Die Landesschulbehörde macht die Bestimmungen über die Organisation der Landesschule Vaduz und deren Lehrplan kund


Amtliche Kundmachung [1]

Kundmachung

vom 9. Oktober 1914

Im Nachstehenden gelangen die für die Landesschule in Vaduz geltenden besonderen Bestimmungen, sowie der Lehrplan dieser Schule zur Verlautbarung.

A. Besondere Bestimmungen

Die Landesschule in Vaduz ist eine öffentliche Unterrichtsanstalt des Fürstentums Liechtenstein.

Sie umfasst vorläufig drei Jahreskurse oder Klassen und hat die Schüler zum Eintritt in die vierte Klasse einer Oberrealschule vorzubereiten. Für Schüler, welche in die fünfte Klasse einer Oberrealschule eintreten wollen, wird auch ein vierter Kurs gehalten.

In diese Schule können nur solche Schüler und Schülerinnen aufgenommen werden, welche wenigstens den ersten Jahrgang der 3. Klasse der hierländischen Elementarschulen mit dem Zeugnis der Befähigung zum Aufsteigen in die höhere Abteilung zurückgelegt haben oder, sofern sie aus dem Ausland kommen, eine dem Lehrziel obiger Klasse entsprechende Vorbildung nachweisen. Alle ohne Ausnahme haben sich einer Aufnahmeprüfung zu unterziehen. Die Anmeldung hat beim Direktor der Anstalt zu geschehen.

Das Schuljahr beginnt Mitte September und schliesst Mitte Juli. Das Wintersemester dauert vom Beginn des Schuljahres bis Mitte März, das Sommersemester von Anfang April bis Mitte Juli. Schulfrei sind die gesetzlichen Ferialtage und zwei Nachmittage (Mittwoch und Samstag) einer jeden Woche.

Die tägliche Unterrichtszeit beträgt in der Regel 6 Stunden (und zwar vormittags im Winter von 8 bis 11, im Sommer von 7 bis 10 Uhr, nachmittags im Winter von 1 bis 4, im Sommer von 2 bis 5 Uhr), an Mittwochen und Samstagen vormittags 3 Stunden. In der heissen Jahreszeit, in der Regel von Anfang Juni bis zum Ende des Sommersemesters, entfallen auf den vormittägigen Unterricht 4, auf den nachmittägigen 2 Stunden. Während dieser Zeit sind auch die Dienstagnachmittage schulfrei.

Um den in Vaduz wohnhaften Frequentanten Gelegenheit zu geben, sich auf den Unterricht gründlich und ungestört vorzubereiten und ihre Hausarbeiten unter entsprechender Aufsicht und Anleitung zu besorgen, wird zufolge Sitzungsbeschlusses des Landesschulrates vom 2. September l. J. zur Förderung der Erreichung des Lehrzieles verfügt, dass sich dieselben zu der von der Direktion der Anstalt zu bestimmenden Zeit auch ausser den Unterrichtsstunden in der Schule einzufinden haben, um dort unter entsprechender Aufsicht einer Lehrkraft dem Studium zu obliegen.

Über Fortschritt und Betragen der Schüler wird deren Eltern respektive Vormündern von der Schulleitung im Wintersemester zweimal, im Sommersemester wenigstens einmal Bericht erstattet; am Schluss des Schuljahres werden schriftliche Zeugnisse ausgestellt.

Wegen Ungehorsams oder Unsittlichkeit können Schüler auf Antrag der Schulleitung durch die Landesschulbehörde jederzeit von der Anstalt entfernt werden.

Die für die Elementar- und Fortbildungsschulen bestehenden allgemeinen Vorschriften, insbesondere jene über Anhörung der Schulmesse, Besuch des öffentlichen Gottesdienstes, über Beschaffenheit und Einrichtung der Schullokale, über Gesundheitspflege, Verhütung der Ausbreitung übertragbarer Krankheiten, Beaufsichtigung der Schuljugend durch die Lehrangestellten ausserhalb der Schule, Besorgung der Schulkorrespondenz, Führung der Schulschriften, über Einhaltung der geltenden Schulordnung usw. finden auch auf diese Schule sinngemässe Anwendung.

Hinsichtlich der religiösen Übungen haben sich die Schüler an die Weisungen ihrer Ortsseelsorger zu halten.

B. Lehrplan

I. Klasse

1. Religion. 3 Stunden wöchentlich (2 Stunden Katechismus, 1 Stunde Biblische Geschichte). Lehrziel und Lehrmittel werden von der kirchlichen Behörde bestimmt.

2. Deutsche Sprache. 5 Stunden. Sprachlehre mit entsprechenden orthographischen Übungen. Lesen. Mündliche Sprachübungen. Memorieren und Vortrag von Gedichten und Prosastücken. Behandlung und Erklärung prosaischer und poetischer Lesestücke. Aufsätze. Erzählungen, Beschreibungen, Briefe. Geschäftsaufsätze einfacherer Art.

3. Geographie. 2 Stunden. Kartenlesen. Das Heimatland. Übersichtliche Kenntnis Europas. Umriss, Gliederung, Gebirge und Gewässer. Die Staaten Europas. Liechtensteinische Landeskunde.

4. Geschichte. 3 Stunden. Das Wichtigste aus der Weltgeschichte.

5. Naturgeschichte. 2 Stunden. Die drei Reiche der Natur. Alles in Beziehung auf die Landwirtschaft und den Handel, Obst- und Weinbau. Übungen.

6. Mathematik. 3 Stunden. Die Grundoperationen mit ganzen Zahlen, mit Dezimalbrüchen und gemeinen Brüchen. Metrisches Mass und Gewicht. Schlussrechnungen. Gold-, Silber-, Münzrechnungen der europäischen Staaten. Prozentrechnung.

7. Geometrie. 2 Stunden. Planimetrie mit Flächenberechnung. Ähnlichkeit. Kongruenz. Kreismessung. Praktische Übungen. Zeichnen ebener Figuren auf Grund der Anschauung.

8. Freihandzeichnen. 3 Stunden. Einfache freie Ornamente. Blatt- und Pflanzenformen einfacher Art nach der Natur. Aufnahme anderer einfacher Gegenstände nach der Anschauung mit Bleistift und Farbe. Gewerbliches Zeichnen.

9. Italienische Sprache. 3 Stunden. Die Stoffverteilung für den Unterricht in der italienischen Sprache ist vom Lehrmittel abhängig.

10. Gesang. 2 Stunden für alle Klassen gemeinsam. Stufenmässige melodische und rhythmische Übungen. Einübung von zwei-, drei- und vierstimmigen Liedern mit Anstrebung eines guten Vortrages.

11. Turnen. 1 Stunde. Pensum wie für die Oberklassen der Elementarschulen.

12. Schönschreiben. 1 Stunde.

II. Klasse

1. Religionslehre. 21/2 Stunden (2 Stunden Katechismus, 1/2 Stunde Bibel). Lehrziel und Lehrmittel werden von der kirchlichen Behörde bestimmt.

2. Deutsche Sprache. 5 Stunden. Eingehendere Behandlung, Disponieren und Analysieren von Lesestücken. Grammatik. Leseübungen. Geschäftsaufsätze. Der Aufsatz auch im Dienste der übrigen Lehrgegenstände.

3. Geographie. 2 Stunden. Mathematische und physikalische Geographie. Die Klimate. Der Globus. Die 5 Erdteile eingehend. Die charakteristischen Produkte. Kulturverhältnisse. Der Handel.

4. Geschichte. 3 Stunden. Die Weltgeschichte, 2. Hälfte. Geschichte Liechtensteins.

5. Naturlehre. 2 Stunden. Geologie. Lehre von den Körpern. Aggregation. Trägheit. Kraft. Schwere. Molekularkräfte. Tropfbare Flüssigkeiten. Gase, Wärme, Magnetismus. Elektrizität Schall, Licht. Das Wichtigste aus der Chemie und Mechanik. Alles mehr im Wege der Anschauung und in Hinsicht auf das praktische Leben.

6. Mathematik. 4 Stunden. Diskont- und Terminrechnungen. Gewerbliche und landwirtschaftliche Rechnungen. Verhältnisse und Proportionen. Quadrieren und Quadratwurzel. Buchhaltung.

7. Geometrie. 3 Stunden. Stereometrie. Würfel, Prisma, Pyramide, Zylinder, Winkel. Zeichnen: Projektion ebener Figuren mit Schlagschatten.

8. Freihandzeichnen. 3 Stunden. Flächenornamente in polychromer Ausführung. Gefässe und andere Gegenstände nach Vorlagen und Modellen und nach der Natur. Gewerbliches Zeichnen.

9. Italienische Sprache. 2 Stunden.

10. Gesang. 11/2 Stunden gemeinsam mit den andern Klassen.

11. Turnen. 1 Stunde gemeinsam mit den andern Klassen.

12. Schönschreiben. 1 Stunde.

III. Klasse

1. Religion. 21/2 Stunden (2 Stunden Kirchengeschichte, 1/2 Stunde Bibel).

2. Deutsche Sprache. 5 Stunden. Eingehendere sachliche und sprachliche Behandlung der Lesestücke. Notizen über Literatur und die bekanntesten Klassiker. Geschäftsaufsätze grösseren Umfanges. Eingaben und dergleichen.

3. Geographie. 2 Stunden. Wiederholung und Erweiterung des in der I. und II. Klasse Gelernten mit besonderer Berücksichtigung des Handels.

4. Geschichte. 3 Stunden, gemeinsam mit der II. Klasse, aber mit Erweiterungen. Wiederholung der Geschichte der Heimat.

5. Naturlehre. 2 Stunden, gemeinsam mit der II. Klasse, aber erweitert und vertieft.

6. Mathematik. 4 Stunden. Wiederholung des Pensums der II. Klasse; ferner Kubieren ein- und mehrgliedriger algebraischer Audrücke und dekadischer Zahlen. Kubikwurzel-Ausziehen. Gleichungen. Repetitionen. Aufgaben. Buchführung.

7. Geometrie. 3 Stunden. Sehnen im Kreise. Die dem Kreise ein- und umschriebenen Dreiecke und Vierecke. Projektionslehre. Kegel und Kugel. Zeichnen: Darstellung des Kreises aus seiner Umlegung. Omamente. Bauzeichnen. Wiederholung.

8. Freihandzeichnen. 3 Stunden. Projektionszeichnen mit komplizierten Modellen. Zeichnen von kunstgewerblichen und technischen Objekten. Plastische Ornamente mit Bleistift, Kreide, Tusche und Farbe. Gewerbliches Zeichnen.

9. Italienische Sprache. 2 Stunden.

10. Gesang. 11/2 Stunden, gemeinsam mit I. und II. Klasse.

11. Turnen. 1 Stunde, gemeinsam mit I. und II. Klasse.

12. Schönschreiben. 1 Stunde.

Mit solchen Schülern, welche einen vierten Kurs durchmachen wollen, wird der gleiche Unterrichtsstoff durchgenommen, wie im vierten Kurs der österreichischen Oberrealschulen.

Vaduz, am 9. Oktober 1914

Fürstliche Landesschulbehörde:

gez. Leopold Freiherr von Imhof m.p.

Fürstlicher Landesverweser

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[1] LGBl. 1914 Nr. 8; ebenso L.Vo. 31.10.1914, S. 5.