J. G. Rheinberger bedankt sich bei David Rheinberger für die biographischen "Notizen über den Vater Josef Rheinbergers"


Brief von Josef Rheinberger an David Rheinberger:

 

Bad Kreuth, 18.7.1876

Mein lieber David! 

Du hast uns durch die Aufzeichnungen aus dem Leben unseres lieben Vaters viel Freude gemacht. Ich habe dieselben zwar noch nicht ganz gelesen, da man bei dem beständig wunderschönen Wetter fast nur im Freien lebt - meine Frau aber hat sie in einem Zuge gleich durchgelesen. Sie hat sich auch von Pöhly in Schlanders Einiges aufzeichnen lassen. Wir sind nun seit 18 Tagen in Kreuth und wollen wahrscheinlich nach Tirol gehen. Erst hatten wir uns Paris vorgenommen - ich fühle aber doch, dass ich die wenigen Wochen der Ferien zu ländlicher Ruhe nothwendig brauche. - Es ist hier in Kreuth ziemlich still und trotzdem dass in dem Hauptgebäude gegen 200 Gäste wohnen, die sich eigentlich nur zur Table d'hôte sehen, auch sehr ruhig. Da ringsherum eine Anzahl waldiger Spazierwege sind, verschwindet die Menschenmenge sogleich. Der kleine Hofhalt der neapolitanischen Königsfamilie ist auch klein beieinander und macht wenig Lärm und Aufsehen. Ich gebrauche (nun zum elftenmal) die Molkenkur und bin den ganzen Tag im Freien, da hier, in der Höhe von 3000' die Hitze nie zu arg ist; in der Nacht fällt immer so reichlich Thau, dass er den Regen vollständig ersetzt. Leider aber ist Kreuth durch den Wechsel des Besitzers und den Wechsel der Geldart ein sehr teurer Ort geworden; doch jüdelt es hier noch nicht so stark als in dem benachbarten Tegernsee, wo längst eine Synagoge nöthig wäre, wenn die Reformjuden nicht so sehr überwiegten. Wie steht denn in Vaduz die Angelegenheit mit dem österreichischen Gelde [1]? Ich habe etwas von einer Deputation gelesen, die zu seiner Durchlaucht antichambriren gegangen sei. - In München ist nun eine ganz prachtvolle Ausstellung, von Kunst- u. Kunstgewerbegegenständen. Es war noch nie etwas ähnliches da; besonders in herrlicher Weise ist das Kunstgewerbe des Mittelalters vertreten - man kann darin geradezu Studien machen. Von allen Seiten kommen Fremde, um sich diese Ausstellung anzusehen; S. Majestät der König von Bayern hat dieselbe aber nicht besucht, da gegenwärtig ein Bayreuther wohl soviel wert ist als 1000 Münchener.

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Und nun, alter Goliathbezwinger, lebewohl, regiere nicht so scharf [2], bleibe gesund und schreibe von Zeit zu Zeit Deinem Dich liebenden Bruder

Josef Rheinberger

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[1] 1876 sollte in Liechtenstein anstelle der Silberwährung die Goldwährung eingeführt werden. Dies führte zu einer Unzufriedenheit im liechtensteiner Unterland, das dadurch beim Handel im nahen Österreich benachteiligt gewesen wäre. In einem Marsch vor das Regierungsgebäude erreichten sie die Auflösung des Parlamentes.
[2] Rheinbergers Bruder David war Regierungssekretär in Vaduz.