Peter Rheinberger schreibt Franziska Rheinberger von den neuen Ereignissen und dem Gesundheitszustand der ganzen Familie


Brief von Peter Rheinberger an Franziska Rheinberger:


Vaduz, 9. Okt. 1872

Liebe Schwägerin Fanny!

Endlich komme ich dazu ein paar Zeilen für Dich und Bruder Josef vom Stappel zu lassen. Schwester Mali und David, die mehr Zeit hatten als ich, werden Euch mit unseren Lokalneuigkeiten im Laufenden erhalten haben. Von denselben habe auch ich erfahren, dass Ihr in Kreuth u. Bichl Euch erfrischt und gestärkt und mit erneuter Lebenskraft in's Winterquartier nach München zurück gekehrt seid.

So ist denn hier auch schon längst alles wieder von den Bergen nach Hause zurück gekehrt.

Mali hat sich körperlich über Erwarten wieder gebessert, es wäre zu wünschen, dass man von ihrem Humor das gleiche berichten könnte. Anton ist leider weit zurück und sehr leidend. Er steht zwar täglich auf, jedoch müssen wir stündlich auf das äusserste gefasst sein. -

Die Mutter ist sehr darnieder gebeugt, doch zappelt sie von Morgens früh bis Abends spät an ihren gewohnten häuslichen Arbeiten herum. Vater klagt sich, dass ihn seine 84jährigen Beine nicht mehr tragen wollen und reduzirt daher seine Spaziergänge immer mehr, sonst ist er immer noch wohl.

Das Beste, was ich Dir von meiner Familie berichten kann,  ist das meine gute Frau Rese ihre volle Gesundheit wieder erlangt hat. Auch meine Kleinen, die von ihrer unsichtbaren Münchner Tante viel erzählen und fantasiren, sind recht wohl von Profatscheng zurück gekehrt.

Vom 14. auf 15. September (Engelweihfest) war ich mit Frau und den 2 grösseren Mädchen in Maria Einsiedeln [1]. Es waren zahllose Scharen zu diesem Feste herbeigeströmt, so dass es uns bald ergangen wäre wie Maria und Josef auf ihrer Flucht - mit Noth habe ich noch um hohes Geld eine Nachtherberge aufgetrieben.

Unter diesen Tausenden sah ich auch einen Münchner Herren, den ich gerne gesprochen hätte, aber ein eisernes Gitter trennte uns. Es war Professor Schafhäutl, welcher früh halb 6 Uhr in der Marien Kapelle der Messe des Abtes beiwohnte. -

Früh 7 Uhr ging ich von Einsiedeln weg und war um 2 Uhr Nachmittag auf Rigi-Staffel [2]. Das Originelle und Kühne dieser Karussel-Eisenbahn ist wirklich überraschend und sehenswerth. Bis nächstes Jahr fahrt man bis Kulm. Eine Zweigbahn wird nach Rigi-Scheideck gebaut.

Am Sonntag (6ten) war wieder ein Tag voll Angst und Schrecken für uns arme Rheinländern. Gegen Morgen fing der Rhein urplötzlich und rapid an zu wachsen, dessen Steigen Ich vom Fenster aus mit Sorgen beobachtete. Anstatt nun dem Spätgottesdienste anzuwohnen (es sollte der Geburtstag des Fürsten [3]gefeiert werden) richtete ich eilig meine Schritte dem Rheine zu. Die Dämme waren stellenweise schon bis auf 1 Fuss zum überlaufen voll. Das Äusserste war zu befürchten. Dammbrüche und gewaltige Überschwemmung schienen unvermeidlich. Noch eine bange Stunde verlief. Herr Kaplan Fetz mitten in seiner schönen Festpredigt unterbrochen, alles eilte auf den Rhein. Das Wasser stieg noch bis an den Rand, dann blieb es so stehen bis Nachmittag und wir waren wunderbarerweise von einem schrecklichen Unglücke verschont. Es  ist so viel Wasser wie im Jahre 1868 abgeflossen. Ruggell [4] hatte aber leider einen Dammbruch und es stehen alle Häuser 1-3' unter Wasser bis heute. Nun hat sich das Wasser wieder verloren, nachdem es an den Wuhren vielen Schaden verursacht hat.

Wie geht es Euch. Ich muss schliessen. Gegenwärtig bin ich über alles Mass mit Arbeiten überladen u. ohne Rücksicht werde ich immer mehr mitgenommen, bis ich mich noch gezwungen sehe, meinem Amte adieu zu sagen, denn ich müsste mich so ganz aufreiben.

Alles Herzliche von Frau, Kindern und Deinem Schwager
Peter Rheinberger.

Trauben sind heuer keine bei uns gewachsen - sonst wäre jetzt Weinlese - im Winter sind die Reben verfroren.

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[1] Heute auch nur "Einsiedeln", bekannter Wallfahrtsort im Kanton Schwyz.
[2] Station der Bergbahn auf die Rigi.
[3] Fürst Johann II. von Liechtenstein, geb. 5. Oktober 1840.
[4] Nördlichste Ortschaft des Fürstentums Liechtenstein.