Hedwig von Holstein schildert Franziska Rheinberger die Erlebnisse der letzten Wochen


Brief von Hedwig von Holstein an Franziska Rheinberger


Leipzig, d. 12ten Nov. 70.

Liebe Freundin!

Zwar schreibe ich Ihnen auf einem goldgeränderten Wappenbogen, aber trotzdem bin ich nicht verrückt oder abgeschmackt worden, sondern habe dies Papier aus nicht verwandter Hand geschenkt bekommen.

Meinen letzten Gruss & Bericht schickte ich Ihnen mündlich durch Prof. Schöne, der sich sehr freute, Sie aufsuchen zu dürfen, leider aber nachher keine Spur von Ihnen oder Ihrem lieben Mann erblickt hat, wovon er angenommen, er sei doch mit seinem Besuch zudringlich gewesen. Ich glaube das nicht, sondern ich denke mir, Componisten haben selten Gelüste, Besuch zu erwidern, schieben dergleichen bis in die aschgrauste Ferne hinaus, & endlich denken sie, es sei nun doch zu spät & lassen's gut sein. -

Alfred Schöne ist ein Intimus von uns & ein guter Kritiker, der in einer Musikzeitschrift & in der brockhauseschen Zeitung über die Musik berichtet. Der arme Schelm hat tiefen Herzenskummer & ausserdem vor kurzem seine heissgeliebte Mutter verloren & dass er nicht mehr unter uns (er war ein Kränzchen-Mitglied), sondern in dem einsamen, krähwinkligen Erlangen ist, macht ihm auch. kein piacere. Seinetwegen gaben wir dies Jahr München auf & reisten über Erlangen, zumal wir auch hofften, im Lauf des Winters nach München zu kommen wegen des Haideschachtes [1]. Es verlautet aber nicht einmal etwas von der Judith [2], die doch vorausgehen sollte, also wer weiss, ob die Sache wirklich noch wird, denn beim Theater ist alles möglich oder unmöglich. Noch im Anfang dieses Herbstes erschien es mir recht gleichgültig, was Theater & Musik betraf, weil die Weltereignisse doch das einzige Interesse war, was die Seele ausfüllte. Nach und nach macht aber der Winter seine Rechte geltend, und ich habe mich schon einige Male in der Musik ganz vergessen. Jetzt bangt man wieder für das geliebte Baiern. Wir finden es unsäglich traurig, wenn diese grossen Ereignisse keine Einigung zu Stande bringen, nicht allein traurig für Baiern, auch für uns Norddeutsche ist der Freudenkelch bitter geworden.

den 14 ten.

Ich wurde unterbrochen, das unglückliche Gefecht - man könnte wohl besser sagen, die Schlacht - bei Orleans liegen dazwischen. Die armen Baiern! ist mir's doch wie eine Mahnung Gottes an sie. Ihre Siege machten sie so selbständig, da sie nicht aufgehen wollten im grossen Ganzen. Gerade in der Zeit, wo die bairische Antwort allen Deutschen so tief in's Herz schnitt, da ereilte sie das erste Unglück. Mein Mann schilt mich wegen dieser Auffassung & sagt, Gottes Art sei es nicht, solche Fingerzeige zu geben. - Inzwischen soll sich die bairische Politik auch wieder zu unsern Gunsten gewendet haben; gebe es Gott! Als wir diesen Sommer in Baiern lebten, welche schöne Stimmung fanden wir da, welche Sehnsucht nach der Einigung, welche Liebe & welches Vertrauen zu den Norddeutschen! Das arme Volk, besonders die Soldaten würden mich namenlos dauern, wenn der Bruderbund zerrissen würde! -

Doch nun zu uns. Mein Franz konnte sich dies Jahr garnicht erholen, ich glaube nicht, dass ihm Carlsb/ad/ gut gethan. Von den 3 Wochen in Oberstdorf war er nur 2 ohne Schmerzen, die waren aber auch unsäglich schön. Er arbeitete so leicht und glücklich wie noch nie zuvor & konnte die strömende Quelle der Production kaum fassen. Dazu war er nicht so isolirt und brummig, wie sonst in solcher Zeit, sondern machte weite Wege von 4 & 5 Stunden mit mir in's Hochgebirge, Tag für Tag. Wir kehrten in Bauernhäusern ein & genossen die Natur in Land und Leuten. Der Herbst kann überirdisch schön sein! Kaum konnten wir uns in Kunst & Stadt wieder zurecht finden, obgleich uns das Beste davon empfing; Joachims [3] waren hier & wohnten bei meiner Schwester, auch Max Bruch [4] war viel bei uns, der talentvolle, aber eitle Mensch. -

Meine Augen sind schlecht geworden & wollen geschont sein, deshalb versage ich mir ein zweites Blatt. Lassen Sie bald von sich hören & seien Sie von Herzen gegrüsst von
Franz und Hedwig /yon Holstein/.

In Oberstdorf lasen wir Ihre hübsche biographische Skizze in der Süddeutschen Zeitung, haben Sie Dank dafür & lassen Sie bald mehr folgen".

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[1] Oper von Franz von Holstein.
[2] Oper von Franz von Holstein.
[3] Josef Joachim (1831-1907), berühmter Geiger.
[4] (1831-1907), Komponist.