Ein österreichischer Soldat schildert in einem Feldpostbrief an seine Familie seine Kriegserlebnisse an der Westfront


Artikel in den Oberrheinischen Nachrichten[1]

Aus einem Feldpostbriefe.

Der in Altstätten wohnhafte, als Fahrer auf dem Kriegsschauplatze im Westen befindliche S. Fetzer [2] hat den Seinigen den nachfolgenden Feldpostbrief geschrieben:

"Frankreich, den 23. Juli 1915

Liebe Eltern und Geschwister!

Da ich nun schon zum zweitenmale im Felde bin und noch nichts "Kriegerisches" geschrieben habe, so will ich es jetzt tun. Am 9. Mai gingen hier die Offensiven an um 6 Uhr in der Frühe. Ich war am Morgen noch in der Kirche bis um zehn Uhr. Um elf Uhr musste schon alles marschbereit sein zum "Munitionieren". Ich ging als Begleitmann mit. Etwa um drei Uhr langten wir schon so weit, dass die Granaten hinter uns einschlugen, denn ein feindlicher Flieger hatte uns beobachtet. Da mussten wir wieder ausser Schussweite zurück, bis weitere Befehle kamen. Die feindlichen Flieger spionierten immer weiter. Um 5 Uhr kam der Befehl: "Sofort vor!" Aber das Schiessen wurde immer schlimmer. Nun fuhren wir in dem Dampf und Geknatter durch V. bis auf die Höhen, wo wir abluden. Von hier mussten wir die schweren Geschosse im Laufgraben bis auf N. vortragen. Das ist gut dreiviertel Stunden zum leer marschieren, und wir hatten noch die Geschosse auf der Schulter. Als wir in den Laufgraben wollten, drängten uns die Infanteristen wieder hinaus. So mussten wir den Toten warten, bis das ganze Bataillon drin war. Nun ging es vorwärts. Der Laufgraben war an vielen Orten zusammengeschossen; es war ganz ungemütlich; wir konnten keinen Schritt machen, ohne auf die Toten und Verwundeten zu stehen. Hinten und vorne gab es wieder neue Tote, denn die Franzmänner schossen wie närrisch auf die Gräben. So ging der Weg, bis wir zur Batterie kamen. Sie schoss mit 15 Zentimeter-Granaten auf 80 M[eter] auf die Infanterie, die wie das Gras vor der Sense fiel. Da konnte man allerlei Rassen sehen. Sie "leuchteten" [3] aber auch zu uns herüber, dass einem Hören und Sehen verging. Keiner glaubte mehr, dass wir noch zurückkämen. Auf dem Rückwege schlug gerade eine Granate in den Graben vor mir und riss zwei Mann den Kopf weg. Ich hatte Blutspritzer an mir, denn mich hatte es auch niedergeworfen; ich glaubte schon, den letzten Schritt getan zu haben. Ich stand auf, um nicht von den Nachrückenden zerstampft zu werden, ich war wie lahm. Da kletterte ich aus dem Graben und lief auf freiem Felde. Springen konnte ich nicht, denn ich hatte fast keine Luft zum Atmen. Es verging aber bald, ich war keine drei Minuten auf dem Felde gegangen, so musste ich mich wieder in den Graben zurückziehen, denn die Französen sahen mich ganz gut. Es pfiff so um mich herum, gerade als ob alles auf mich schiessen würde. Ich ging aber nicht mehr aus dem Graben. Am Ende des Laufgrabens half ich einem Kameraden die Wunde verbinden und trug ihm den Tornister. Bei der Batterie vorn wären wir bald in die Hände der Schwarzen geraten, aber wir können auch springen, wenn es sein muss. Wenn die Infanterie nicht zurück wäre, wären wir nicht fort. Die Karabiner und Säbel hatten wir bei den Wagen zurückgelassen. Keiner hatte was bei sich gehabt. Von unserer Kolonne waren zwei Mann verwundet. Als wir vom Laufgraben kamen, waren alle Fahrzeuge fort. Wir führten unsere Verwundeten ins Lazarett. Von da an musste ich wieder fort mit einem Wagen. Aber da war es schon dunkel und in den Graben mussten wir nicht mehr. Trotz meiner Müdigkeit ging es noch ganz gut. Der Hunger nagte auch am Magen. Morgens 3 Uhr kamen wir glücklich nach J... Da wurde geschlafen bis 8 Uhr; dann bekamen wir Kaffee. Mittags 1 Uhr mussten wir wieder fort; diesmal nicht mit dem leeren Wagen. Ich fuhr mit meinen Pferden 3 Stunden lang im Trab mit 40 Zentnern. Um 4 Uhr waren wir schon wieder in Feuerstellung. Die Franzosen feuerten wieder auf uns. Die Pferde schwitzten und zitterten vor Müdigkeit, dass ihnen und auch uns der Schweiss nur so herunterrann. Als wir in die Batterie einfuhren, hatten wir wieder zwei Verluste, einen Unteroffizier und einen Kanonier riss es den rechten Arm der Länge nach auf, so dass er ein Krüppel bleibt. Vom 9. Mai an mussten wir alle Nacht in die Feuerstellung zur Batterie fahren, am Tag hatten wir jetzt unsere Ruhe. Man kann zwar nicht mit Recht Ruhe sagen, da wir die Pferde putzen und füttern müssen. Schlafen können wir nicht viel, seitdem die Qffensiven hier bei L. gebrochen sind. Die Hauptsache ist, dass die Franzosen nicht haben durchbrechen können."

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[1] O.N. 21.8.1915, Seite 1 f.
[2] Nicht identifiziert.
[3] Leuchten: hier schiessen.