Alois Rheinberger an Emma Rheinberger über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die Stellung des Fürstentums Liechtenstein, die widersprüchliche Berichterstattung in der Chicago Tribune und in der New Yorker Staatszeitung über den Krieg, sein Vertrauen in das deutsche Waffenglück und Kaiser Wilhelm II., die amerikanischen Kriegslieferungen an die Alliierten, die Ausbreitung der Maul- und Klauenseuche über die USA, die amerikanische Ernte des Jahres 1914, die antikatholische Bewegung in den USA sowie die Witterung in Nauvoo seit August des Jahres


Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger, Vaduz [1]

November 1914, Nauvoo (Illinois)

Fräulein Emma Rhbrgr. [2]

Liebe Emma!

Wen Sie diese Zeilen erhalten, wird die
Zeit gekommen sein, wo sich die Menschen
gegenseitig beglückwünschen. Hoffend zum
letzten mal – bringe auch ich Ihnen und
den lieben Ihrigen meinen Gruss [3] für die
Weihnachts Zeit, und meine Glückwünsche für
das kommende Jahr, Gott bittend, dass er sie
segnen möchte. Mit grösster Betrübniss denke
ich an den Krieg, an dem gegenwärtig fast
die ganze Bevölkerung der Erde zu leiden hat,
und tröste mich dass mein liebes kleines
Liehtenstein nicht so schwer und nicht direkt
davon betroffen wird. Ich bekomme jeden
Tag die Chicago Tribune, englisch [4] und eingenommen
für die Allirten [5], und die Staatszeitung
von New-Jork, deutsch, die sich in ihren Berichten
gewöhnlich widersprechen. Mein Vertrauen gehört
den Deutschen, nicht nur weil ich ein Deutscher bin
sondern weil der Kaiser [Wilhelm II.] gegen eine Welt voll
Feinden, seine Siege feiert und daran die Lügen
der Allirten erkennen lässt [6]
ich danke Gott und bitte ihn um seinen Schutz
für die beiden verbündeten Kaiser. [7]

Amerika [8]! Es betet [9] um Frieden, und zu gleicher
Zeit ermöglicht [10] es den Feinden Deutschlands
den Krieg fortzusetzen, indem sie denselben
beständig Kriegsbedarf aller Art zu senden.
Ohne Amerika wären die Alirten bereits
erschöpft und gezwungen den Frieden zu suchen.

Noch nie dagewesen [11] … Vor 2 Monaten wurde
in den Viech-ställen Chicagos die Maul und
Klauenseuche entdeckt, und bis daher hat sich die
Krankheit schon über 9 Staaten verbreitet,
östlich dess Missisippe, aber die letzten Nachrichten
melden auch schon, dass sie den Fluss überschritten
und sich über die ganzen Vereinigten Staaten
erstreckt. Es geschiet das mögliste, um sie zu unterdrücken,
krankes Viech wird erschossen und in Kalk begraben,
gesundes Viech wird täglich beobachtet und mit
vorbeugungs Mittel behandelt.

Die Ernte dieses Jahres wird als die
grösste bezeichnet und wird auf [12] 5 tausend und ½
Milliarden geschätzt. Doch sind alle Lebensmittel
sehr teuer. Die Handelsleute kaufen, so weit
als erhältlich, alles auf und senden es nach Europa.
Es bringt Geld, während die arbeiten Massen sich mit
minderwertiger Nahrung begnügen müssen. [13]

In den Vereinigten Staaten wird ein Versuch
gemacht den Catoliken das Leben sauer zu machen.
Freimauer, Socialisten, Gottes leugner, irr und
ungläubige [14] sind es, denen wir im Wege
sind, und die nicht einzeln sind sondern nach
Millionen [15] zälen. Die Bewegung ist nicht
neu, und nicht planlos, und bei den Walen streng
darauf achten, dass sie Männer ihres Sinnes in die
in die Regierungs-Kreise bringen.

Nach den Kriegserklärungen [16] blieb Ihre
liebe Zeitung [17] längere Zeit ganz aus, [18] im September
und seither komt sie, immer 14 Tage später.

In meinem Briefe vom August bemerkte ich Ihnen
dass wir immer heisses und trockenes Wetter hatten
so blieb es bis zur 2t Hälfte Sepbtr. Dan etwas nass
und kühl, October mit Ausnahme weniger Tage,
sonnig und warm, November bis heute immer windig
sonnig und warm. Schnee haben wir noch nicht,
gesechen. Alle meine Leute sind gesund und
wohl gestellt, ich selbst warte auf ein seliges Ende.
Beten Sie auch in diesem Sinne für mich.
Ich nehme Abschied in Hoffnung auf ein
Wiedersechen in einem besseren Sein.

A. Rheinberger

Haben Sie Geduld mit meinem
Schreiben. Meine Hande sind nicht fest
und mein Kopf nicht klar.
Es ist besser als nichts.

______________

[1] LI LA AFRh Ha 17/25. Brief in Kurrentschrift.
[2] Orts-, Personen- und Monatsnamen sowie Fremdwörter, für die Alois Rheinberger die lateinische Schrift verwendete, werden im Editionstext kursiv gesetzt. Auf weitere einschlägige Fussnoten wird verzichtet.
[3] Ursprüngliche Fassung: „Gruẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[4] Unterstrichen und in lateinischer Schrift.
[5] Durchstreichung.
[6] Seitenwechsel.
[7] Neben dem deutschen Kaiser Wilhelm II. der österreichische Kaiser Franz Josef I.
[8] Unterstrichen.
[9] Unterstrichen.
[10] Unterstrichen.
[11] Unterstrichen.
[12] Durchstreichung.
[13] Seitenwechsel.
[14] Durchstreichung.
[15] Durchstreichung.
[16] Ab dem 28.7.1914.
[17] Liechtensteiner Volksblatt.
[18] Durchstreichung.