Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), mit einem Gedicht zum Rheineinbruch in Liechtenstein im Jahre 1846, an Emma Rheinberger [1]
07.03.1913, Nauvoo (Illinois)
Fräulein Emma Rhbrgr. [2]
Meine liebe Emma!
Ich sende Ihnen einen Bericht über den Rhein-
Einbruch in Vaduz im Sommer dess [3] Jahres 1844 [4].
Diejenigen, die dieses Unglück miterlebten
und darunter zu leiden hatten, sind wohl
bald Alle in der Ewigkeit, und für die Nachkommen
ist dieser Vorgang veraltet, und sie wissen nichts
von den Schrecken, Müchen, Kosten und mehr-
jährigen Verlusten, die er für die Gemeinde Vaduz
mit sich brachte.
Ich habe in der letzten Zeit altes, geschriebenes
und gedrucktes, verbrant und dabei fand ich diesen
Bericht wieder. Ich schrieb ihn in den ersten Jahren
meines Hierseins, versorgte ihn, und habe ihn
lange nicht mehr gesechen. Ich dachte, er möchte
Ihnen nicht unangenehm sein.
Mein Alter und mein Befinden mag mich entschuldigen,
er könte besser und deutlicher geschrieben sein,
aber, Sie werden sich zurecht finden. Meine
Hände sind nicht fest, mein Kopf dum, mein
Atem kurz und die Füsse wollen mich nicht
tragen.
Vom Wetter [5]
Vom Wetter:
October, November, Deccember und Januar 13
mild, sonnig und trocken, fast ganz Schneelos.
Februar nur einige sonnige Tage, sonst dunkel
und stürmisch. Am 26t ein dicker Schnee
dan sehr kalt, und der Merz fängt recht winterlich
an. Hoffend dass Sie, liebe Emma und die
werten Ihrigen sich guter Gesundheit erfreuen.
Empfangen Sie und die Ihrigen meinen
herzlichen Gruss und die besten Wünsche.
A. Rhbrgr. [6]
Erinnerung
an den Rhein-Einbruch in Vaduz
im Sommer des Jahres 1846 [7]
Sengend brennt die Sonne nieder
Kein Lüftchen mildert ihre Glut
Kein Wölkchen will den Himmel trüben
Schon einen Monat brent sie so
Dürr ist die Erde, welk die Pflanzen
Die Menschen matt und müd
O Vater, nur einen Tag uns Allen
Zur Linderung uns gieb!
Der gütige Schöpfer hat Erbarmen
Schon sammelt sich’s Gewölk
Gewitter schwere Wolken sammeln
Sich rings am Himmelszelt
Der Donner rollt, die Blitze zucken
Der Regen schon in Strömen fällt.
Wie schön ist die grünende Erde
Vom kühlenden Regen belebt
Die Saaten, die Gräser, die Bäume!
Der Landman vor Freude erbet.
Im Felde nur Fülle und Segen
Die Hitze, so glücklich gekühlt
Sieht fröhlich dem Herbste entgegen
Wo Haus und Scheune sich füllt. [8]
Sammelt die Kinder
Lässt die Händchen sie falten
Bringt dem gütigen Vater Dank
Für seine erquikenden Gaben.
Noch regnet es fort und fort
Schon ist es spät am Abend
Schon komt die Nacht und immer noch
strömt es wie am Tage.
Ahnungslos legt man sich nieder
Zu sorgenloser Ruh
Schwarz die Nacht, die Luft ist kühler
Man schläft so sanft, so gut. –
Hoch in dem Gebirge
Stürmt fürchterlich der Föhn
An seinem heissen Hauche schmelzen
Zu Strömen Eis und Schnee.
Am Turme schlägt es zwölf
Und es zerteilt sich das Gewölke
Der Mond zieht auf so silberhell
Tausend Sterne blinken
Im Thal herscht stille Ruh
Im Feld und in den Hütten
Man schläft so ruchig und so gut
Niemand will etwas fürchten.
Draussen am Rheine
Tobets fürchterlich, es stürzen
Von den Bergen, nach und fern
Wilde Ströme sich. [9]
Schon wächts er zur gewaltigen Flut
Dehnt sich zu beiden Ufern
Die Wogen brechen sich mit Wut
An ihren steinern Wuhren
Zerstörend stürzt die wilde Flut
Quer in langjähriges Menschen-Werk
Löset Stein um Stein mit Wut
Leckt schon die Dämme weg
Im Osten glänzet golden
Ein herrlich Morgenrot
Im Dorfe schläft man ruchig
Träumt nicht von [10] Sorg und Not
Warum den heute eilen
Es ist ja Kirchentag
Bis hell die Glocken leuten
Es keine Eile hat?
Auf! Auf!
Schalt‘s wie ein Traum in’s Ohr
Der Rhein ist eingebrochen!
Man horcht, man sint und kans nicht glauben
Und stärker als zuvor, schreits:
Auf! Auf! Entzetzlich ist die Not –
Jung und Alt, und Klein Gross
Springt hastig aus dem Bette
Reisset schnell die Fenster los
Und ringt entzetsend beide Hände [11]
Nicht mehr lacht die grüne Au
Nicht die goldne Saat dem Auge
Verschwunden alles wie ein Traum
Weg ist’s, der grausen Flut zum Raube
Hinaus stürtzt Mann und Jüngling
Und auch manch mutig Weib
Watend oft bis an die Hüfte
Bis sie den Bruch dess Dams erreicht
Da stehen sie der Verzweiflung gleich
Ratlos, zitternd, blass und bleich
Fühlen nicht, dass unter ihren Füssen
Der lecke Damm zu weichen scheint
Vor Ihren Augen ein gewaltiger Strom
Verlassen hat er die gewohnt Bahn
Wirft schäumend seine braunen Wellen
Durch einen Durchbruch Klafter lang
In ihre schönsten Felder
Kein Stein, kein Baum ist in der Näche
Zu hemmen der Zerstörung Bahn
Alles Viech ist auf der Weide
Fern in der kühlen Alp
Wohlan den, wir ziehen selbst die Wagen
Zurück eilt die entschlossne Schaar
Lässt zum Sturm die Glocken schallen
Schon ist gerüstet Mann und Weib
Vom Knaben bis zum Greise
Vom Wald schon hallet Streich auf Streich
Vom Felsen rollen Steine [12]
Die Wagen sind geladen
Bespant mit herrlichem Gespan
Jünglinge und Knaben
Kühn und mutig ziechen dran.
Und schnell hinaus zum Bruche
Wo rasch und wild sich drängt der Strom
Der grösser wird mit jeglicher Minute
Und grösser auch der Durchbruch schon
Kräftige Männer Schaar
Arbeitet hier wie Riesen
Legt Stamm auf Stamm
Rollt Stein auf Stein
Tief in dess Stromes Tiefen
Doch unnütz scheint es stets
Was sie ihm hier abgewinen
Reisst er dort unten mehrfach weg
Ich glaube es war an Peter und Pauls Tag [13] als dieses
Unglück sich ereignete. Bis Mittag waren
die Männer von Triesenberg und von den unteren Gemeinden
zur Hilfe da. Das Essen wurde alle Tage hinaus-
geführt. Es nahm ungefähr 3 Wochen bis der Bruch
wieder geschlossen war. Es kostete einen Wald
der prächtigsten Tannen und eine Fuhr Steine um die
Andere alle Tage. Türken und Kartoffeln waren
weg, die Felder und Wiesen versandet, und besonders
die Wiesen für 1 Paar Jahre Ertragslos. Nur noch
Katzenschwanz wuchs.