Hedwig von Holstein lässt Franziska Rheinberger von den Erlebnissen seit dem letzten Brief und von ihrem neuen Aufenthaltsort wissen


Brief von Hedwig von Holstein an Franziska Rheinberger


Carlsbad, d. 22. August 70.

Liebe Freundin!

Vor lauter Zeitungslesen & Aufregung bin ich während des Aufenthalts in Carlsb/ad/ leider nicht wieder dazu gekommen, Ihnen zu schreiben, & jetzt geschieht es erst, nachdem ich keine Musse mehr dazu habe. Donnerstag Abend 8 Uhr kommen wir, so Gott will, nach München, bleiben die Nacht im Marienbad & reisen vormittags nach Immenstadt. Wir sind so unbescheiden, Ihnen (sic) dies wissen zu lassen für den Fall, dass Sie bereits wieder in der Residenz wären, & uns am Abend vielleicht aufsuchen wollten. Haben wir irgend Zeit, so kommen wir Freitags morgens zu Ihnen. -

Mein Mann soll nähmlich nach der anstrengenden Kur nicht gleich in die Kriegsaufregung hinein, sondern einige Wochen noch in Gebirgsluft erstarken, & da haben wir Oberstorf im Allgäu gewählt, wo eine uns nahe befreundete  Leipziger Familie sich ein Landhaus gebaut hat & 7 Zeitungen hält. Sie sind politisch sehr gebildet & interessiren sich dergestalt für die grossen Ereignisse,  dass wir mehr als Anklang mit unserm Patriotismus finden. Ohne diesen Verkehr möchten wir jetzt um keinen Preis in's Gebirge gehn, haben wir uns doch hier schon recht losgetrennt & weggesetzt gefühlt, & nur die Zeitungen waren unsre Freunde. -

Dass wir uns auf dem Rückwege in München fröhlich wiedersehen, das gebe Gott. Da diese Zeit kommen musste, so freue ich mich, sie zu erleben. Nie habe ich gewusst, was es heisst, sein Volk lieben, sich Eins fühlen mit ihm, ihm danken, unendlich dankbar sein - stolz sein, dass man ihm zugehört - wie aus einem Traume wacht man auf, wie auf Bergeshöhen schaut man um sich in ein weites, reiches Land, dessen Grenzen unabsehbar sind. - Und dass wir noch dazu berufen sind, das Babel, Frankreich genannt, zu zerstören, die Lügenbrut auszurotten, das ist ja eine doppelte Lust und ein wahrer Trost in dem tragischen Geschick, das wir dem Nachbarvolk zufügen müssen. Ich glaube,dass der Krieg in der Folge  für Frankreich ebenso segensreich sein wird, wie für uns, und ich bitte nur Gott, dass wir uns nicht überheben & das bescheidene Volk bleiben, das seinen Werth & seine Kraft nicht kannte! -

/…/ Mit Sabatiers war es diesmal ein wunderbarer Verkehr. Wir lieben uns herzlich, aber wenn wir uns freuten, so weinten sie , & wenn wir bangten, so triumphirten sie. Herr S/abatier/ benahm sich mit äusserstem Zartgefühl & war von einer merkwürdigen Objectivität. 'Warum besiegen uns die Deutschen?' sagte er eines Tages. 'Weil es die gebildetste & beste Nation ist.' Er ist Republikaner von jeher gewesen, glaubt aber nur an die Republik, wie man an ein Ideal glaubt. Er hasst den Kaiser & hält ihn sogar für unbedeutend, er habe nur die Schlauheit, die ein falscher Spieler vor einem redlichen voraus habe, höher verstiege sich seine Intelligenz nicht einmal. -

Wir sind aber trotzdem froh, dass der Verkehr mit S/abatier/s  dies Jahr ein Ende hat, denn es war sehr peinlich, da sie garnicht so mild war & uns immer ein grosses horristes (sic) Preussen in Aussicht stellte, das Sachsen, Bayern & Würtemberg verschlingen werde, wie es Hannover und Hessen verschlungen. Glauben Sie das? -

Es ist Frevel, nur daran zu denken! Die Völker würden es nicht leiden, wenn die Fürsten es wollten. Diese Brüderlichkeit ist jetzt unzerstörbar. Können Sie es lesen & hören, wie Bayern & Preussen zusammen kämpfen, ohne Freudenthränen zu vergiessen? Nein, wir sind Ein Volk von Brüdern, & ein grosses deutsches Kaiserreich! Träumen Sie nicht von Barbarossa? Gott sei tausend Mal gedankt, dass es so gekommen! -

Mein Mann ist zum Finale der Kur elend geworden, muss Chinin nehmen & hat abwechselnd seine Schmerzen im Kopfe & in den Zähnen. Er macht ein Kriegslied nach dem andern & hat von zweien 1000 Exemplare dem Heer nachgeschickt. Ich wollte Ihnen eins schicken, er verbot mir's aber. Die Lieder seien allzu simpel für den Theoretiker & nur für brüllende Soldatenkehlen gedacht. - Franz grüsst herzlich; also doch dies Jahr auf Wiedersehen!

Ihre
Hedwig v/on/ H/olstein/.

Unsre Adresse ist vom 27. Aug/ust/ bis Ende September: Oberstorf bei Sonthofen im Allgäu, via Immenstadt."

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