: 11: et 15: ausgezeichnete Dieb­stähle nicht einmal eidlich erhoben, weswegen das jenige, was diesfalls in competum[20] gezo­gen worden, mehrmalen von selbsten hinweck falle.

Cum in jure Criminali sententia usu probata et fundata sit, quod tunc demum constet de corpore delicti quando jurata assertio damnificati adsit. Ita sentit cum Mascard.

Jul: Claro: et Blumlacher Dom: de Weitenau in suo Comentario Cons: 5: Nro: 36:[21]

3tio[22] Ist noch darüberhin wohl in Erwegung zu ziehen, das auch die eidlich erhobene Dieb­stähle von Gassenza, Trüsen, Chur und Müsenen nur überhaupts taxiret worden, wo in pein­lichen Halsgerichts Rechten eine schon von älteren Zeiten bekannte Sach, das erst als dann das Corpus delicti bey einem Diebstahl legal hergestellet seye, wenn die Aussag des Beschä­digten Theils nach abgelegtem würklichen Eid geschehen, und die entwente Sachen von denen Derobatis[23] nicht überhaupts sonderen ein jedes Stück in Sonderheit eingeschätzet worden. Daran will aus der Ursach sehr merklich gelegen seyn, weilen es öffters, wie in Prae­sentiarum[24] zu geschehen pfleget, das die Inquisiten[25] nicht alle diejenige Stücke entwendet zu haben eingestehen, von welchen die Damnificati[26] eine Meldung gemachet haben, und  derley Inquisiten sowohl aus Abgang der Einschätzung, als der eigenen Bekanntniss oder einer hinlänglichen überführung solche Stücke von welchen sie nichts wissen wollen, in reatum einmalen aufgerechnet, sonderen von denen übrigen einbekennten Sachen abgezohen werden müssten.

Wann also die Diebstähle nur überhaupts geschätzet sind, so ist es nicht möglich in einem solchen Fall, da die Bekanntniss des Inquisiten mit der Aussag des Derobati nicht überein­stimmet, den gehörigen Abzug zu machen.

So ist

4tens wohl zu consideriren, das Inquisita sich fest entschlossen ihr Leben zu besseren, und in Hinkunfft nicht das mindeste mehr zu stehlen, mithin ihr um so ehender Gnad und Barmher­zigkeit noch zu erweisen wäre.

All dessen jedoch, und was sonsten dergleichen noch eingewendet werden möchte, lediglich unangesehen, ist Endesgesezter der beständigen rechtlichen Meinung, das Barbara Ernin mit der Todesstrafe nicht zu verschonen seye.

Dann

Rationes Resolvendi[27]

Sey es

ad 1mum[28] das die Diebstähle wegen Müsenen, Gams oder Gasenza, Raggaz und Trüsen ihren Eigenthümmeren abermal zugekommen, so ist jedoch solche Ruckgabe jederzeit mit Gewalt geschehen. Welche Art von vorgegangenen Rückgaben von daher nicht zu atten­diren[29], weilen männiglich bewusst, das nur die freywillige vor gefänglicher Einziehung erfolgte Ruckgabe gestohlener Sachen eine Milderungs würdige Rücksichte verdiene, nicht aber die Restitutio involuntaria, et post incarcerationem facta[30].

 

So kann

ad 2: et 3tium Inquisitae[31] ingleichen zu keinem sonderheitlichen Vorstand dienen, das die Diebstähle sub Nris.[32] 1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8: 9: 11: et 15: nicht jurato[33] erhoben, die andere hin­gegen von Gasenza, Trüsen, Chur, und Müsenen nur überhaupts eingeschäzet worden seyen, Allergestalten, wenn solche auch von dem Gewissen hafftesten sollten eingesehen werden, derselbe jedoch würde bekennen müssen, das Inqusitae Antheil[34] ganz gewiss über die de jure erforderliche quinque solidos[35] sich erstrecken würde.

Bevor wenn der abgängige Eyd wegen dem Zurzacher Diebstahl sollte nachgetragen werden.

ad 4tum und Inquisitae Vertheidigung belangend[36], so ist von ihr nicht wohl eine Spes Emendationis[37] vorhanden.

Anerwogen Inquisita von Jugend an dem müssigen Leben ergeben gewesen, aus dem s. v. huren eine Profession gemachet, und mit zerschiedenen gefährlichen Landgesindel Bekannt­schaft und Umgang gepflogen, mit ihr bewussten Dieben gestohlen, und auf das stehlen, nach vorgegangener Verabredung ausgegangen mithin durch ihre wiederholte und beschlissentliche Diebstähle  zum grösten Unlust an Tag gegeben, was gestalten die Gewohnheit zum stehlen bey ihr solch tiefe Wurzeln gefasset hätte, das in Ansehung solch ihres lüderlichen und sünd­hafften Lebens nichts anders folgen wurde, wenn sie dem Todt noch mal entgehen sollte, als das sie ihre schon angewohnte Lasterthaten immerhin höcher treiben, andurch aber das gemeine Weesen noch grössere Trangsaalen zu befahren haben dürffte.

Aus welchem zur Genüge abzunehmen.

Rationes Decidendi[38]

Das diese nichtswerthe Menschin, bey der das Handwerk zu stehlen allerdings auf den höchsten Grad gestiegen, gar keine milde Einsichte verdiene, sondern, das sie als ein schädli­ches Mitglied, um grössere übel sorgsam zu verhütten, nach Schärfe der peinlichen Reichs-Rechten, und schwäbischen Kreises Satzungen, von der menschlichen Gesellschafft ohne weiters abzusänden seye.

Da also in der peinlichen Hals-Gerichts-Ordnung Caroli Vti[39] auf den 3ten Diebstahl ohne unterschied, es möge solcher gross oder klein seyn, die Todesstrafe gesezet wird, um wie viel mehrs mus solche gegenwärthig Platz finden als es angeführter massen nicht nur um 3 Dieb­stähle und um eine simple Diebin sondern um eine solche zu thun, die nach Vorgegangenem zum Theill wohlmeinenden, theils gerichtlichen Wahrnungen, und obrigkeitlicher Bestrafung sich nicht gebesseret, sondern mit dem Reichenbacher, und mit dem Jud ex condicto[40] auf das Stehlen, bey welchem auch gebrochen worden, ausgegangen, und durch die erfolgte Theil­nehmung all jenes erfillet, was nach denen Reichs-Rechten in ordine ad dictandam poenam ordinariam[41] erforderet wird.

Es veroffenbahret sich also aus allen bisher an- und ausgeführten Umständen zu rechtlichem Genügen, das gegenwärthige Übelthäterin Barbara Ernin nach klahrer Maass der Carolinischen Satzung articulo 162: die Todesstrafe mit dem Schwerdt verdienet habe.

Welchenfalls nachstehende Urtel wieder sie zuerkennen, und an ihr zu exequiren[42] seyn möchten.

Peinliche Urtel

In der peinlichen Inquisitions Sache die in der Herrschafftlichen Frohnveste zu Liechtenstein Puncto Divagationis, Scortationis, Furti Correcti reiterati et magni[43] rechtlicher Ordnung nach processirte Barbara Ernin von Altenstatt, vulgo[44] Goldene Boos genannt, betreffend, würdet nach derselben beschehenen freywilligen Bekanntniss, und darüber theils eingeholt eidlichen Erfahrungen allen wohl erwogenen Umständen nach auf eingelangt rechtliches Gutachten, und auf gepflogenen hinlänglich Rechts-Bedacht andurch mit Urtel zu Recht erkennt, und gesprochen, das gleichwie dieselbe durch ihre mehrfältige Missethaten, denen Göttlich, natürlich, Geist- und weltlichen Gesätzen, sonderbar aber Weyland Kayser Carl des Vten peinlichen Halsgerichts Ordnung Articulo 162 vielmals strafbahrester Dingen entgegen gehandelt, also sich selbsten zur wohl verdienten Strafe, anderen aber ihres gleichen Gott­losen zu einem abschreckenden Exempel, und Beyspiel dem Scharpfrichter an seine Hand- und Band gelieferet, von diesem an die gewöhnliche Gerichtsstadt geführet, und daselbst mit dem Schwerdt vom Leben zum Todt gerichtet werden solle.

Und dieses von peinlichen Rechts Wegen.

Welches dann ist, was Endes-Gesetzter pro suo videri[45] wegen Barbara Ernin gutächtlich dar­vor haltet, einer mehrers Gegründeten Meinung nicht im mindesten vorgreiffend.

Buchloe im Zuchthaus
den 7ten. Decembris 1784
Liet. Hensler Commissarius

______________

[1]LI RA 16/006, Rechtsgutachten Hensler betr. Barbara Erni (genannt Goldene Boos). Transkription Olga Anrig und Paul Vogt.
[2] im Anklagepunkt des Vagabundierens, der Hurerei, des wiederholten und schweren Diebstahls – trotz Ermahnung zur Besserung
[3] Rat im Herrn
[4] Anklage und Verteidigung
[5] die Angeklagte
[6] Geständnis
[7] zur Rede gestellt / verhört
[8] Vorwand
[9] Verteidigung
[10] zum Stand des Geschehens
[11] dass der Angeklagte, der irgendeines Verbrechens überführt wird oder eines gestanden hat, kann – um weitere Delikte aufzudecken – gefoltert werden.
[12] von äusserst verwerflichem Ruf
[13] Sind die Rechtsmittel (Mittel für eine Besserung) über das ordentliche Mass hinaus, so gilt gemäss der Rheinischen Rechtsammlung: 10ma Nro. 730: ohne schwerwiegende Notwendigkeit soll man [das Mass] nicht überschreiten. Damit dem Gepeinigten wohlgemerkt keine neue Pein (Folter) auferlegt wird und damit er nicht doppelt bestraft wird. So Lauterbach im Rate zu Tybingen: Cons: 52: §12:
[14] den Anklagepunkt des wiederholten und schweren Diebstahles
[15] gemäss Gesetz
[16] die Schlussfolgerungen zu bezweifeln sind
[17] zur gesetzlichen Summe notwendigen fünf Goldgulden
[18] aus dem Vorausgeschickten
[19] In der Strafverfolgung ist nämlich diese allgemeingültige Regel zu halten. Wenn immer eine Sache durch einen Diebstahl abhanden gekommen ist und der Dieb diese dem rechtmässigen Besitzer – frei von irgendwelchem Schaden und ohne Profit daraus gezogen zu haben – zurückgibt, so soll der Erstere nicht am Strick gehängt werden, sondern – nachdem er mit Stöcken geschlagen worden ist – auf ewig verbannt werde.
[20] in Betracht
[21] Zum Ersten muss ein Urteil sowohl im Kriminalrecht als auch in seiner Anwendung erprobt und begründet sein, zweitens steht das Corpus Delicti dann erst fest, wenn vom Geschädigten eine eidliche Erklärung vorliegt. So versteht es sich mit Mascard. Jul: Claro: und Blumlacher Dom: von Weitenau in seinem Kommentar Cons.: 5: Nro: 36:
[22] Zum Dritten
[23] Beraubten
[24] vorliegendem Fall
[25] Angeklagten
[26] Geschädigten
[27] Erwägungen für die Verbannung
[28] Zum Ersten
[29] beachten
[30] unfreiwillige Rückgabe und einer, welche erst nach der Festnahme erfolgte
[31] zum Zweiten und Dritten der Angeklagten
[32] unter den Nummern
[33] rechtlich
[34] der Anteil der Verurteilten
[35] die nach Recht erforderlichen fünf Goldgulden
[36] zum Vierten und die Verteidigung der Angeklagten betreffend
[37] Hoffnung auf Besserung
[38] Erwägungen zur Enthauptung/Hinrichtung
[39] Karls V.
[40] dem oben erwähnten Jud
[41] von rechtswegen zum Sprechen einer ordentlichen Strafe
[42] auszuführen
[43] im Anklagepunkt des Vagabundierens, der Hurerei, des wiederholten und schweren Diebstahels – trotz Ermahnung zur Besserung
[44] im Volksmunde
[45] nach seinem Ermessen / wie es ihm [für richtig] erscheint