Dr.Theodor Foering berichtet über die Konzerte während der Feiertage von 29.3.1885 bis 06.04.1885.


09.04.1885

Die Charwoche hat im hiesigen öffentlichen Musikleben eine kurze, wohlthätige Pause gebracht, nur unterbrochen von den zahlreichen, zum Theil sehr schönen Kirchenmusiken, an welchen sich der Mensch umsomehr erfreuen und erbauen mag, als sie - den Kritiker Gott sei Dank nichts angehen.

Es ist einer der Vortheile einer katholischen Stadt, dass sie dem Musikfreund die sonst so selten gebotene Gelegenheit gibt, in grösserer Auswahl und zu wiederholten Malen die eigens für den Gottesdienst geschriebenen Musikstücke, besonders der alten Meister, kennen zu lernen. Wer im protestantischen Norden unseres Vaterlandes aufgewachsen ist, dem blieb diese reiche Literatur so gut wie verschlossen. Höchstens dass man einmal die berühmtesten Stücke - ein Crucifixus von Lotter, ein Stabat Mater von Pergolese oder eine Motette von Palestrina - von einem Oratorienverein im Konzertsaal vortragen hört; von den übrigen, wie auch von den Kirchenkompositionen der älteren und neueren deutschen Meister, eines Michael Haydn, Ett, Franz Lachner, welche wahre Perlen enthalten, erfährt man garnichts. Hier kann man diese Musik an ihrer natürlichen Stätte, in der Kirche hören, wo sie, in der richtigen todten und lebendigen Umgebung, eine ganz andere künstlerische Wirkung macht, als bei der unnatürlichen Verpflanzung in den nüchternen, weltlichen Konzertsaal. Und wenn man schon in gewöhnlicher Zeit allsonntäglich eine schöne Messe hören kann, so werden bei den Kirchenfesten in allen bedeutenden Kirchen grössere Anstrengungen gemacht, um dem Gottesdienst eine würdige musikalische Ausstattung zu Theil werden zu lassen. Der Vorrang gebührt natürlich der Allerheiligen-Hofkirche, wo die kgl. Vokalkapelle unter Rheinbergers Leitung und unter Mitwirkung erster Solokräfte unserer Oper klassische und neuere Werke mit wahrhaft mustergültiger Vollkommenheit aufführt. Auch diesmal war wieder eine reiche Fülle gediegener Kompositionen geboten, von denen ich, als lebenden Komponisten angehörig, nur ein 5-stimmiges Benediktus von Lachner und ein Stabat Mater von Rheinberger erwähnen will. Unter den übrigen Kirchen ragt in musikalischer Hinsicht die Bonifaziuskirche hervor, in welcher u.a. am Charfreitag der Oratorienverein ein Misere von Max Zenger vortrug. Als würdigen Abschluss der Feiertagsmusik führte man gestern [Ostermontag, 6.4.1885] in der Hofkirche eine instrumentierte Messe von Mozart auf.

(Dr. Theodor Goering)

 

 

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