Martina Gstöhl an ihre Schwester Balbina Gstöhl über die Rückkehr ihres Mannes aus dem Krieg, die Ablehnung ihres Niederlassungsgesuches in Liechtenstein, die neue Zollgrenze zwischen Liechtenstein und Österreich, den Erhalt einer Geldsendung aus Amerika, die Arbeit des Mannes als Schnapsbrenner, die Lebensmittel- und Kleiderpreise in Österreich, Klagen über Schmuggler und Schieber, die Bitte um die Zusendung von Kleidern aus Amerika, einige Todesfälle in Eschen, den Verkauf eines Bauernhofes in Ludesch sowie die dortigen Viehpreise


Handschriftliches Originalschreiben (Fragment) der Martina Hartmann [-Gstöhl], Ludesch (Vorarlberg), an ihre Schwester Balbina (Marie Balbina Öhri [-Gstöhl]), Spencer (Nebraska) [1]

21.04.1920, Ludesch (Vorarlberg)

Liebe Schwester und Familie! [2]

Vor allem andern senden
wir Euch viele tausend Grüsse [3]
von Östreich, von diesem lieben
treuen Lande. Es ist hier gegen-
wärtig nur so solid u. gut, dass
man sich fast einwenig schämen
muss, hierher zu gehören. Doch wollen
wir zufrieden sein, kam doch mein
Mann [Johann Josef Hartmann] wieder nach Hause. Seine
vorherige Gesundheit hat er wohl
etwas eingebüsst, aber doch ist er
nicht ganz dem elendign Räuber-
kriege zum Opfer gefallen. Auch
ihr werdet wohl froh gewesen sein,
dass es ein End genommen, bevor Deine
Söhne wie Du schreibst noch einrüken
mussten. [4]
Dies einrüken auf ein Wieder-
oder Nicht wiedersehen war hart.
Nun das Eine haben wir jetzt
vorüber, aber das Nachweh.
Wir wollten schon letztes Früh-
jahr nach Lichtenstein bekamen
aber keine Niederlassung wegen
Lebensmittelmangel. Jetzt ver-
kehrt Lichtenstein mit der Schweiz,
ist daher die Zollgrenze in Tisis
u. Nofels. Habe Dir letztes
Jahr also 1919 im Frühjahr von
dort 2 Briefe gesendet. Das Geld
habe erhalten, war aber kein
Absender dabei, aber eine Rük-
antwortkarte, welche ich sofort
ausgefüllt, mich so gut wie möglich
bedankt, u. weil ich glauben [5]
musste, dass das Geld von Euch
komme, habe noch verschiedes auf
diese Karte geschrieben, weil be-
merkt war, dass selbe der Geld-
absender [6] ganz bestimmt bekomme.
Habe auch nachher von hier aus
Dir sofort geschrieben in einem
Briefe, dass ich das Geld erhalten,
aber nie eine Antwort bekommen.
Dein Brief vom 20. Sept. 19, welcher
Du nach Postrestant [7] Haag sendest
habe ich erhalten im Jänner, u.
Dir sofort Antwort gesendet, bis
heute aber von da nichts mehr
von Euch gehört. Hast Du den
Brief nicht bekommen vom Neujahr
20. Du schreibst od. fragst was wir
thun. Mein Mann thut Schnaps
brennen jetzt für die Bauern [8]
Man hat hier eine fahrbare
Brennerei. Er verdient in der Stund
3 Kronen. Zahlen aber für die Milch
1’50 -1’80 hl. Für Butter 100-120
Kr. per Kilo für Mehl 10’52 für
Mais 12’52 per Kilo. Heute hat
man wieder Reis bekommen per
Kilo 28’50 Kr. Wir bekommen alle
Monat 20 dg. Butter per Kopf vom
Land der kostet jetzt noch 32 Kr.
per Kilo. Also 60 dg. per Monat
dan kann man gut kochen u. um
100-120 Kr. bei dem Lohn kann man
kein Butter kaufen. Die Schmuggler
bezahlen ales teuer, dass man
nichts mehr kaufen kann, nebst was
man mit den Karten bekommt, u.
das würde man jede Woche in 3 Tagen
essen, hauptsächlich das Schmalz 20 dg
peer Monat. [9]
Kartoffel kostet Kilo 5 Kr.
Aber mit der Kleidung sieht es
auch so schlimm aus. Schuhe bekommt man
z. B. der Tochter 13 Jahre alt ein paar
Schuhe 500-600 kr. Männer Schuhe auf
Werktag 16-1800 Kr. Kleider z. B.
Schürzenstoff 112-140 Kr. Baumwoll-
stoff zu Bluse od Rok 180-220 Kr.
Kleiderstoff für Sonntag Wolle mit Baum-
wolle gemischt 6-700 Kr. per Meter.
Männerhose für Werktag 8-900 Kr. per
Meter. Eine Kleidung für Sonntag
nebst Zubehör u. Macherlohn 4000 Kr.
sage viertausend Kronen. Mein
Mann hat Werktaghose ich weis nicht
mehr wie flicken, keine Flek mehr u.
kein Faden, der Spulen Faden kostet
heute 54 Kr in 8 Tagen vielleicht
aber schon 80 Kr. Die Preise mit allem
steigen täglich. Habe gestern wollen [10]
eine Bürste kaufen eine Stielbürste
[11], aber ich habe es schön bleiben
lassen, sobald ich den Preis sah 54 Kr.
Der Liter Schnaps kostet 120-140 Kr.
u. ist nicht etwas nothwendiges.
So machen es hier die Bauern. Ihr
solltet können euer Zeug hier ver-
kaufen. Stk Eie 4-8 Kr. Schmuggler
bezahlen 8 Kr. wens nicht billiger bekommen.
Kg. Selchfleisch 60-80-100 Kr. Ich habe
schon 4 Jahre kein Eie mehr gekauft.
Im Mai sagt man verlangen die
Bauern 3 Kr. per Liter Milch, hier
hat es solche wo sagen 5 Kr. wäre nicht
zu viel. Solche Leute die keine eigene
Schafwolle haben können jetzt dann
bald nakt gehen. Jetzt habe ich euch
geschieldert wie es in Östreich steht. [12]
Im Unterland z.B. von Frastanz
an schon, da giebt es lauter Schmuggler
u. Schieber, diese haben Geld genug.
Sie schmuggeln das Zeug in die
Schweiz dort bekommens Franken
dan machens die schönsten Geschäfte.
In der Fasching soll in Lustenau
ein Schmugglerball gewesen sein.
War in der Zeitung 1000 Kr. Eintritt.
Eine Kelnerin soll ein Schürze ge-
tragen aus lauter 1000 Banknoten-
scheine. Und hier im Ober-
oder Hinterland soll man nicht ein-
mal die nöthigste Kleidung u. das Essen
kaufen können. Eine solche Sau-
wirtschaft haben wir samt, Regierung.
Hätten wir das Telephon zu euch,
ich könnte euch alle Tage schauerhafte [13]
Geschichten erzählen.
Jetzt kommen wier aber zu etwas anderm
aber nicht zu etwas besserm.
Du hast in Deinem Briefe bemerkt,
dass Du uns könntest Fette u. so Zeug
senden. Jetzt möchte ich Dir aber zu
wissen machen, dass man solches senden
könnte durch die Hilfsaktion mit [14]
der amerikanischen Kinderausspeisung
Auch kann man 5 Kilo 10 Pfund Post-
paket senden. Hier ist eine Famielie
der Mann hat eine Schwester im
Amerika, die hat gesendet zuerst hat
selbe eine Probe gemacht ob es durchgehe
mit Tabak, sie habens bekommen, nachher
wieder mit Kleider, alte u. Stoff, es
kam alles an, auch Faden hat sie ge-
sendet. Natürlich Lebensmittel
habe diese schon eigene. [15]
Ich würde daher auch gerne bitten
wen Du mir od. uns etwas senden
würdest. Ich weiss wohl, dass es Deiner
Famielie vielleicht nicht angenehm ist,
weil ich es euch, wenn ihr nicht solltet
nach Östreich kommen, nicht zurücker-
statten kann, ausser im Falle mir
kämen zur Schweiz, u. würden so zu
Frankengeld kommen, den beim gegen-
wärtigen Geldkurs wäre es ja nie
möglich, wo der Frank immer noch 30-35
kronen ist. Wenn Du uns nur
altes Zeug schiken würdest, etwa
vom Ulrich [Öhri] meinem Mann alte
Hosen od. für Tochter etwas, oder
Tachentücher, wie haben bald [16]
kar keine mehr u. hab so viel ge-
habt, aber der Mann hat immer
mit fort u. nichts mehr gebracht.
So ging es mit allem mit den
Hemden mit den Soken u. mit
allem, sie wurden immer voller
Lause dann hat mans weg geworfen.
Tochter hat auch keine Röke mehr
alles zu kurz, wen es nur altes Zeug
ist, ich wills schon zamen fliken. Natür-
lich kann man nur 5 Kg. Postpaket
senden, ob Kleider geht durch die
Hilfsaktion weiss ich nicht. Hier in
unserm Östreich kann man solches
nicht erfragen. Lebensmittel durch
die Hilfsaktion geht wie man zu [17]
mir sagt bis auf 63 Kg. Ich sende
Dir die Adresse von dem Herrn
welcher eben die Schwester hat von diesem
Ludescher. Diese Frau hat von Geburt
aus keine Füsse, ist aber eine feste
nette Frau. Ich weiss nicht mehr welches
Jahr das sie nach Amerika sind, grad
vor dem Krieg od. im Anfang desselben.

Amerika
Mr. Johannes Günther

c/of Mr. Ruedy
3805 Harriet Ave
Mineapolis Minnesota
. [18]

Wenn Du uns etwas senden könntest [19]
u. nirgens eine Auskunft weisst so
darf Du schon diesen schreiben, die
Frau heisst Antonia Matt. Der Bruder
hier, von ihr [20] war zu meinem Mann
ein Spielkolege bei der Assentierung [21]
ano 1900. Dieser Matt ist heute noch
ein guter aber leider, blinder
Kolege von Mann, ein Kriegsinva-
lide. Die Postpakete müssen
als Liebesgaben auf gegeben werden.
Du hast geschrieben, dass Du schon ein
zu langer Brief geschrieben das
letzte mal, uns war er noch viel
zu kurz, aber ich darf schreiben,
dass ich ein zu langer Bettelbrief
geschrieben, aber ich möchte euch nur
so 3-4 Wochen zu uns versetzen. [22]
Von Eschen kann ich Dir nicht viel
schreiben. Ich war schon 1 Jahr nicht
mehr draussen. Als ich das letzte
mal draussen war, war ich beim
Keller. Hat mir Gruss übergeben an
dich, ich weiss nicht hab ich es im letzten
Brief geschrieben od. nicht. Habe in
der Zeitung gelesen, dass der Kreuz
Jakili [Jakob Theodul Batliner] gestorben ist. Ritters Mina [Hermina Ottilia Batliner [-Ritter]] ist schon 2 Jahre kränklich, Alber-
tina [Albertina Marxer [-Ritter]] ist auch gestorben u. Andre-
as [Andreas Theodor Ritter]. Mina war mit dem Wisa
verheiratet, aber blos 3-4 Wochen
bei ihm. Ich schreibe bald einmal
hinaus um die Neujkeiten,
nachher werde Dir selbe mittheilen [23]
Bekommt ihr ein Schreiben von
Ruggell od. Gamprin. Ich war
ana 18 in Gamprin hamstern.
Hab vom Annele Butter u, Fleisch
bekommen, aber nicht um Wucher-
preis, um einige Kronen beides
u. noch 1 Ei. Wenn unser Geld nur
mehr Wert hätte wie vor dem
Kriege, dann würde ich Dir hie
u. da etwas schreiben.
Schreibe mir recht bald ob Du
den letzten Brief erhalten, u. wie
es bei euch geht, ob alles so ziemlich
gut, ob der Ulrich u. der Sohn
nicht besser sind. Sende uns ein
Bild von eurem Haus, wir [24]
möchten es doch wenigsten auf
dem Bilde kennen lernen.
Wenn es einmal besser ist in
Östreich kommt hieher. Ich könnte
zwar nicht sagen, dass es für
Bauern schlecht wäre hier. Diese
machen gute Geschäfte, wen ihr
z. B. euere  Farm hier verkaufen
könnt, ihr würden Millionen
daraus lösen, wenn z. B. 1 Leghenne
300 Kr. kostet ein Schaf 2000-2200
eine Kuh 22‘000 Kr. kostet 1) 3 Wochen
altes Ferkel 12-1400 Kronnen eine
Ziege 2000 Kr. Es ist hier eine alte
Ledige gestorben, da wird im
Herbst das Haus samt Gut verkauft.
Es ist schon ein gutes Haus, sagen das
beste in Ludesch weil es troken u. schön
ist. [25]
Es ist Boden dabei, dass man so 2
Stk Vieh wintern könnte. Wir
haben auch schon darüber gesprochen,
bevor wir etwas wussten. So um
70‘000 Kr. würden wir es auch kaufen
wie wohl wir nichts haben, aber
bei solchen Milch, Butter, Schwein
u. vor allem hohen Preisen, würden
wir den Zins auch aufbringen.
Jetzt haben wir aber gehört, dass
es soll auf 2-300‘000 Kr. kommen,
den den Bauern kommt es nicht drauf
an, die haben es ja genügend.
Ich bin neugierig ob Du meine
Briefe bekommst, denn der Matt
welchen ich in diesem Briefe genannt,
bekommt alle Monat ein Schreiben. [26]

______________

[1] LI LA PA 016/3/11/07.
[2] In lateinischer Schrift.
[3] Ursprüngliche Fassung: „Grüẞe“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[4] Seitenwechsel.
[5] Seitenwechsel.
[6] Durchstreichung. 
[7] „En poste restante“: postlagernd.
[8] Seitenwechsel.
[9] Seitenwechsel.
[10] Seitenwechsel.
[11] Durchstreichung.
[12] Seitenwechsel.
[13] Seitenwechsel.
[14] Durchstreichung.
[15] Seitenwechsel.
[16] Seitenwechsel.
[17] Seitenwechsel.
[18] In lateinischer Schrift.
[19] Seitenwechsel.
[20] Durchstreichung.
[21] „Assentierung“: Musterung der Wehrpflichtigen in Österreich.
[22]  Seitenwechsel.
[23] Seitenwechsel.
[24] Seitenwechsel.
[25] Seitenwechsel.
[26] Der Brief bricht hier ab.