Handschriftliches Originalschreiben des David Bühler, Mauren, an Wilhelm Marock, Hammond (Indiana) [1]
14.07.1910, Mauren
Mein lieber Wilhelm [2]!
Dein werthes Schreiben vom 29. p. [(mensis) praeteriti] habe erhalten;
auch die Photographien [3] sind gleichzeitig angekommen.
Brief u. Bild haben mich unaussprechlich gefreut.
Da ich Dich leider nur aus unserer Correspondenz [4] kannte,
hat Dein Bild für mich den unaussprechlichen Werth, dass [5]
ich nun meinen besten Freund mir auch in Person [6]
vorstellen kann.
Du musst wirklich eine Kernnatur haben, denn
trotz Deiner Strapatzen u. trotz Deines Alters von 61 Jahren
erscheinst Du noch ungebeugt u. ich hoffe dass noch viele
Jahre vergehen, bis die Vorsehung [7] daran geht, diesen
Baum zu fällen.
Das Bild, auf dem Du allein aufgenommen bist,
habe ich dem Ferdinand [Marock] [8] gegeben; dasjenige, welches auch
Dein Schwiegersohn Herr Franz Mazzall [9] zeigt habe für
mich behalten. Dein Schwiegersohn zeigt ein äusserst
einnehmendes Äussere, von gutem Sinn u. gutem
Humor; wie dauert es mich, dass ich nicht bei Euch
in Gesellschaft sein kann.
Ich danke Dir herzlich lieber Wilhelm, für die Bilder
u. werde gewiss Zeitlebens Eurer Photographie [10]
einen Ehrenplatz geben. [11]
Deine Farm habe in Klafter ausgerechnet und
mag Dieselbe wohl nach amerikanischen Begriffen
klein, nach unseren Verhältnissen aber ein ungeheuer
grosses Gut sein.
Die Nachricht von dem so jähen Hinscheiden
Deiner Tochter Marie [12] in diesen schönen Jahren hat
mich tief ergriffen u. ich drücke Dir hiemit mein
herzlichstes Beileid aus. Ich erinnerte mich dabei an
meine sel. Mutter [Maria Magdalena Bühler [-Kieber]], deren Verlust ich erst in den reiferen
Jahren fühlte. Ich würde heute alle irdische Habe opfern,
wenn ich nur noch meine Mutter hätte.
Es ist gewiss ein erhebendes Gefühl, das Kind
einer so schnell hinweggerafften Mutter pflegen zu
können u. das jüngste Kind, das Du übernommen hast
wird Dir gewiss für diese Wohlthat ewig dankbar sein.
Noch etwas zu Mauren:
Andreas [Marock] [13] Dein Bruder trauert immer noch um
seine Gattin [Katharina Marock [-Kieber]] u. fühlt sich allein auf der Welt, trotzdem
ihn der Urban [Marock] u. die anderen Kinder aufmuntern
u. nicht darben lassen.
Dein Bruder Jacob [Jakob Marock] [14] ist Lebensversicherungsagent
u. reist immer auf diesem scheints lohnenden,
nach meinem Begriffe aber langweiligen Berufe.
Ferdinand [Marock] [15] altert auch u. ist empfindlich
für jeden Witterungswechsel; doch seine Kinder
sind stark u. nehmen ihm die schwere Arbeit ab. [16]
Gottfried [Marock] ist im Gegensatze zu früher ein ganz
ruhiger Mann; in seinen Mussestunden befasst er
sich mit Schnitzerei; erzeugt jedoch etwas ungeformte
Heilige [17]; es mangelt jedenfalls in der Kunst die Theorie [18]
u. dürften sich seine diessbezüglichen Talente [19] etwa
ein halbes Jahr Hundert zu spät entwikelt haben.
Hr. Urban [Marock] ist immer noch Pfarrer in Reichenburg [20],
er ist ein geistlicher Herr, wie sie sein sollen auch nach
Auffassung unserer politisch [21] liberalen Anschauung.
Meine Wenigkeit sitzt immer in der Kanzlei
mit Abwechslung von wöchentlich 1-2 Gänge zu
Verhandlungen vor Gericht u. hie u. da einer anderen
kleinen Geschäftsreise. Ich bin gottlob mit der ganzen
Familie gesund u. bringe, wenn ich fleissig bin
den Zins für meine Hypothekarschulden [22] u. noch
hie u. da einen kleinen Sparpfennig zusammen.
Meine einzige Erholung suche ich wöchentlich etwa
einmal in der Jagd u. auf dem Schiessstande.
Für diesen Sport bin ich leidenschaftlich eingenommen,
gegen andere Unterhaltungen und Feste bin ich stumpf.
Meine älteste Tochter Olga [Bühler] ist nun 13 Jahre, Oswald [Bühler] 12 Jahre
alt, Walter [Bühler] 1 ¾, alle sind munter. [23]
Ich werde Dir später ein Familienbild senden
muss aber noch ein Accouchement [24] [25] abwarten [26]
u. es fällt mir unwidersehlich dabei das treffende
Sprichwort ein: „Alter schützt vor Thorheit nicht“.
Wir wollen also mag da kommen was
wolle der Zukunft mit sicherem Auge entgegenschauen
u. ich muss mich für heute anschiken, dieses Schreiben
zu schliessen.
Schreibe mir bald wieder, lieber Wilhelm
denn keine Briefe interessiren mich so sehr, wie
die Deinen u. ich danke nochmals herzlich für
Dein Bild.
Viele herzliche Grüsse von Deinen Brüdern, meiner
Frau [Wilhelmina Bühler [-Marock]], meinen Kindern insbesondere aber
von Deinem treuesten Freunde
David Bühler [27]
Grüsse uns auch alle die Deinen.