Franziska Rheinberger berichtet David Rheinberger von der allmählichen Genesung von der Hand ihres Gatten sowie vom Erfolg verschiedener Werke ihres Gatten


Brief von Franziska Rheinberger an David Rheinberger


München, 17. May 1871

Lieber David!

Da mir Maly seit Langem nicht geschrieben, wende ich mich an Dich, um Euch Nachrichten über Curt zu geben, da Du in Deinem letzten Briefe liebevoll nach ihm frugst. Vor 14 Tagen ist die arme Hand, nachdem sie so hoch anschwoll, dass sie gar keiner Hand mehr ähnlich sah - und nachdem der arme, gute Curt wirklich wahnsinnige mit himmlischer Geduld ertragene Schmerzen ausgestanden hatte - plötzlich Nachts aufgebrochen. Ich liess Nussbaum holen und dieser erklärte den 'schmerzhaftesten' Theil der Krankheit für überwunden, jedoch nicht den längsten Theil! Es sei ein Knochengeschwür, welches im Ganzen in der Regel ein Jahr brauche um zu heilen! Curt ist nun zwar sehr froh, dass er keine so heftigen Schmerzen mehr hat und kann doch auch wieder schlafen, jedoch in seinem Berufe nur Unterricht ertheilen, sonst weder spielen noch schreiben. Da er noch viel Vorrath von Compositionen hat, so helfe ich ihm, indem ich dieselben nach seiner Angabe corrigire und versende, so dass keine Stockung in seine Herausgaben kommt. Gegenwärtig hat er wieder neue Verbindung mit einer Verlagshandlung in Wien. Seid ihm also nicht böse, wenn er nicht selbst schreibt; allein es macht ihm schon Mühe seinen Namen unter die fertigen Briefe zu setzen!

Vorgestern Abend dirigirte er mit Anstrengung aber grossem Glück das letzte Oratorienvereins-Concert, welches sehr ansprach. Wir sangen das Oratorium Saul von Händel. Wenn Du Maly schreibst, kannst Du ihr mittheilen, dass heute, den 17., Carl Stieler's Hochzeit [1] in Augsburg ist. -

Heute Nachmittag feiert das Wilhelmsgymnasium sein Maifest und wird dabei u.a. auch ein 4stimmiges Wander- Frühlingslied [2] von Curt gesungen. Sein Wallenstein [3] reist noch tüchtig herum, wurde in diesem Winter zwei Mal in Holland etc. gegeben. Auch das Stabat Mater [4] sangen sie am Charfreitag in dem protestantischen Brandenburg, was uns viel Freude machte. Die Dollinger-Angelegenheit [5] gefällt mir gar nicht. Jeder Packträger will heut zu Tage über Theologie sprechen und selbst der 'Theater-Intendant' wirft sich zum Kirchen-Vater auf, obgleich er von Theologie so wenig versteht, als unser Hund. Ich halte es treu und fest mit der Kirche und hoffe das gleiche von Curt.

Nun bitte ich Dich noch schön, auch Peter unsre Grüsse mit Curt's Entschuldigung zu sagen, dass er ihm nicht schreibt. Wie glücklich wird er sein, dass es Therese wieder besser geht!

Grüsse Alle daheim recht herzlich und gib bald wieder Nachricht Deiner Dich herzlich liebenden Schwägerin Fanny.

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[1] Vgl. Tagebucheintrag vom 08.12.1870, Fussnote [43].
[2] "Mailied" op. 48, Nr. 4 nach einem Text von V. Scheffel (?).
[3] Wallenstein-Sinfonie op. 10.
[4] Op. 16.
[5] Die Unfehlbarkeitserklärung des Papstes durch das 1. vatikantische Konzil 1869/70 stiess innerhalb der katholischen Kirche auf eine starke Opposition, an deren Spitze in Deutschland der Theologe Ignanz Döllinger (nicht Dollinger) stand. Während dieser nur bei Ablehnung des Konzils blieb, organisierten seine Anhänger die von Rom losgelöste Kirche der Altkatholiken.