Martina Gstöhl an ihre Schwester Balbina Gstöhl über ihre Erkrankung, die Kosten für Arzneimittel, die kriegsbedingte Einberufung ihres Mannes zum Militär, die Errichtung eines Grabsteins für ihre Eltern auf dem Eschner Friedhof, die Inflation und die Lebensmittelpreise in Österreich, das Auftreten der Cholera auf dem Kriegsschauplatz sowie die Eheschliessungen und Todesfälle in Eschen


Handschriftliches Originalschreiben der Martina Hartmann [-Gstöhl], Ludesch (Vorarlberg), an ihre Schwester Balbina (Marie Balbina Öhri [-Gstöhl]), Spencer (Nebraska) [1]

25.12.1914, Ludesch (Vorarlberg)

Liebe Schwester, Schwager [Ulrich Öhri] u. liebe
Kinder!

Ich wünsche Euch recht vieles
Glük u. Segen zum neuen
Jahre. Der lb. Gott möge Euch
noch recht viele Jahre in bester
Gesundheit erhalten. Ich bitte
um Entschuldigung, dass [2] ich so
lange nicht mehr geschrieben,
ich habe immer so viel mit mir selbst
zu thun. Ich bin schon seit bald
10 Jahren mehr od. weniger immer
krank. Ich leide an furchtbarer
Blutarmut u. sonst verschiedenen [3]
Gebrechen, unheilbar krank sagen
die Ärzte. Einmal habe ich ein
Mittel erfunden u. probirt, welches
mir sehr gut kam, aber würde alle
Wochen 3 Kronen kosten, das ist
für mich zu vieles Geld. Ich habe
schon vieles Geld ausgegeben als
ich krank im Bette war ein ganzes
halbes Jahr o das kostet furchbar Geld.
Jetzt habe ich der Mann [Johann Josef Hartmann] noch auf
dem Kriegsplatze, nun Gott sei
Dank bisher noch gesund. Er
musste den 1. August [1914] einrücken,
nachher war ich mit dem Kinde
in Eschen im Herbst etwa 3
Wochen, Kind war 6 Wochen
draussen bei meiner Gotha [4]
Veronika. Ich hätte auch gerne
nächsten Sommer den Eltern
einen neuen Grabstein machen
lassen, man hat den Vater [Franz Josef Gstöhl] be-
erdigt bei Mutters [Veronika Gstöhl [-Risch]] Grab u. dann
nur ein altes Grabkreuz hinge-
stellt, Tante [Magdalena Gstöhl] hat es so haben wollen.
Ich habe mir damals gedacht wenn
dann Tante stirbt so wolle ich
die Eltern u. Tante u. Vetter
alles auf einen Grabstein machen
lassen, da ist es anders gekommen.
Jetzt möchte ich eben den Eltern
auch so ein schöner Grabstein machen
lassen, wie der Universalerbe [Johann Ritter]
der Tante hat machen lassen. [5]
Ihr habt früher immer geschrieben,
dass ihr nach Östreich kommen werdet,
möchte euch daher daran erinnern, dass
ihr es nicht ganz vergiesst. Wisst ihr
den Jahrgang noch nicht wo ihr
solches zu thun, Willens seid. Gegen-
wärtig ist es zwar in Östreich nicht
gar so gut es ist alles furchbar theuer.
Ich weiss noch gut, dass der Weggen od.
Leib Brot 11 Kreuzer gekostet hat
jetzt kostet er 30 Kreuzer 60 Heller.
Mehl 1 K [Kilo] 14 Kreuzer jetzt 40 Kreuzer 80 Heller
das Stk Ei 2 Kreuzer jetzt 8 Kreuzer 16 Heller
u. so immer fort alles, alles furchtbar.
Ich denke aber wenn der Krieg einmal
fertig; wird dann doch alles wieder
billiger werden. Es sind den doch
viele Milionen Menschen weniger
zum leben, [6]
den der Krieg kostet viele Milonen
Menschleben. Eure Kinder sollen
auch hie u. da etwas beten für mein
Mann, damit er doch wieder zurük
kommt. Es giebt noch so viele Cholera
kranke auf dem Kriegsplatze, sind schon
viele daran gestorben. Was wird der
Krieg noch anrichten im neuen Jahre.
Gegenwärtig könnte es eins schon
abschrecken nur davon zu reden nach
Östreich zu kommen, aber wir wollen
immer das bessere hoffen. Ich warte
immer mit Sehnsucht auf ein Schreiben
vom Mann ob er doch noch am
Leben sei, nur wegen dem
Kinde. Liebe Schwester Du hast
dann früher immer geschrieben [7]
ich soll Dir dennoch schreiben, wenn
Du gerade nicht schreiben würdest,
mache es mir bei mir jetzt auch so, denn
ich habe vielmal nicht einmal das
Geld, dass ich nur Marken kaufen
könnte. Jetzt ist mein Mann
schon 5 Monate im Kriege u.
hat noch kein Ende, vielleicht noch
mehr als 5 Monate nicht, o eine
lange Zeit, o wenn man nicht
gesund ist, wie fühlt man sich
so verlassen, o nur mein
armes Kind, wenn diese nicht
wäre würde es mir ja gut gehen
wenn ich sterben könnte, u. jetzt
könnte es noch sein, dass mein
Mann noch vor mir sterben
würde u. ist noch so jung, es ist [8]
sehr hart für mich nur an dieses
zu denken. Jetzt will ich aber
hören mit mir u. will noch
einiges von Eschen schreiben.
Die Emma / Tochter von Gotha ist auch
gestorben in Zürich im Spital, sie
haben sie aber hergenommen. Ich
war draussen bei der Leiche, schon
im Sommer. Gstöhls sind jetzt alle
verheiratet bis an Hans. [9] Karlina [Maria Karolina Schweigkofler [-Gstöhl]] ist
in Feldkirch hat ein Metzger [Josef Schweigkofler], Josefa [Maria Josefa Speckli [-Gstöhl]]
ist in Tisis, Theres [Maria Theresia Ritter [-Gstöhl]] ist in Eschen [bei]
Ritterle Andreas [Andreas Theodor Ritter] er ist Postmeister
dort, Zila [Cäcilia Schächle [-Gstöhl]] hat der Strube Schächle [Wilhelm Schächle].
Die Post ist jetzt nicht mehr in Nendeln [10]
sondern beim Gstöhl, der Alte [Johann Gstöhl] lebt
immer noch, Theres [Theresia Gstöhl [-Frick]] ist schon längst ge-
storben. Der Rischle Martin [Franz Martin Risch] ist
auch gestorben. Ritterles Mina
hat mit dem Weissen Rothanannnes [11]
geheiratet, war aber blos 6 Wochen dort
ist sie wieder heim. Der Reinhard ist
auch noch ledig u. Magdalena Schächles
Klara hats auch nicht recht mit ihren
Kindern ein Mädel ist gesund u.
ein Mädel u. der Bua sind
Nervenkrank, das Mädel ist jetzt
schon 26 Jahre u. kann gar nichts
arbeiten, sie hat immer solche Nerven-
rüttel, der Bua arbeitet schon aber keine
strenge Arbeit, die muss Klara immer selbst
machen. Sonst gebens grossartig in Eschen
alles Elektrisch, [12] hier zwar auch u. ist ein
solches Nest.

Ich schlisse nun mein Schreiben
in der frohen Erwartung, dass Euch
dieser Brief gesund antrift u. dass Ihr
auch bald etwas hören lässt von Euch
Nochmals viel Glük zum neuen Jahr
Martina Hartmann u. Kind
in Ludesch
Vorarlberg.

______________

[1] LI LA PA 016/3/11/05. Brief in Kurrentschrift.
[2] Ursprüngliche Fassung: „daẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[3] Seitenwechsel.
[4] Seitenwechsel.
[5] Seitenwechsel.
[6] Seitenwechsel.
[7] Seitenwechsel.
[8] Seitenwechsel.
[9] Vgl. Eschner Familienbuch, Bd. I, S. 104.
[10] Das Postamt Nendeln war zwischen 1864 und 1912 für das gesamte Unterland zuständig. Vgl. HLFL, Bd. 2, S. 722 (Artikel: „Post“).
[11] Seitenwechsel.
[12] Die Stadtwerke Feldkirch lieferten ab 1911 Strom an die Gemeinde Eschen. Vgl. HLFL, Bd. 1, S. 177 (Artikel: „Elektrifizierung“).