Handschriftliches Originalschreiben (Fragment) der Katharina Brendle (Maria Katharina Gerner [-Brendle]), Batschuns (Vorarlberg), an ihre Firmpatin Balbina Gstöhl (Marie Balbina Öhri [-Gstöhl]), Spencer (Nebraska) [1]
23.11.1904, Batschuns (Vorarlberg)
Innigstgeliebte teure
Firmpathin!
Wiederum ergreif ich die Feder
um Euch lb. Pathin wieder etwas weniges
von uns u. Eueren ehemaligen Heimat mit-
zuteilen u. Euch ein wenig zu überraschen
mit einem Bilde [2] von unserer Familie
jetzt bestehend aus 5 Familien. Ihr werdet
wohl Keines mehr teutlich erkennen.
Die Mutter [Maria Katharina Brendle [-Helbert]] werdet Ihr doch noch kennen
neben Ihr sitzt Karolina [Gerner [-Brendle]] mit ihrem
Knaben auf der Schoss [3] mit Namen Anton
er war am 11. Nov. 1 Jahr neben ihr sitzt
Helena hinter der steht Jakob u. haltet
die kleine Balbina, neben der Balbina
steht Emilie u. Alois mit ihrem Josef dann
komm ich u. dann Madgalina, Adam [Hasler] u. Bertha [Berta Hasler [-Brendle]]
mit ihrem Sohn Josef u. der zwischen Vater [Josef Brendle sen.] u. Mutter
nämlich der Ludwig gehört auch der Bertha [4]
neben dem Vater sitzt Josefa [Maria Josefa Dredla [-Brendle]] mit der
kleinen Ida hinter ihr steht ihr Mann [Augustin Dredla]
u. haltet den Knaben mit Namen
Alfons denn obendrein ist unser lb.
teurer unvergesselicher Bruder [Josef Brendle jun.]. Hier
ist er 15 Jahre wir hatten kein richtiges
Pfotografie von ihm nur von einer
mislungenen Schulpfotografie aber es
ist doch noch besser als gar nicht. Jetzt
wäre er 19 Jahre u. könnte uns den Eltern
schon sehr viel nützen aber leider es Gottes
Wille nicht. Jetzt kommen die herben Tage
26. Nov. [1900] war sein Todestag es sind schon 4
Jahre o wie oft muss ich weinen um
den lb. Bruder, wäre er nicht gestorben so
müsste ich auch nicht immer bei fremden
Leuten sein, dan hätten wir auch wie
andere Leute zu Hause Verdienst. Im
Sommer war ich zu Hause u. hatte meinen
Eltern bei der Feldarbei mitgeholfen, seit
11. Nov. bin ich wieder in Batschuns bei einer
Familie bestehend aus Vater u. zwei Söhnen [5]
Sie haben ein grossartiges Bauerngeschäft. Habe
schon sehr streng aber zu essen gut u. genug u.
12 fl. Mt. Lohn. Wäre sehr gern wieder nach
Rorschach aber ich kann dort nicht sein da
mir die Seeluft zu stark zusetzt es ist
Berta auch leid genug. Sie jammert immer
sie müsse eine fremde Magd haben ich
müsse auch zu fremden Leuten, aber es
wär zu schön gewesen es soll nicht sein.
Hätte diesen Herbst sehr gut heiraten können
u. hätte es sehr gerne gethan, wäre nach
Glarus gekommen, der Bursch hatte schön verdient
jeden Mt. 105 Fr. Kost u. Logis frei, das wäre
ja schön, aber meine Eltern halten mich
zurück, ich habe immer Erbarmis mit ihnen
u. denke den auch wieder es sei doch traurig
dass sie so viel Kinder gross gezogen u.
keins wolle bei ihnen bleiben, u. somit
machte ich der Bekanntschaft sehr ungern
(aus Liebe zu den Eltern) ein Ende u. dachte
auf den Ehestand zu verzichten. Im übrigen
sind wir Alle gesund u. hoffen von Euch [6] u.
Eurer Familie das Gleiche. Emilie [Kaufmann [-Brendle]] hat auch geheiratet
diesen Herbst mit dem Alois Kaufmann von dem
sie das Kind hatte. Sie sind auch in Rorschach. [7]
Es geht ihnen auch sehr gut können Beide
viel verdienen der Adam [Hasler] hat diesen Sommer in
Rorschach ein Haus gekauft es kostet 26'900 Fr.
Josefa u. Emilie sind auch bei ihnen u.
zahlt jede 38 Fr. u. eine Partie Fremde
zahlen 50 Fr. per Monat jetzt haben sie's
sehr schön beisammen. Der Vater wollte immer
das Haus verkaufen u. dann Alle nach Rorschach
aber ich meinte es wäre besser für meine
Eltern hier zu bleiben sie bekämmen doch
Heimweh, ich will noch kurz den Grund
anführen warum er das Haus verkaufen
wollte. Wir hatten nämlich grossartig
Prozess mit Döckterlis Andreas [Andreas Marxer]! [8] wie Euch
bekannt ist hat er ein Grundstück neben
unserer Bünd. Jetzt einmal erzählte er
dem Küferle es gehe jetzt noch 2 Jahre dann
spreche er die verjährungsrecht an, u. sogleich
kam derselbe zum Vater u. sagte es dem Vater
wieder er solle sich wehren es laute so u. so
u. der Vater tat es auch, das 1te x als der Andres
mit seinem Karren kam, sagte er ihm
kommen könne er wenn er wolle nur dürfe er
kein Recht behaupten, ja nur lies er ihn nicht aus
reden, u. sagte er komme wenn und so viel Malen [9]
er wolle er habe Recht. Der Vater lies ihm das
Grasen untersagen durch den Ortsvorsteher [Johann Gstöhl] es
half soweit, dass er selbst nicht mehr kam aber
seine Frau u. der Schwager (Peterle) u. sagten
uns schon Alle Schand wenn wir uns noch gemütlich
taten im Bett, wenn wir Wäsch in der Bünd
hatten fuhren sie über das was am Boden lag
gemütlich darüber hin. aber es musste ein
Ende nehmen, der Mesmer musste klagen
sonste hätte er schon die Recht verloren.
Es gab eine Tagfahrt, in Vaduz hier wurden
sie nicht Eins, weil beide Ludwig u. Andreas
Eiden wollten, dass sie schon mehr als 30 Jahre
auf Recht hin gefahren, der Vater lies sie
noch nicht eiden, u. sagte sie sollens zuerst
überlegen und denn müssten seine Zeugen auch
noch abgehört werden. Es kam zu einem
Vergleich an Ort und Stelle. Hier wurde ein
wenig ausgemacht aber es kam zu keinem
Zeugen verhör, den sonst hätter nicht mehr
eiden dürfen, wenn Kranzes hätten reden
dürfen, wusste er u. die ganze Menge
Volk die zu gegen war gewusst [10], dass er einen
Meineid [11] begehe. jetzt hat er eine vereidete
Recht. In Eschen ist er nicht absolfirt
worden er musste schon weiters
Wir wünschen ihm gar nichts als, er
solle nicht [12] sterben können bis er das
Unrecht zurück sagt. Mit dem Öhri
hat er ja auch Prozess gehabt, der hat ihn
ins Tale Josafat [13] geladen [14] jetzt
lacht man, wen der Öhri sterbe, so
verlange er ihn u. wir lassen ihn nicht sterben
wie den das mit ihm zu gehe. Jetzt will ich
hören mit dem sonst wüsste ich eine Zeitung [15]
Neuigkeiten gibt es in Eschen das Jahr
nicht viel gestorben ist Batliners (…) [16]
u. Sima Gstöhle Wible u. Sima Luis od.
Segmarxers Andreas Frau ein Mädchen im
Alter von 9 Jahren war aber schon 3
Jahre krank, es ist grad 8 Tg. vor dem
Wible gestorben es sagte jetzt wolle es
gern sterben, doch die Isabela gestorben
sie, denn diese war in einem traurigen
Zustand sie litt an der Gicht. u. den Buri-
ruchus [Rochus Gerner]. der Alte u. die Anna [Maria Anna Gerner] sind ver-
brannt, [17] die Base wird es Euch schon bericht-
tet haben. Man hat aber so (wie man
zu sagen pflegt) [18] unter der Deke
gesagt. Er habe Unrechtes mit Anna
gewollt, u. habe es nicht eingegangen
hernach habe er sie tod geschlagen, dann
das Haus angezündet hernach ihn
selbst erschossen. Ich wollte Euch die ganze
Geschichte auslegen wie man Alles
angetroffen aber ich denke ich hätte
vergebene Müh. Es ist Euch schon bekannt
Viele Grüsse von Eurer Base. Ihr sollt
wieder einmal schreiben bei ihr gehe
es nicht mehr gut übrigens ist sie gesund.
Schwester Anuziata [Sr. Anunziata Kurz] lasst Euch auch grüssen
Sie ist jetzt Oberin im Bürgerheim
u. hat zwischen ein noch kleine Schw. [19] [20]
(…) [21] Bis jetzt ist es noch nicht eng es sind blos:
Der Flori Buchser, Näscher Joköbli, Segers
Klara, Jele Magdalena, u. 4 Meier drin
u. dann zwei Klosterfrauen, mit den
Schulschwestern nähmlich 4. u. ein Knecht.
Der Schniderle Hans Jörg ist Armenvater
Es ist sehr schön drinen, ich versorgs nicht
einmal hinein zu kommen. Dietri
Andreas Mathilda ist auch schon bald 1 Jahr
in Rankweil in Valduna, sie war
schon lange nicht mehr recht im Kopfe.
geheiratet hat dieses Jahr niemand von Eschen
als Brendle Wilhelms Magdalena mit
Bühler Jokelis Sohn von Mauren, dem der
Vater hat sich wie ich Euch schon geschrieben
erschossen, sie sind wenn Ihrs Euch noch vorstellen
könnt hineinwärts unter Franzseppmattes. Es
sind 2 Töchter u. eben der Sohn, die eine (Mathilda)
ist geheiratet auf Schellenberg etwa 1 ½ Jahr mit
Weibels Johann werden Euch wohl Alle unbe-
kannt sein. Die Eschner Mögen einander
nicht. ich mags auch nicht es müsste noch ganz anders
kommen aber ein altes Sprichwort sagt im
Notfall frisst der Teufel fliegen. Und noch
vor ichs vergiss dem Kapferseple ists auch
nach 7Jähriger Arbeit endlich eimal gelungen
ein Mädchen herzustellen, es wurde an
Pfingsten getauft er hatte eine unbeschreib-
liche Freude die alte Kresenzia aber nicht so
sie sagt wegen Ihr könne er eine Magd hertun
sie könne kein Kind behandeln, er tet es aber auch
u. bei Emilians hats auch schon im Sommer ver-
geben [22] aber ich weiss es nicht mehr welches Geschlecht [23]
der Lehrer haagen, der Schlegels Eugens hat (…) [24]
den habt Ihr doch noch gekannt er ist 16 Jahre schon
in Nenden gewesen, musste diesen Sommer
auch von Nendeln fort, wegen Unfug treiben
er war öfters bei Nacht bei einer Nachbars
Frau u. deren Mann bei Nacht Dienst hatte an der
Bahn, beim Stallfenster hinein u. zu ihr
in die Kammer, diese wies in zurück u. wollte
es nicht verlautbaren, als es aber nichts nützte
rief sie einmal den Nachbarn damit sie Zeugen
habe, sie kamen miteinander vor Gericht u.
er musste von Nendeln fort, es ist nur schad
um seine Frau u. Kinder er hat 10 Kinder lebend
u. etwa 3 [25] Kinder sind gestorben und seine Frau damals
auch in der Hoffnung, er ist jetzt in Schaan
auf anstalten seiner Frau sonst wäre er ganz
verworfen worden. er hatte auch noch mit
dem Herrn Kaplan [Josef Georg Ester] u. der Engelwirtin auch
Händel er hatte den Kaplan einen Schandbrief
geschrieben er gehe zur Engelwirthin nach Nendeln
er wollte mit dem seine Sache verschönern es
wurde ihm aber nicht gut geheissen. Der geist-
liche Stand konnte sich dies nicht gefallen lassen u.
auch der Engelwert wehrte sich. Dem Engelwirth
geht es ganz gut er hat 6 Kinder lebend u. zwei
gestorben. Er hat beständig zwei Mägde seine
schöne Frau arbeitet halt eben nicht gern viel
Luza Sima von Schellenberg ist diesen
Sommer die 2te Frau schon wieder gestorben
in dem Kindbett Er war auch ein Schlendrian
er ist immer andern nachgelaufen, schon bei der
1ten u. bei 2ten auch wieder man sagt, sie
seien vor Verdruss gestorben, die 2te war
eine Triesenbergerin eine recht ordentliche
Frau u. Weibels Emil von Ruggell hat auch geheiratet
mit Rihbura Lisabeth, u. schmid ulis Alois
(…) [26] [27]
______________
[1] LI LA PA 016/3/04/06. Brief in Kurrentschrift.
[2] Die Fotografie liegt nicht mehr bei.
[3] Ursprüngliche Fassung: „Schoẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[4] Seitenwechsel.
[5] Seitenwechsel.
[6] Durchgestrichenes Wort.
[7] Seitenwechsel.
[8] Zur betreffenden Besitzstörungsklage vgl. LI LA J 005/J 271/319.
[9] Seitenwechsel.
[10] Unterstrichen.
[11] Durchgestrichenes Wort.
[12] Durchgestrichenes Wort.
[13] Tal Joschafat heisst im biblischen Buch Joel der Ort des endzeitlichen Gerichtes Jahwes über alle Völker.
[14] Durchgestrichene Wörter.
[15] Seitenwechsel.
[16] Unleserlich.
[17] Vgl. L.Vo., Nr. 9, 26.02.1904, S. 1 („Brandunglück“) sowie L.Vo., Nr. 10, 04.03.1904, S. 2 („Zum Brandfall in Eschen“).
[18] Durchgestrichenes Wort.
[19] Unsichere Lesung.
[20] Seitenwechsel.
[21] Fehlstelle im Papier.
[22] Unsichere Lesung.
[23] Seitenwechsel.
[24] Fehlstelle im Papier.
[25] Unsichere Lesung.
[26] Unleserliche Zeile.
[27] Der Brief bricht hier ab.