Robert Franz lobt die Bearbeitung Rheinbergers der Goldberg Variationen und erzählt von seiner musikalischen Arbeit


Halle, 16. Januar 1884

 

Hochverehrter Herr Kapellmeister!

Nicht unterlassen mag ich es, Ihnen für die Freude, welche mir die Durchsicht Ihrer Bearbeitung der „Goldberg’schen Variationen“ bereitet hat, meinen besten Dank zu sagen. Abgesehen von dem glücklichen Gedanken, das grandiose Werk für 2 Claviere zu setzen, sind die dadurch nöthig gewordenen Ergänzungen so meisterlich im Stile des Originals gehalten, dass man die Fremde Hand gar nicht spürt. Wie ausschliesslich ich mich seit vielen Jahren derartigen Arbeiten gewidmet habe, ist Ihnen nicht ganz unbekannt geblieben – ebenso wenig vielleicht auch die Thatsache, dass ich ihretwegen manchen Strauss zu bestehen hatte. Bisher befand ich mich dabei leider in einer ernstlichen bitteren Lage, während sich massenhafte Gegner mit ihrem Schunde breit machen durften. Von nun an stehe ich aber nicht mehr allein da, sondern habe in Ihnen einen Mitstreiter gefunden, der schwer wiegt. Jetzt werden sich die Historiker zweimal besinnen, den Musikern mit ihren albernen Decreten lästig zu fallen, worüber man sich im wohlverstandenen Interesse Bach’scher und Händel’scher Musik doch nur freuen kann. Welchen Blödsinn die Herren protegiren, geht daraus hervor, dass Spitta in seiner Bach-Biographie Kirnberger’s Accompagnement zu dem Trio aus Bach’s „musikalischem Opfer“ als mustergültig und massgebend für dergleichen Arbeiten aufstellt. Sehen Sie sich den bei Peters erschienen Wust näher darauf an und Sie werden es vollkommen in Ordnung finden, dass ich ihm mit einer neuen Ausführung des Continuo entgegengetreten bin. Sollte Ihnen das bei Härtel’s in dieser Form erschienene Werk gelegetnlich in die Hände fallen, so ersuche ich Sie Seite 6, System 3, Takt 4 und späterhin bei der Wiederholung derselben Stelle: Seite 14, System 3, Takt 3 einer Tenorstimme folgendermassen abzuändern:

Bei der Ausarbeitung achtete ich zu wenig auf die hin- und herspringende Geige, und wurde dafür mit ein paar verdeckten Octaven bestraft, die herzlich schlecht klingen müssen. Dem Fehler ist bereits in den Platten abgeholfen.

Wenn Sie sich einer Bearbeitung der 6 Sonaten für Clavier und Geige von Seb. Bach unterziehen wollten, würden Sie der Kunst einen wesentlichen Dienst erweisen. Dabei denke ich durchaus nicht an Formen, wie sie Rust in der Vorrede des 9. Jahrgangs der Bach-Gesellschaft Seite XVI in Vorschlag bringt, musste ihm aber vollkommen beipflichten, dass hier an gar manchen Stellen Ergänzungen in der Harmonie unbedingt nöthig sind. Überlegen Sie sich’s – es handelt sich dabei um eine höchst interessante Aufgabe.

Wegen meiner Schreiberei mit dem Bleistifte bitte ich sehr um Entschuldigung: zur Taubheit hat sich bei mir noch eine Nervenlähmung des rechten Armes gesellt, die mir den Gebrauch von Tinte und Feder fast unmöglich macht.

Nochmals herzlichen Dank für den Genuss, welchen mir Ihre feine Arbeit verschafft hat.

Ihr ergebenster

Rob. Franz

Halle d. 16. Jan. 84

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