Handschriftliches Originalschreiben (Fragment) der Martina Hartmann [-Gstöhl], Ludesch (Vorarlberg), an ihre Schwester Balbina (Marie Balbina Öhri [-Gstöhl]), Spencer (Nebraska) [1]
13.05.1915, Ludesch (Vorarlberg)
Liebe Schwester!
Ich habe Dein Schreiben er-
halten u. darin vernomen,
dass [2] Du auch krank bist, u. Dich
auf Besserung, wahrscheinlich
wieder verkühlt hast. Gut wäre
wenn Du solches bekommen könntest,
Nussbaumlaubthee, u. auf
die leidende Stelle heisser
fein verarbeiteter Bollenkäs
auflegen, etwa ½ - 1 Stunde am
Abend beim Bettgehen, aber
länger ja nicht als eine Stunde
weil sonst zu kalt. [3]
Habe auch vernommen, dass Ulrich [Öhri]
Rematismuss hat, o das ist auch
ein fruchbarer Schmerz, ich kenne
das auch. Hier legen die Leute
Harzfleken auf für diese Schmer-
zen. Haltet nur auch recht Sor-
ge für Euch, damit ihr den Kindern
noch lange am Leben erhalten
bleibt, denn wir selbst haben
es erfahren, was Kinder ohne
Mutter, [4] u. desgleichen auch
ohne Vater mitzumachen
haben. Ich trage schon auch
Sorge für mich, so gut ich kann, [5]
habe es schon bald 10 Jahre
so hinaus gebracht, u. wenn ich
nicht viel arbeite geht es schon.
Wenn man halt dreifach Brest-
haft [6] ist, gehts halt anderst nicht
als schonnen. Ich habe mich
letzthin verkühlt, ich war nach
Bludenz u. kam unter einen
starken Regen, das muss ich
schon noch lange büssen.
Du schreibst, dass ihr so viel
Vieh u. Schweine zum verkaufen
hättet. Hier wäre man froh
darum. Die Metzger sagen [7]
sie bekommen fast nichts
mehr zum schlachten. Rindfl.
kostet Kilo in der Metzg 2 Kr. 60 hl.
Schweifl. weiss ich nicht genau
weil ich keins kauf aber hören
thu ich 3 Kr. per Kl. Kartoffel
habe ich gekauft 100 Kl. für
22 Kronen. Kilo Mehl in
solchen Gemeinden wo man
noch hat Kilo 1 Kr. 40 heller.
Aber man bekommt keins
in einer andern Gemein-
de, weil man Büchlein
hat für Mehl u. Brot. Hier
in Ludesch hat man schon
bald 2 Monat weder Korn [8]
noch Maismehl u. vor-
her hat man 20 dg peer
Kopf alle 5 Tage bekommen
kanst Dir denken, wie gross
der Vorrat ist. Es hat schon
noch hier wo Mehl haben,
aber nicht viel. Ich ginge
gerne ins Lichtenstein,
dort habens Brot u. Mehl
von der Schweiz her. Was
für Elend dieser Krieg bringt,
das sehen wir erst wann er fertig
ist. Jetzt hat man blos mit
der Not der Lebensmittel
zu kämpfen, nachher kommt [9]
erst das Elend der Brest haften,
u. das Elend tausender von
Familien wo keinen Ernährer
mehr haben. Man sagt ein
hl. Krieg, kommt doch alles
was heilig ist von Gott u.
der Herrgott will doch, dass
man im Frieden lebe
u. nicht in Feindschaft.
Gott sei dank bis dahin
ist mein Mann [Johann Josef Hartmann] noch ge-
sund am Leben erhalten
geblieben. Bitte Dich mit
Deiner Famielie, selben [10]
auch hie u. da im Gebete ein-
gedenk zu sein, welches wir
auch für Euch thun wollen.
Was machen Eure Söhne,
sind sie schon los von der
Volkschule u. recht gross u.
stark u. die Tochter auch.
Unsere ist gross, nur zu
gross zu ihrem Alter. Sie
war am 26. Dezember 9 Jahre.
Sie heisst Katharina, wie
vom Mann, Mutter u.
Schwester, welche beide sehr
schnell gestorben, u. meinem [11]
Manne sehr nahe lagen. Ich
kannte zwar beide nicht aber der
Mann erzählt viel von ihnen
hauptsächlich von der Mutter.
Hoffe, dass mein Mann zu
Hause ist, bis ich Antwort habe
von Dir auf diesen Brief.
Man glaubt halt immer es müsse
bald ein Ende nehmen. Von
meinem Mann des Bruders
Stiefsohn ist auch gefallen, war
22 Jahre alt. Heute war der
Seelengottesdienst u. die Kreuz
stellung auf dem Friedhof für
ihn. Am Charsamstag ist er
gestorben. Herr Pfarrer
sagte mit dem Herrgott gestorben [12]
______________
[1] LI LA PA 016/3/11/06. Brief in Kurrentschrift.
[2] Ursprüngliche Fassung: „daẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[3] Seitenwechsel.
[4] Die Mutter Veronika Gstöhl [-Risch] war bereits am 17.7.1881 verstorben.
[5] Seitenwechsel.
[6] "Bresthaft": schadhaft, mangelhaft.
[7] Seitenwechsel.
[8] Seitenwechsel.
[9] Seitenwechsel.
[10] Seitenwechsel.
[11] Seitenwechsel.
[12] Der Brief bricht hier ab.