Hedwig von Holstein schreibt an Fanny von einem Nachtessen mit Wagner


Brief von Hedwig von Holstein an Franziska Rheinberger:

Leipzig, d. 15. Dec. 72.

Geliebte Fanny!

Du bist wie versunken, ich höre & sehe nichts mehr von Dir, & das geht nicht so fort! Bitte lass wenigstens als Weihnachtsgabe ein Blättchen fliegen, es wird mir das liebste Geschenk sein! -

Gewiss habt Ihr viel Ärger wegen des Aufschiebens Eures Töchterleins, ich habe es aber kaum anders erwartet, wenigstens mit Franz' Opern ist es nie anders gegangen, sie kamen manchmal 1 1/2 Jahr später als man dachte, immer aber um einige Monate später heraus. Einem guten Werke schadet aber Alles nichts, seine Stunde kommt doch einmal.

/…/

Rathe einmal, mit wem wir gestern Abend zusammen waren, & wo? - Mit dem grossen Moloch, Richard Wagner, & seiner Cosima. Glaube aber ja nicht, dass er uns 'herumgekriegt hat', mir ganz besonders hat seine Persönlichkeit einen widerlichen Eindruck gemacht, & die Worte, die er zum Abschied sprach, zeigen wahrhaftig, dass er dem Grössenwahn verfallen ist. -

Lass Dir aber im Detail erzählen, denn das gehört Alles dazu, damit Du uns nicht für Anbeter hältst. -

Es war also natürlich bei Fritzsch, zu dem sich Wagners zweimal selber eingeladen hatten, sie wünschten den Thee bei ihm zu trinken. Fritzsch's natürlich waren in Angst, wen sie der Frau Bülow-Wagner vorsetzen sollten, & baten uns um Gottes willen, ihnen zu helfen. Ich konnte mir die Verlegenheit der guten kleinbürgerlichen Frau Fritzsch denken, & war auch neugierig, wir gingen also hin. Stell' Dir vor, in e i n e r kleinen, grässlich hausbackenen Stube mit Clavier, Sofa & etlichen Stühlen dürftig meublirt, war eine Gesellschaft von 20 Personen eingepfercht, eine Dame in himmelblauer Seide, decoltiert, auf dem Sofa, Frau Cosima in pensée Atlas, bescheidentlich  auf einem Rohrstuhl in Einer Reihe mit andern Sterblichen, Richard in der Mitte von einer Gruppe Stühlen, die nur von schwarzen Fracks besessen waren, docirend, süss lächelnd; Anekdoten erzählend. Wenn er aufstand & seine Figur sich im Profil zeigte, sah man die Eitelkeit hauptsächlich an der Rückenlinie, zu beschreiben ist das nicht, aber die Haltung des Männchens ging fast bis zur Caricatur, sogar das buntseidene Taschentuch schwänzelte aufgeblasen mit einem grossen Zipfel aus der Tasche hängend.

Mich hatten sie auch aufs Sofa gepflanzt, das hielt ich aber nicht aus, sondern ging zum Staunen der anwesenden Frauenzimmer (es war ausser Frau v. Herzogenberg [1] niemand aus guter Gesellschaft da) hin & her, mit den bekannten Herren sprechend & endlich zur Cosima, da sich Franz von mir hatte versprechen lassen, nicht zu 'bocken' sondern liberal zu sein.

Ich weiss nicht, ob sie eine Schlange ist, die sich häutet & ihr ganzes Wesen dabei abstreift und ändert; gestern abend aber war sie im höchsten Grade anziehend, sie sah trotz der ungeheuren Nase geradezu schön aus, edel & einfach im Ausdruck, bescheiden & weiblich im grossen Stil, wie man sich etwa die Chriemhilde denkt. Wir sprachen von Sahr zusammen, der ein Jugendfreund von ihr war, & vom Haideschacht, der ihr in Bremen so gerühmt worden, dass sie neugierig war. 'Dichtet Ihr Gemahl das Buch auch selbst'? fragte sie. 'Jawohl', antwortete ich keck, 'unsre Männer sind auch in dieser Hinsicht Rivalen', worauf sie halb verblüfft & halb graciös lächelte. -

Nun setzte sich Wagner ans Clavier & wollte unsre Sänger hören zu seinen Werken, sie sollen umsonst in Bayreuth singen & seine Auswahl ihr Ehrensold sein! Gura und Scaria sangen steeple chase, der letztere stets in der Bratwurst-Manier, wie der Kapellmeister Krebs von ihm sagt, nämlich so, dass jeder Ton von Anfang bis Ende ganz gleich stark ist, wie eine Wurst! Die Wände der engen Stube wackelten. Scaria ist ein Riese an Körper & Stimme, aber ganz ungeschlachten & so kindlich eitel, dass er gar nicht merkte, dass er W/agner/ nicht gefiel. Gura aber, unser Geliebter, sang ganz himmlisch den Wolfram & die Scene unterm Fliederbaum, ihm dankte W/agner/ in wärmster Weise & sagte zuletzt zu Beiden: 'Meine Herren, dass Sie mir so schön vorgesungen, wird Ihnen reiche Früchte bringen!

Dann trieb er nach dem Souper, die armen Fritzsches hatten Alles in irgend einem Hotel bestellt & es konnte vor der bestimmten Zeit nicht geschafft werden. Endlich lud u n s der H e r o s, nicht Fritzsch ein, zu Tische zu gehen, wir zogen über einen kahlen Vorsaal in eine andre kahle Stube, wo an einem so schmalen Tisch, dass wir uns mit dem vis-à-vis hätten küssen können, Stuhl an Stuhl gepfercht war, & wie Du da hineinkommst & mit den Ellbogen Deinen Nachbar nicht in die Rippen stösst, da sieh Du zu. Als Bedienung ein Kindermädchen aus meiner Anstalt, der ich vor 2 Jahren die Lumpen ausgezogen, heute in weissen Glacéhandschuhen. Alles natürlich von der falschen Seite präsentirend, & bei Horn anfangend mit jeder Schlüssel, einem zwerghaften lächerlichen Arrangeur, den Fritzschs nur aus Mitleid eingeladen hatten. Wagners hatte man auf zwei thronähnliche Stühle gesetzt, die Fritzsch extra hatte schnitzen lassen und sticken im altdeutschen Stil. Die erwiesen sich als äusserst praktisch an der engen Tafel, mein armes Kindermädchen konnte partout nicht zwischen den Lehnen der Stühle mit den grossen Schüsseln hindurch, & aller Augen sahen krampfhaft auf den jedesmaligen Konflikt zwischen Stuhllehnen und Schüsseln. Natürlich dauerte Alles eine Ewigkeit, Thee gab es gar nicht, den sich W/agner/ ausgebeten hatte, & er hatte wirklich die Taktlosigkeit, beim Fortgehen, oder vielmehr ehe er aufstand, in der Abschiedsrede zu erwähnen, dass Fritzsch es nicht recht gemacht, er hätte früher & weniger essen lassen sollen. Ausserdem sagte er aber etwas, worüber mir die Haut schauderte. Diese süssliche Abschiedsrede schloss er mit den Worten: 'Behalten Sie mein Andenken im warmen Herzen, & bleiben Sie eingedenk jener Worte: Wo zwei oder drei beisammen sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen'! -

Geliebte Fanny! ich bitte Dich um Gottes willen, was sagst Du, was sagt Dein frommer Mann dazu!!! -

Franz & Riedel, denen ich mein Entsetzen aussprach, sagten Beide: Das hat er nicht s o gemeint, als wenn e r der Heiland sei, sondern er hat die Worte als Gleichniss gebraucht! -

Ich sagte nichts mehr & ging stumm nach Hause, mit einem namenlosen Ekel. -

Denke nicht etwa, dass mein geliebter engelreiner Mann sich beschmutzt hat mit irgend welcher Devotion oder Heuchelei, er war einfach harmlos dabei, den Moment kunsthistorisch erfassend & in seiner milden Weise suchte er sich Manches menschlich zu erklären, was ich mit Wonne so schroff als möglich auffasste. Er würde sehr bös sein, wenn er wüsste, dass ich die guten Fritzsches, die uns eine unerhörte Freude mit ihrer Gesellschaft zu bereiten dachten, mit diesen Bestrebungen lächerlich gemacht habe. Du aber, liebste Fanny, wirst alles verstehen, denn Du hast mich lieb. -

Wenn ich nicht wüsste, dass Cosima eine Ehebrecherin wäre, so würde ich mich erdreisten zu sagen, dass ihre Erscheinung, ihr Auftreten, wie es g e s t e r n war, mich an Dich erinnerte. Nun wirst Du aber wüthend & schickst mich zur Thür hinaus. Ich stecke aber noch einmal den Kopf herein & bitte Dich um einen Kuss, um Absolution, vor allem um einen Brief & wünsche Euch Beiden ein recht gesegnetes Fest!

Deine H/edwig/ v. H/olstein/.

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[1] Gattin des Komponisten Heinrich von Herzogenberg (1843-1900).