Entwurf eines Gutachtens von Josef Rheinberger über Max Bruch


München, October 1892

Max Bruch

Im Jahre 1838 in Köln geboren, errang Bruch durch die Komposition eines Streichquartetts schon in seinem 15. Lebensjahr das Frankfurter Mozart Stipendium, welches ihm ermöglichte, in Ferdinand Hillers Schule verhältnismässig jung die gereifte Meisterschaft der musikalischen Komposition zu erlangen. Hatte schon sein op. 1, die Oper "Scherz, List und Rache" die Aufmerksamkeit der musik. Welt auf sich gezogen, so fand sein op. 16, die Oper Loreley (Ged. v. Geibel) ungetheilte Anerkennung der weitesten Kreise. Doch nicht auf dramatischem, sondern auf epischem Gebiet fand Bruch die volle Entfaltung seines Genius, den Grund und Boden seiner eigensten Schaffenskraft. Hier in den grossen Chorwerken "Frithjof", "Schöne Ellen", "Odysseus", "Lied von der Glocke", "Feuerkreuz" kommt die Eigenthümlichkeit des Tondichters: Grosser Wurf in der Anlage, vollendete Beherrschung der Chor- und Orchestermassen, feste formale u. charakteristische Zeichnung, darin hohe und frappante Klangschönheit zu vollster Wirkung. Gerade in der letztgenannten Eigenschaft unterscheidet sich Bruch scharf und vortheilhaft von der neuesten deutschen Schule. Wenn er zu seinen genialen Männerchören vorzugsweise Lingg'sche Poesien wählt, so ist dies nicht Zufall oder Vorliebe, sondern echte und wahre Geistesverwandtschaft. Überhaupt ist seine Muse kräftig und männlich und im besten Sinne deutsch geartet.

Schliesslich sei hier noch seines klassischen Violinconcertes in g moll gedacht, welches unmittelbar nach dem Beethoven'schen rangiert und die ganze Vornehmheit der Bruch'schen Melodik offenbart. Es wäre noch vieler Werke zu gedenken, und manche Originalität des Tondichters hervorzuheben; doch glaube ich schliessen zu müssen, indem ich die Überzeugung ausspreche dass unter den deutschen Tondichtern der Gegenwart, die für die Verleihung des Maximilians-Ordens in Vorschlag gebracht werden möchten, wohl kein Würdigerer sein mag, als Max Bruch. Es ist dies mein ganz objektives Urtheil, da ich den Tondichter weder persönlich kenne, noch je mit ihm brieflich verkehrte.

München im Oct. 92

J. Rh.

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