Jos. Rheinberger erkundigt sich bei seinem Bruder David nach seiner Familie


Brief von Jos. Rheinberger an David Rheinberger:


München, den 25./6.1872

Mein lieber David!

Die Nachricht von Tony's Erkrankung [1], die mir so unerwartet kam, hat mich sehr bekümmert, umsomehr, als Dein Brief noch sehr besorgt lautete. Hoffentlich ist die Gefahr jetzt beseitigt - möge recht bald ein Brief dieses Inhalts von Dir einlaufen. Maly [2]schrieb von ihrer Krankheit soviel als nichts, was ich im guten Sinne deuten will. Im Ganzen haben wir in unserer Familie doch recht viel mit Krankheiten zu kämpfen, und da thut es einem doch recht wohl, wenn man inzwischen so eine ergötzliche Nachricht liest, wie z.B. Deine Sängerfahrt ans schwäbische Meer. Nun, wenn Du die Festberichte alle aufmerksam durchstudirst, so hast Du dann ja doch eine Idee davon, da Du die Decoration gesehen hast.

Der Sommer ist nun endlich mit Macht angerückt und ich sehne mich jetzt ordentlich wieder nach dem stillen, schattigen Kreuth, weniger der Molken, als der Ruhe wegen. Dr. Buhl verordnete mir wieder (zur völligen Genesung meiner kranken Hand) nach Bad Bichl zu gehen; wenn ich jetzt auch ganz gut wieder schreiben kann, so muss ich doch die Hand noch in der Bandage tragen, da die Wunde noch immer offen ist. Es ist eben eine grosse Geduldprobe für mich!

Von dem plötzlichen Tode des Herrn Pfarrer Wolfinger [3] in Türkenfeld wirst Du wohl auch sehr berührt gewesen sein; er war übrigens in den letzten Jahren (ich habe ihn vor circa 1 1/2 Jahren zum letztenmal gesehen) nicht mehr so heiter als früher. -

Der Maly diene auch zur Nachricht, dass Frl. Louise Boselt gestorben ist. Der Tod hat überhaupt heuer in München sehr stark regiert, wie es scheint, in Folge des langen und harten Winters. -

Wie stehen dem kleinen Egon [4] die Erstlingshöschen? Hat er sie noch nicht bekommen? - Wie weit ist man mit dem Kirchenbau? Du als Paramenten-Hauptmann [5] a la suite musst es ja wissen! Peter und Schwägerin lass ich herzlich grüssen; in seinem Interesse hoffe ich, dass die Nachrichten über die schlimmen Neujahrsaussichten etwas übertrieben waren. Es wäre doch recht gut, wenn Maly auf einige Wochen nach Churwalden [6] gehen könnte; Du solltest, wenn es thunlich ist, in diesem Sinne wirken. Wie geht es den lieben Eltern? Der Mutter wegen, die ich besonders herzlich grüsse, thun mir die vielen Krankheitsfälle noch umsomehr leid.

Mit den herzlichsten Grüssen an alle lieben Angehörigen

Dein Dich liebender Bruder

Josef Rheinberger.

Postscriptum: Letzthin wurde ich auf dem Bezirksgericht München als Sachverständiger in rebus musicalibus für Oberbayern vereidigt. Du wirst also meinem Urteil in musikalischen Dingen von jetzt an eine erhöhte Bedeutung zumessen.

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[1] Anton, Bruder Rheinbergers.
[2] Rheinbergers Schwester Amalie.
[3] Pfarrer Josef Thomas Wolfinger (geb. 19.12.1806 in Balzers/Liechtenstein, gest. 13.5.1872 in Türkenfeld) war mit der Familie Rheinberger verwandt (Vgl. Brief von J.T. Wolfinger an Johann Peter Rheinberger vom 24.09.1851).
[4] Egon Rheinberger (14.1.1870-25.7.1936), Sohn von Rheinbergers Bruder Peter, studierte später an der Kgl. Kunstakademie in München.
[5] Für den Ankauf der verschiedenen liturgischen Gerätschaften in die neue Kirche von Vaduz war am 27. Februar 1872 ein "Paramenten-Komitee" bestellt worden, zu dessen Mitgliedern Regierungssekretär David Rheinberger zählte.
[6] Ortschaft in Graubünden.